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Gesundheit
Österreich
27.05.2020

„Hygiene hat mehr Gewicht bekommen“

Das Corona-Virus hat das Thema Hygiene sichtbar gemacht. Im Gegensatz zu Ignaz Semmelweis’ Zeiten kann man sich heute in Spitälern allerdings darauf verlassen, dass professionelle Hygieneteams dafür sorgen, Krankheitserreger wie Pilze, Bakterien oder Viren bestmöglich von allen Menschen fernzuhalten. Corona hat die Experten aber vor neue Herausforderungen gestellt. 

Wer dieser Tage das Ordensklinikum Linz ansteuert, wird schnell merken: Wie überall im öffentlichen Leben ticken auch hier die Uhren jetzt anders. Der Grund ist die Pandemie. Manche sind für einen stationären Aufenthalt hierhergekommen, andere für eine Kontrolluntersuchung. Doch statt wie gewohnt durch die Eingangstür zu spazieren, finden sie sich plötzlich in einem Zelt wieder. Ein Formular ist auszufüllen, man möchte wissen, ob der Hals kratzt und wie es um die Atmung bestellt ist. Fieber wird gemessen. Die Hände müssen desinfiziert werden. Und zwischen die in der Reihe Stehenden soll natürlich auch locker der bekannte Babyelefant passen. Die momentan mangels Impfung und validen Medikamenten schlagkräftigste Waffe gegen die Ausbreitung des Corona-Virus ist unübersehbar geworden: Hygiene.

Eines ihrer gegenwärtigen Symbole verhüllt die Gesichter der Spitalsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nun auch im normalen Spitalsalltag: Die OP-Maske kann die Verteilung des Virus in der Luft, etwa durch Nies- oder Hustentröpfchen, einschränken. Auch an die eintreffenden Patientinnen und Patienten wird eine ausgereicht. „Die Qualität eigener Mund-Nasen-Schutze ist für eine Krankenhausumgebung unzureichend“, sagt Karin Bardeau. Die Ärztin ist Teil des sechsköpfigen Hygieneteams des Ordensklinikums Linz, das hier für sämtliche Hygienemaßnahmen zuständig ist. „Jeder, der außerhalb unseres festgelegten Notfall-Aufnahmetags zu uns kommt, braucht einen Termin. Im Zelt und demnächst auch in Containern werden die Patienten eingeteilt“, erklärt sie die neuen Empfangsabläufe. „Jene ohne Krankheitsanzeichen, die weder Kontakt zu Erkrankten hatten noch zuvor in kritischen Ländern waren, können weiter in den Wartebereich.“ Hier darf maximal jeder zweite Stuhl besetzt sein. Weist jemand Symptome einer Infektion auf oder bestehen auch nur leichte Zweifel, entscheidet ein Arzt über das weitere Vorgehen, beginnend mit einer Testung. Passierschein für den Warteraum gibt es dann natürlich keinen.

Händewaschen revolutionierte die Medizingeschichte

Hygiene ist eine Errungenschaft, die Leben rettet. Und sie hat Wurzeln in Österreich: Mitte des 19. Jahrhunderts fiel dem am Allgemeinen Krankenhaus in Wien arbeitenden ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis ein Zusammenhang zwischen der hohen Sterblichkeitsrate von Wöchnerinnen und den Ärzten auf, die mit ungewaschenen Händen vom Seziersaal auf die Entbindungsstation gingen. Simple Reinigung – damals mit einer Chlorkalklösung – brachte messbare Abhilfe, dem Pionier der Handhygiene allerdings keine Ehre. Semmelweis wurde verlacht und ignoriert. Die Saat hatte er dennoch gelegt. Nachfolgende Ärztegenerationen waren sensibilisiert und mit der Zeit entwickelten sich die uns heute vertrauten Richtlinien. Dinge wie Chirurgenhandschuhe, sterile Geräte und Instrumente sowie Handdesinfektion vor jedem Patientenkontakt sind längst selbstverständlich in Spitälern. Hierzulande ist Krankenhaushygiene zudem im Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten (KaKuG) sowie im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) verankert. Aber auch die Bevölkerung bekommt Jahr für Jahr in der Grippesaison zu hören, wie sehr häufiges Händewaschen das Infektionsrisiko senkt. Vom Hygienstandpunkt aus entspricht es dem Sicherheitsgurt im Auto.

„Durch Corona hat Hygiene insgesamt mehr Gewicht bekommen“, stellt Karin Bardeau fest. „Das Bewusstsein dafür ist sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den Krankenhausmitarbeitern gestiegen.“ Es wäre schön, wenn das so bliebe, lächelt sie. Als hygienebeauftragte Ärztin beschäftigt sie sich natürlich grundsätzlich mit den großen Herausforderungen, vor die gefährliche Krankheitserreger Spitäler stellen. Etwa von Auslandsaufenthalten eingeschleppte exotische Mikroorganismen. Oder so genannte Krankenhauskeime, die zu den gefürchteten nosokomialen Infektionen führen können, der häufigsten Komplikation eines stationären Aufenthalts. Diese liegen unter anderem an übermäßigem Antibiotikaeinsatz in der Vergangenheit, der Keime resistent gemacht hat. Und es braucht Hygiene, um sie zu bekämpfen. „Patienten, aber auch das eigene Personal vor Infektionsübertragungen zu schützen ist die Kernaufgabe unserer Abteilung“, bekräftigt Bardeau. „Strenge Auflagen sind für uns nichts Neues.“ Bei Corona jedoch habe man anfangs lediglich einen Pandemieplan zur Hand gehabt, der die Abläufe in Krankenhäusern nur sehr allgemein definierte.

In Echtzeit neu entstehende Fachliteratur verfolgen

Kaum verwunderlich, schließlich liegt die letzte Seuche derartigen Ausmaßes, die Spanische Grippe, schon gut hundert Jahre zurück. „Dass es beim Corona-Virus, das die Krankheit COVID-19 verursacht, auch Menschen mit milden Verläufen gibt oder solche, die überhaupt asymptomatisch sind, macht es zusätzlich schwer, gegen seine Verbreitung vorzugehen.“ Wo man sich nicht auf Erfahrungen und Routinen verlassen könne, gelte es also der Literatur auf dem Fuße zu folgen. Papieren der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa oder aus früher betroffenen Ländern wie China. Mittlerweile steige auch die Anzahl der internationalen Studien. „Zahlen und Daten ändern sich allerdings stetig; manche Erkenntnisse werden revidiert, andere kommen hinzu. Das ist ein laufender Prozess.“ Gleichzeitig ist es Aufgabe der Hygieneabteilung, eiligst effiziente Maßnahmen im Spital zu installieren und zu überwachen sowie Checklisten und Anleitungen für die Mitarbeiter auszugeben. Sie berät den Vorstand; auch den spitalseigenen Krisenstab verstärkt einer der Hygienespezialisten.

„Für uns war es hilfreich, direkt in die Abteilungen zu gehen und mit ihnen gemeinsam auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Vorgänge zu erarbeiten“, schildert Bardeau. „Je nachdem, ob es beispielsweise um den Speisesaal, eine Endoskopieeinheit oder die Isolierstation geht, sind ganz spezifische Gegebenheiten zu beachten.“ Der Dialog mit den dort Arbeitenden sorgte auch für eine optimale Umsetzung der Corona-Maßnahmen.

Generell haben so genannte Spuckschutzscheiben aus Plexiglas und für alle zugängliche Desinfektionsmittelspender Einzug gehalten sowie ein weiteres wichtiges Präventionselement: der Abstand. Am ansteckendsten ist das Virus über Tröpfchen, die beim Husten, Niesen und Sprechen abgegeben werden, und sogar Atemluft das Virus. Nach etwa eineinhalb bis zwei Metern fällt es indes zu Boden. Auch Außenluft verdünnt die Virusmenge schnell. Wie infektiös es in den diversen Szenarien ist, ist noch Gegenstand der Forschung. Aktuell halten Experten den Mix aus den verschiedenen hier erwähnten Hilfsmitteln für den sinnvollsten Schutz.

Einfallen lassen musste sich das Hygieneteam auch etwas für Mitarbeiterschulungen. Krankenhauspersonal zählt zu den besonders ansteckungsgefährdeten Gruppen. Die korrekte Anwendung der Maßnahmen und dass vom medizinisch-technischen Personal über die Pflege bis zum Portier jeder umfassend informiert ist, ist also essenziell. Einfach alle in den Seminarraum bestellen war freilich nicht mehr möglich. „Zu Corona wurde ein E-Learning-Modul entwickelt“, berichtet Bardeau. „Und zusammen mit der Kommunikationsabteilung drehten wir ein Video zum richtigen Umgang mit der Schutzkleidung.“ Passiere dabei nämlich ein Fehler, etwa in der Reihenfolge des Ausziehens, könne man sich selbst kontaminieren. 

Spagat zwischen helfen und Abstand halten

Im März und April hat das Ordensklinikum Linz 494 stationäre Verdachtsfälle versorgt, 80 positive Patienten wurden in diesem Zeitraum aufgenommen, zehn davon auf der Intensivstation. Wie sicher sind die Mitpatienten? „Risikopatienten, Menschen vor bestimmten Operationen und Verdachtsfälle testen wir sehr großzügig“, sagt Bardeau. „Man kann aber nicht hundertprozentig ausschließen, dass jemand, der wegen etwas ganz anderem aufgenommen wurde, nach ein paar Tagen plötzlich Covid-19-Symptome bekommt.“ Kein Spital habe die Kapazitäten, jeden Einzelnen täglich aufs Neue zu testen, nicht zuletzt deswegen setze man ja international so stark auf Hygiene. „Die plötzlich aufgetretenen positiven Fälle hatten wir zum Glück rasch im Griff und Ausbreitungen durch Testungen und Quarantänen verhindert.“ 

Blickt man sich auf den Bettenstationen des Ordensklinikums um, springen auch hier Veränderungen ins Auge. Die Zimmer sind nicht voll belegt. An den Tischen im Speisesaal sitzen nur ein bis zwei Personen. Es wird viel gelüftet. „Zur Visite soll nur so wenig Personal wie möglich kommen, und auch hier gilt natürlich Abstand halten, Maske auf, Handdesinfektion.“ Außer auf der Kinder- und der Palliativstation sind Besuche nicht erlaubt. Und dieser Spagat zwischen helfen und Abstand halten wird vorläufig bleiben.

Menschlich scheint man jedoch, wie in der Außenwelt, auch im Spital näher zusammenzurücken. „Eine nette Geste war etwa, dass uns Kolleginnen an arbeitsintensiven Tagen, an denen wir nicht zum Essen kamen, Kuchen oder Schokolade brachten.“

Text: Uschi Sorz; Bilder: privat, depositphotos.com

Karin Bardeau, Dr. MPH

Hygienebeauftragte im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern

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