Mittels künstlicher Intelligenz gegen Darmkrebs
Krebsfrüherkennung kann Leben retten. Signifikant dazu beitragen soll zukünftig die künstliche Intelligenz (KI). Am Ordensklinikum Linz wird zurzeit die neuartige Endoskopie-Technologie GI Genius™ – Artificial Intelligence erprobt.
Jährlich werden in Österreich rund 5.000 Menschen mit der Diagnose Darmkrebs konfrontiert. Dabei können durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen des Darms Vorstufen eines Tumors in einem frühen Stadium entdeckt und der Ausbruch von Darmkrebs verhindert werden. „Das Entfernen von Darmpolypen ist eine Investition in die Zukunft“, sagt Rainer Schöfl, Vorstand der Abteilung Gastroenterologie am Ordensklinikum Linz, „das ist auch der Grund, warum die Häufigkeit des kolorektalen Karzinoms in vielen westeuropäischen Ländern beginnt zurückzugehen.“
Allein in Österreich ist in den letzten 20 Jahren die Zahl der Neuerkrankungen an Dickdarmkrebs um 33 Prozent gesunken. „Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Anzahl der Polypen weit über der Anzahl des Dickdarmkrebses liegt. Und nachdem es sich noch nicht vorhersehen lässt, welcher Polyp gefährlich werden kann, werden eben alle entfernt“, sagt Schöfl. „Andererseits ließe sich die Erkennungsrate von Polypen noch verbessern, wenn nicht immer wieder welche übersehen werden.“ Gerade kleine Adenome sind flach und oft in den Falten der Darmwand verborgen, wodurch sie selbst mit hochauflösenden Endoskopie-Geräten übersehen werden können.
Dem Darmkrebs auf der Spur
Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz könnte daher auch in der Endoskopie zunehmend eine wichtige Rolle in der Darmkrebsvorsorge einnehmen. Zurzeit erprobt Schöfl am Ordensklinikum Linz die Endoskopie-Technologie GI Genius™ – Artificial Intelligence. Schöfl: „Das System besteht aus einem kleinen Kasten, der sich an das Koloskopie-Gerät anschließen lässt. Bei der Untersuchung kommen dann neuronale Netzwerke zur Anwendung.“ Basierend auf Deep-Learning-Algorithmen ergänzt das GI Genius™ Modul die Koloskopie durch eine Bild-Analyse in Echtzeit. Findet das Modul eine Veränderung der Darmschleimhaut, weist es die Endoskopiker mit einer visuellen Markierung oder einem akustischen Signal darauf hin.
„Diese Systeme sind noch so eingestellt, dass sie lieber zu viele Informationen geben, damit nichts übersehen wird“, konstatiert Schöfl. „Diese Sensitivität geht allerdings auf Kosten der Spezifität, also der Richtigkeit der Aussage.“ Das System fungiert somit als virtueller Zweituntersucher, das den Arzt dabei unterstützt, mehr Polypen und Adenome zu erkennen. „Fest steht, dass wir mithilfe des Geräts bis zu 50 Prozent mehr Polypen entdecken - allerdings fast nur kleine und sehr kleine. Ob diese potentielle Krebserreger sind, lässt sich aber mittels der künstlichen Intelligenz noch nicht sagen.“
Einsatzreife noch nicht absehbar
Die nächste Generation des Endoskopie-Moduls GI Genius™ ist bereits darauf angelegt, Risikoareale zu erkennen, um eine Abtragung präziser zu machen. „Zukünftig soll es also möglich sein, bereits bei der Koloskopie zu erkennen, ob es sich bei einem Polypen um eine Darmkrebsvorstufe, also ein Adenom handelt, das entfernt werden muss, oder es sich um eine eher ‚harmlose‘ Wucherung, also eine Hyperplasie handelt, die belassen werden kann“, so Schöfl. „Das Gerät, das wir jetzt zur Verfügung haben, ist noch nicht in der Lage, zwischen Adenomen und hyperplastischen Polypen zu unterscheiden.“
Es ist also noch eine Menge Forschungsarbeit nötig, ob die künstliche Intelligenz in der Endoskopie den Darmkrebs zum Teil verhindern kann. „Ob durch den Einsatz solcher Module am Ende des nächsten Jahrzehnts weniger Menschen an Dickdarmkrebs erkranken oder die Sterblichkeit an Dickdarmkrebs abnimmt, das können wir noch gar nicht abschätzen“, so Schöfl. „Die Technik entwickelt sich aber rasant weiter und möglicherweise wird es zukünftig dazu kommen, dass diese künstliche Intelligenz in jedem Endoskopiegerät eingebaut ist - ob es den Patienten aber tatsächlich gesünder macht, bleibt abzuwarten.“
Text: Rosi Dorudi; Bilder: Medtronic Österreich GmbH, Ordensklinikum
Rainer Schöfl, Dr.
Leiter der 4. Internen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Stoffwechsel des Ordensklinikums Linz
Schöfl studierte Medizin in Wien und habilitierte sich 1998. Zwischen 1991 und 2001 war der Internist als Oberarzt an der klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Universitätsklinik für Innere Medizin IV in Wien tätig. Er engagiert sich außerdem in der österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie und leitete unter anderem die Arbeitsgruppe Endoskopie (1998–2002). 1999 wurde er in das Editorial Board der Zeitschrift „Endoscopy“ berufen. Seit 2001 ist er Leiter der 4. Internen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Stoffwechsel des Ordensklinikums Linz.