INnovation
Gesundheit
Oberösterreich
17.12.2020

"Digitale Lösungen stellen Patienten in den Mittelpunkt"

Die Corona-Krise hat viele Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich vor große Herausforderungen gestellt. Nora Mack, Managerin des Medizintechnik-Clusters Oberösterreich, zieht Bilanz und definiert die bislang größten Lehren aus der Krise.

War der Gesundheitssektor auf eine Krise dieser Dimension vorbereitet?

Nora Mack: Die Vorbereitung auf eine Krise ist immer schwierig, denn sonst gäbe es keine. Gleichzeitig habe ich in den vergangenen Monaten viele Firmen erlebt, die unter diesen extremen Bedingungen ihren Unternehmergeist unter Beweis gestellt und gut auf die Krise reagiert haben.

Inwiefern?

Im Grunde hat jede Krise auch ihre Chancen, und einige haben sie auch ergriffen. Da gab es zum Beispiel Unternehmen, die in der fehlenden Schutzausrüstung die Chance für sich erkannt und kurzfristig umgesattelt haben. In den Bereichen, in denen es eine Zulassung braucht, war das zum Teil sehr herausfordernd, weil damit ein hoher Ressourcenaufwand verbunden war.

Wie haben Sie als Medizintechnik-Cluster auf die Lage reagiert?

Was sich in dieser Situation besonders bewährt hat, ist das Thema der Kooperation. Dazu haben wir im Medizintechnik-Cluster über LinkedIn eine Vernetzungsplattform ins Leben gerufen. Dort konnten nicht nur fertige Produkte ihre Abnehmer finden, in diesem virtuellen Marktplatz wurden auch Kooperationen angebahnt. Ein Beispiel: Gemeinsam mit dem Kunststoff-Cluster legten wir den Grundstein für die Zusammenarbeit zweier heimischer Unternehmen und ermöglichten damit beim Mund-Nasenschutz die vielzitierte regionale Wertschöpfung und die Unabhängigkeit von Importen aus Asien. Auch Bedarfsträger im Krankenhaus sind an uns herangetreten, um Lieferanten zu erreichen. In so einem Fall braucht es die Vernetzung, und durch das Nutzen von Social Media war der Streuradius größer. Wir haben quasi als Drehscheibe fungiert.

Was hat neben der Kooperationsbereitschaft in dieser Zeit sonst noch geholfen?

Das Bundesministerium und die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) haben sehr schnell reagiert und eine eigene Förderschiene, den FFG Emergency Call Covid-19, eingerichtet. Während üblicherweise nur der Innovationsanteil eines Projektes gefördert wird, waren bei diesem Call explizit auch die Bereiche klinische Studien und Zulassung miteinbezogen. Damit wird die Eintrittshürde in die Medizintechnik-Branche gesenkt und ein nachhaltiger Nutzen gestiftet. In Oberösterreich wurden auf diese Weise fünf innovative Projekte aus den Bereichen Diagnostik und Prävention gefördert.

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Damit Innovation in der Medizintechnik sichergestellt werden kann, ist es aus meiner Sicht nötig, dass die Zulassung von Medizinprodukten samt klinischer Studien künftig standardmäßig gefördert wird. Hinzu kommt, dass es in Österreich seit Ende 2017 keine Benannte Stelle gibt, das heißt keine Auditier- und Zertifizierstelle. Dies hat dazu geführt, dass österreichische Unternehmen auf Benannte Stellen im Ausland ausweichen mussten. Aktuell läuft das Benennungsverfahren für eine österreichische Stelle mit Niederlassungen in Wien und Oberösterreich, was einen klaren Standortvorteil bringen wird.

"Der mündige Patient von heute will Diagnosen und Therapien besser verstehen und die Hoheit über seine Daten haben."

Die Pandemie hat die Digitalisierung massiv vorangetrieben, zum Beispiel in Form von Telemedizin und digitalen Verschreibungen. Wo hat sich die Digitalisierung sonst noch bewährt?

Digital Health ist ein absoluter Zukunftsmarkt, das merkt man in Oberösterreich besonders stark bei den Medizintechnik-Start-ups, die im MedTech-Inkubator begleitet werden. Als Beispiel möchte ich die App Vivellio des Unternehmens Blockhealth nennen. Mit diesem digitalen Gesundheitsassistenten verwalte ich meine eigenen Gesundheitsdaten und kann diese auf Wunsch mit Ärzten teilen. Die Anwendung trifft sehr gut das Prinzip des Patient Empowerment. Der mündige Patient von heute will Diagnosen und Therapien besser verstehen und die Hoheit über seine Daten haben. 

Sehen Sie noch andere Treiber der Digitalisierung?

Vor allem bei der Digital Patient Journey gibt es zwei sehr starke Treiber. Das ist zum einen der Kostendruck und damit einhergehend der Ruf nach Effizienzsteigerung. Zum anderen gibt es einen gesellschaftlichen Treiber durch neue Technologien und Anwendungen. Dabei spielt das App- oder Plattform-gestützte Self-Assessment von Patienten eine immer größere Rolle. Dies bringt mitunter eine Verschiebung mit sich – von der reinen Therapie hin zur Prävention, von der kurativen zur prädiktiven Medizin.

Gibt es noch Anlaufschwierigkeiten bei der Digitalisierung?

Digitale Lösungen stellen die Patienten in den Mittelpunkt: Eine durchgängige Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten von der Prävention bis zur Nachsorge ermöglicht, dass Entscheidungen schneller und auf einer verlässlicheren Datenbasis getroffen werden. Die personalisierte Medizin wird vorangetrieben und gleichzeitig lassen sich systematisch Therapieansätze für vergleichbare Fälle ableiten. Was noch ausgebaut werden muss, ist das Thema der Interoperabilität. Es fehlt zum Teil noch an den nötigen technischen Schnittstellen, um genau diese Durchgängigkeit zu erleichtern.

Durch die steigende Digitalisierung gibt es immer mehr internationale, gewinnorientierte Anbieter am Markt. Wie können sich Patienten hier künftig zurechtfinden?

Die gewinnorientierten Anbieter bringen auch eine Beschleunigung für den Markt. Das österreichische Gesundheitsportal Elga muss sich beeilen, um hier mithalten zu können. Wenn es allerdings um kritische Gesundheitsdaten geht, definiert die Gesetzgebung ganz klar, dass Software, die der Prognose von Krankheiten dient, als Medizinprodukt eingestuft und damit als solches zugelassen werden muss. Ein Siegel wie „Zugelassenes Medizin-Produkt“ könnte sowohl eine Orientierungshilfe für Patienten als auch einen Wettbewerbsvorteil für heimische Anwendungen bieten.

Interview: Gertraud Gerst; Bilder: pixabay, Business Upper Austria

Nora Mack, BSc. MBA

Managerin des Medizintechnik-Clusters der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria

Gemeinsam mit dem Medizintechnik-Cluster Tech2b startete sie MedTech Inkubator, ein neues Gründungsprogramm für medizintechnische Start-ups.

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