„Die Krise hat uns kreativ und flexibel gemacht!“
Elgin Drda, Vizerektorin für Medizin an der Johannes Kepler Universität Linz, über Studieren und Forschen in Zeiten von COVID-19 und die Lehren, die sich aus der Krise für den zukünftigen Universitätsbetrieb ziehen lassen.
Welche Maßnahmen hat die JKU in der Corona-Krise gesetzt?
Elgin Drda: Als größte Bildungseinrichtung des Landes sehen wir es als unsere Pflicht, umsichtig und verantwortungsvoll zu reagieren, zum Schutz der Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Studierenden und als Beitrag, um die weitere Verbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen zu reduzieren. Daher wurden an der JKU bereits ab 11. März – also vier Tage bevor die Bundesregierung die strengen Ausgangbeschränkungen verordnet hat – keine Lehrveranstaltungen und Prüfungen mit physischer Präsenz mehr abgehalten. Wo dies möglich war, wurde auf Homeoffice und E-Learning umgestellt. Wo dies nicht möglich war, wurde der Lehr- und Prüfungsbetrieb bis auf Weiteres ausgesetzt. Alle Studierenden wurden ersucht, Einrichtungen der JKU – Labore, Lernzonen, Prüfungs- und Anerkennungsservice, Zulassungsservice, Mensa etc. – nicht mehr aufzusuchen. Auch die Lesesäle der Bibliothek wurden bis auf Weiteres geschlossen. Die Lehrenden wurden ersucht, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten mit größtmöglicher Kulanz vorzugehen, um negative Auswirkungen auf Studienverlauf oder Studienzeit soweit wie möglich zu vermeiden.
Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert?
Ich hatte bisher wenig Erfahrung mit Telearbeit, muss aber zugeben, dass wir uns im Team sehr rasch auf die neue Situation eingestellt haben. Neu ist für mich der doch massive Einsatz von unterschiedlichen Online-Konferenz-Tools. Das funktioniert wirklich überraschend gut. Wir haben dabei eine ausgezeichnete technische Unterstützung durch die JKU. Zuletzt konnten wir das Hearing für Anatomie und Zellbiologie mittels Videokonferenz durchführen. Das waren ganz neue Erfahrungen für mich, und wir fragen uns, ob man diese Tools nicht auch in Zukunft – auch aus Zeit- und Umweltgründen - öfter einsetzen könnte.
Wie sind die Erfahrungen mit Distance Learning? Wo stößt man damit an Grenzen?
Die JKU ist ja bekannt für erfolgreiche Distance-Learning- Studiengänge. Wir haben mit umfangreichen Maßnahmen rasch reagiert und die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für eine breite Umsetzung von digitaler Lehre geschaffen. Die Erfahrungen an der Medizinfakultät sind nach einer kurzen Umstellungsphase sehr positiv. Da bedanke ich mich besonders bei unseren klinisch tätigen Vortragenden, die bereit waren, unsere Studierenden weiter zu betreuen und uns als Fachexperten in der Krise zu beraten. Sowohl Lehrende als auch Studierende berichten uns, dass die Wissensvermittlung in den unterschiedlichen Lehrformaten gut funktioniert. Besonders die zu Beginn eher kritisch gesehenen Telekonferenzen haben sich als sehr erfolgreiches, interaktives Lehrveranstaltungsformat herausgestellt. Jene Lehrveranstaltungen, die praktische Fertigkeiten im Labor, in den Kliniken oder im Clinical Skills Lab vermitteln sollen, lassen sich über Distance Learning jedoch nicht so leicht abwickeln. Hier können manche Lernziele zwar über andere, theoriebasierte Methoden erreicht werden, aber ein gewisser praktischer Anteil vor Ort wird nach Aufhebung der Maßnahmen von den Studierenden nachzuholen sein.
Ist die technische Infrastruktur dafür ausreichend?
Die JKU hat bereits in der Vergangenheit mit der Lernplattform Moodle und der Möglichkeit der Aufzeichnung von Lehrveranstaltungen eine gute Basis für Distance Learning geschaffen. Aktuell wurde das Portfolio durch ein Telekonferenz-Tool ergänzt, das vor allem für interaktive Lehrveranstaltungen und Gruppenarbeiten gut geeignet ist. Darüber hinaus bietet die Medizinische Fakultät insbesondere für Mediziner Zugang zu Literatur und Lern- bzw. Nachschlageportalen, die auch von Zuhause aus bequem verwendet werden können.
Wie geht es mit Praktika, die aktuell nicht absolviert werden können, weiter?
Einzelne Praktika werden zum Teil mit sehr konkreten Aufgabenstellungen für Distance Learning aufbereitet. Diese Aufgabenstellungen decken jedoch nur den Theorieteil der Lernziele ab, die praktischen Aspekte sind derzeit ausgesetzt und werden so rasch als möglich in geblockter Form nachgeholt.
Können Prüfungen abgelegt werden?
Das Medizinstudium unterscheidet schriftliche Prüfungen, die ausschließlich elektronisch am Computer in einem Prüfungsraum abgehalten werden, und mündliche Semesterabschlussprüfungen vor einem Prüfungssenat. Schriftliche Prüfungen können derzeit noch nicht abgelegt werden. Für mündliche Prüfungen wurde an der JKU ein Konzept entwickelt, um diese als e-Prüfungen über ein Telekonferenz-System abwickeln zu können. Dabei gelten strenge Maßstäbe für die Identifikation der beteiligten Personen, für die Sicherstellung einer adäquaten Prüfungsumgebung und für die Wahrung der Öffentlichkeit. An der Medizinischen Fakultät werden aller Voraussicht nach bereits unmittelbar nach Ostern die ersten mündlichen e-Prüfungen abgehalten.
Werden Lehrveranstaltungen und Prüfungen eventuell im Sommer nachgeholt?
Juli bis September gelten zwar grundsätzlich als vorlesungsfreie Zeit, Prüfungen konnten aber bisher schon absolviert werden. Die Studierenden sind derzeit konsequent und engagiert mit der Erarbeitung der Lehrinhalte befasst und wir wünschen uns, dass sie in absehbarer Zeit die Gelegenheit haben, die entsprechenden Prüfungen abzulegen.
„Das Klinisch-Praktische Jahr findet grundsätzlich ganz normal statt, die Studierenden sind weiterhin in den Krankenanstalten und Ordinationen vor Ort und wirken in der Patientenversorgung mit.“
Ist es derzeit möglich, das Klinisch-praktische Jahr zu absolvieren?
Das Klinisch-Praktische Jahr findet grundsätzlich ganz normal statt, die Studierenden sind weiterhin in den Krankenanstalten und Ordinationen vor Ort und wirken in der Patientenversorgung mit. Sollte es in den betroffenen Einrichtungen auf einzelnen Stationen schwierig sein, Praktika zu absolvieren, bemühen wir uns, für die Studierenden entsprechende Lösungen zu finden. Um die freiwilligen Beiträge unserer Studierenden, beispielsweise bei der Corona-Hotline 1450 des Roten Kreuzes, auch entsprechend abzubilden, haben wir die Möglichkeit geschaffen, bis zu 5 ECTS als freie Studienleistungen zu erhalten. Die bestehenden Regelungen zum Ehrenamt gelten ebenfalls weiterhin.
Wann beziehungsweise wie werden die Aufnahmeprüfungen für das Wintersemester 20/21 stattfinden?
Das Aufnahmeverfahren betrifft nicht nur die JKU, sondern auch die Medizinischen Universitäten in Wien, Graz und Innsbruck. Es wird derzeit in gemeinsamer Abstimmung mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung an einer Lösung gearbeitet.
„In unseren Laboren wird derzeit nur ein Grundbetrieb mit Journaldienst aufrechterhalten, etwa zur Erhaltung von Zellkulturen und für dringende Wartungen.“
Was bedeuten die CoV-Maßnahmen für den Forschungsbetrieb? Werden aktuelle Forschungsprojekte fortgesetzt?
Gerade für Forschende in den laborbasierten Naturwissenschaften ist das keine einfache Situation. In unseren Laboren wird derzeit nur ein Grundbetrieb mit Journaldienst aufrechterhalten, etwa zur Erhaltung von Zellkulturen und für dringende Wartungen. Für spezielle COVID-19- Forschungsprojekte, die gemeinsam mit dem Kepler Universitätsklinikum durchgeführt werden, haben wir unter strengen Auflagen Ausnahmen gewährt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versuchen daher verstärkt, die Zeit mit Literaturrecherchen und Diskussionen zu nützen, und schreiben Manuskripte und Projektanträge. Es gibt einen wissenschaftlichen Austausch per Videokonferenzen, sogenannte Lab-Meetings und für den sozialen Austausch zum Beispiel einen virtuellen Morgenkaffee. Viele Forschende sind verständlicherweise schon sehr ungeduldig, weil auch fehlende Experimente später nachgeholt werden müssen. Wir sind daher froh, dass wir bereits an der schrittweisen Öffnung der Forschungslabore unter Einhaltung der notwendigen Verhaltensregeln, wie Abstand halten, Begrenzung der Personenzahl, Mund-Nasen-Schutz etc. arbeiten.
Gibt es Forschungsprojekte mit Bezug zu CoV?
Rektor Lukas hat gleich zu Beginn der Krise dazu aufgerufen, mit wissenschaftlichen Leistungen zur Bewältigung der Corona-Krise beizutragen. Die Resonanz der Forscherinnen und Forscher der JKU hat uns sehr beeindruckt. Im Bereich der Biophysik und der Grundlagenmedizin wird gerade daran gearbeitet, gemeinsam mit dem Kepler Universitätsklinikum zusätzliche Corona-Tests verfügbar zu machen. In der Medizin-Mathematik wird an Prognosemodellen geforscht, um die Folgen weiterer Maßnahmen beziehungsweise der Lockerung von Maßnahmen beurteilen zu können. In den Materialwissenschaften wird der Einsatz von 3D-Druckern für notwendige Medizintechnikprodukte geprüft. Die Chemie hat sich umgehend bereit erklärt, Desinfektionsmittel herzustellen. Artificial Intelligence wurde im Bereich der Informatik eingesetzt, um eine Milliarde Moleküle auf ihre Corona-Wirksamkeit zu untersuchen. Im Klinischen Bereich beteiligen sich zahlreiche Ärztinnen und Ärzte an Corona-spezifischen klinischen Prüfungen und internationalen Forschungsprojekten. Der Forschergeist ist intensiv zu spüren, die fakultätsübergreifende Zusammenarbeit hat einen neuen Schwung bekommen.
Steht die Baustelle für den Med Campus derzeit still? Was heißt das für die Fertigstellung?
In den letzten Wochen wurden umfassende Gespräche mit den ausführenden Firmen geführt. Alle wesentlichen Firmen – Hochbau, Fassadenbau, Haustechnik, Elektrotechnik und Trockenbau – werden unter Einhaltung sämtlicher Auflagen der Regierung weiterarbeiten. Aus derzeitiger Sicht kann der Studienbetrieb wie geplant mit Herbst 2021 aufgenommen werden.
Wie lange wird der eingeschränkte Betrieb aus heutiger Sicht aufrechterhalten?
Es ist jetzt Anfang April, und die letzten Informationen seitens des Wissenschaftsministeriums sind, dass nach Ostern der Universitätsbetrieb wieder schrittweise hochgefahren wird. Veranstaltungen und Konferenzen werden vorerst aber nicht möglich sein. Wir müssen noch etwas Geduld aufbringen und konsequent bleiben.
Welche Lehren ziehen Sie aus der CoV-Krise für den zukünftigen Universitätsbetrieb?
Wir wurden von der Krise überrascht und mussten in kürzester Zeit wichtige Entscheidungen treffen. Es war richtig, rasch zu handeln und konsequent auf Homeoffice und E-Learning umzustellen. Bestens bewährt hat sich die enge, abgestimmte Zusammenarbeit mit den anderen medizinischen Universitäten, insbesondere was das Medizinstudium anbelangt. Die Krise hat uns kreativ und flexibel gemacht, die Bereitschaft Veränderungen anzunehmen und aktiv mitzugestalten, war enorm. Gleichzeitig war es eine große Herausforderung, die Qualität und den rechtlichen Rahmen dabei nie ganz aus den Augen zu verlieren, etwa bei Themen des Urheberrechts und des Datenschutzes. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass Homeoffice und Social Distancing Menschen nicht nur vor organisatorische, sondern auch vor mentale Herausforderungen stellen und das psychische Wohlbefinden stark beeinflussen können. Es ist daher für Dienstgeber sehr wichtig, diesen Aspekten die notwendige Aufmerksamkeit zu widmen. An der JKU haben Psychologinnen und Psychologen Tipps für die Zeit in Isolation gegeben und eine Hotline für Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Studierende eingerichtet.
Interview: Josef Haslinger
Elgin Drda, Mag. Dr.
Vizerektorin für Medizin an der JKU Linz.
Drda ist Juristin, Krankenhausbetriebswirtin und akademische Krankenhausmanagerin. Sie war u. a. Prokuristin und Leiterin der Rechtsabteilung zur OÖ. Gesundheits- und Spitals AG (gespag), Leiterin der Abteilung Soziales beim Amt der OÖ. Landesregierung, Büroleiterin von Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer und Geschäftsführerin des Kepler Universitätsklinikums für die Bereiche Finanzen, Personal, Organisation und Pflege. Seit Sommer 2019 ist die Oberösterreicherin Vizerektorin für Medizin an der JKU Linz.