„Wir sind auf Krisen- und Katastrophenszenarien gut vorbereitet“
Rund drei Monate prägte Corona den Alltag des Roten Kreuzes. Im Interview erzählt Walter Aichinger, Präsident der oberösterreichischen Landesorganisation, welche Erkenntnisse die Pandemie brachte.
Die Corona-Pandemie ist längst noch nicht ausgestanden, derzeit steigen die Fallzahlen wieder leicht an. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Walter Aichinger: Die momentan leicht steigenden Fallzahlen in Österreich sind sicherlich auf die Lockerung der Präventionsmaßnahmen wie der Maskenpflicht zurückzuführen. Eine zweite Welle kann natürlich jederzeit möglich sein.
Wann wurde Ihnen klar, dass das Coronavirus auch in Österreich viele Menschen krank machen wird?
Ich habe natürlich den Vorteil, dass ich bis zu meinem Ruhestand Primar für Mikrobiologie und Hygiene im Klinikum Wels-Grieskirchen war. Daher konnte ich die Informationen, die aus Italien, Frankreich und Spanien kamen, anders bewerten. Ein Grund auch, warum das OÖ. Rote Kreuz bereits am 26. Februar mit dem Stabsbetrieb startete. Ab diesem Zeitpunkt hatten wir sowohl auf der Landesebene als auch auf der Bezirksebene definierte Mitarbeitergruppen, die rund um die Uhr im Einsatz waren, ohne dass es zu Abweichungen oder Verzögerungen in den anderen Bereichen kam.
Welche Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie konnten Sie denn rasch umsetzen?
Das OÖ. Rote Kreuz hatte von Anbeginn im Krisenstab des Landes die technische Einsatzleitung inne. Im Zuge des COVID-19-Einsatzes setzten wir daher erforderliche Entscheidungen rasch um. Dazu zählten beispielsweise die Schleusen-Zelte, die wir gleich einen Tag nach Beschluss vor den Spitälern aufgebaut haben, um den Zugang von Patienten hinsichtlich der Infektionsminimierung zu managen und das Besuchsverbot zu organisieren. Mit Stichtag 15. Mai betrieben wir landesweit 13 mobile Abnahmeteams und 10 Drive-In-Standorte. Um dieses einmal in Zahlen auszudrücken: Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir 12.031 mobile und 13.780 Probeentnahmen via Drive-In in die Labore transportiert. Landesweit wurden zudem neun Sanitätssammelstellen und Quarantänequartiere errichtet, um Spitäler im Bedarfsfall zu entlasten. Das alles konnten wir in relativ kurzer Zeit organisieren.
Gab es denn Aspekte, die anfangs Ihre Arbeit erschwert haben?
Nein, die gab es nicht. Als landesweit größte humanitäre Hilfsorganisation sind wir auf derartige Krisen- und Katastrophenszenarien gut vorbereitet. Daher können wir aufgrund der vordefinierten Stabsstruktur die Mitarbeiter dementsprechend rasch in die operative Umsetzung bringen.
„Wir sind es ja gewöhnt mit Infektionspatienten in Kontakt zu kommen. Denken Sie an die hochansteckende Influenzainfektion.“
Gab es Probleme in anderen Bereichen wie beispielsweise bei Schutzkleidung oder Ausrüstung?
Nein, wir sind es ja gewöhnt mit Infektionspatienten in Kontakt zu kommen. Denken Sie an die hochansteckende Influenzainfektion. Um Personen, die tatsächlich oder möglicherweise an COVID-19 erkrankt sind, zu transportieren, setzten wir spezielle, leicht zu desinfiziernde Transportfahrzeuge ein. Sie sind nach wie vor im gesamten Bundesland im Einsatz. Zudem führen wir eine Online-Plattform für Mitarbeiterinformationen, auf der wir flexibel reagieren und in Rekordzeit neue Erkenntnisse zur jeweiligen Situation einspeisen können. Im Laufe unseres Corona-Einsatzes mussten wir rasche Entscheidungen treffen und umsetzen. Da kam uns die Stabsstruktur zugute.
Entscheidend für uns ist aber immer auch das Vertrauen der Mitarbeiter. Um ihnen die Angst vor einer Infektion zu nehmen, stellten wir ihnen auch Selbsttests zur Verfügung, so dass jeder Mitarbeiter seinen Gesundheitsstatus immer wieder überprüfen konnte. Ich freue mich sagen zu können, dass wir bisher keinen einzigen infizierten Mitarbeiter haben.
Wie lief denn die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen und Organisationen wie der Freiwilligen Feuerwehr und Gesundheitsversorgern?
Sehr gut. Dank guter Vorbereitungen und eng abgestimmter Zusammenarbeit mit der telefonischen Gesundheitsberatung 1450, den Bezirken und Behörden aber auch bundesweit konnten wir gemeinsam Ideen entwickeln und zügig auf die Situation reagieren. Besonders die Gesundheitsberatung 1450 hat gezeigt, dass eine derartige Hotline ein zentraler Bestandteil einer Krisenbewältigung ist. In der Hochzeit der Pandemie hatten wir täglich mehr als 2.000 Anrufe. Um diese bewältigen zu können, verstärkten wir das Personal.
Wie steht es um Ihre personellen Kapazitäten, sollte eine zweite Welle kommen?
Ich sehe da für das OÖ. Rote Kreuz kein Problem. Im Laufe des Corona-Einsatzes konnten wir zusätzlich 500 freiwillige Mitarbeiter gewinnen, die ihre Expertisen einbringen und mithelfen möchten.
„Gerade jetzt, wo die Maßnahmen immer mehr gelockert werden und dadurch die Gefahr von Corona-Clustern zunimmt, ist die Stopp-Corona-App ein notwendiges Tracing-Tool.“
Die Corona-App ist in Deutschland mit 6,5 Millionen Downloads stark gestartet, mittlerweile wurde sie insgesamt 12 Millionen mal installiert. In Österreich hat die Stopp-Corona-App des Roten Kreuzes seit Beginn mit Image-Problemen zu kämpfen. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
Leider hat es aus unserer Sicht eine völlig unbegründete Kritik an der Datensicherheit gegeben. Auch die Aussagen von Politikern über einen verpflichtenden Download der Tracing-App haben zum negativen Image beigetragen. So eine Verpflichtung ist gerade für uns als Organisation, die das Prinzip der Freiwilligkeit verfolgt, indiskutabel. Hier hätte man vielmehr die Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit einer solchen App ansprechen müssen. Hinderlich waren auch so manche technischen Probleme. Wir sind jedoch dabei, die App Schritt für Schritt zu verbessern. Gerade jetzt, wo die Maßnahmen immer mehr gelockert werden und dadurch die Gefahr von Corona-Clustern zunimmt, ist die App ein notwendiges Tracing-Tool.
Zum Abschluss noch Ihr persönliches Resümee?
Unsere bisher im Einsatz gewonnenen Erkenntnisse stellen eine gute Grundlage dar, auf die wir im Fall einer zweiten Welle oder bei einem ähnlichen Einsatz binnen kürzester Zeit aufbauen können.
Interview: Rosi Dorudi; Bilder: Rotes Kreuz
Walter Aichinger, Dr.
Präsident des OÖ. Roten Kreuzes
Aichinger war ab 1998 Vizepräsident und ist seit November 2011 Präsident des OÖ. Roten Kreuzes. Bis zu seinem Ruhestand war er Primar für Mikrobiologie und Hygiene im Klinikum Wels-Grieskirchen. Aichinger war 19 Jahre Landtagsabgeordneter und acht Jahre Landesrat. Für sein Engagement für Mitmenschen und die Gemeinschaft wurde ihm 2019 das Große Ehrenzeichen des Landes OÖ überreicht.