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Gesundheit
Österreich
31.08.2022

Forschung in Bewegung

Das Labor für Gang- und Bewegungsanalyse am Orthopädischen Spital Speising zählt in Österreich zu den modernsten Einrichtungen seiner Art. Unter der Leitung des Sportwissenschaftlers Andreas Kranzl wird seit über 25 Jahren nach der Ursache von Gangstörungen gesucht und an zukunftsweisenden Studien geforscht. 

Gehen ist ein hochkomplexes Zusammenspiel von Gelenken, Knochengerüst, Muskulatur, Nerven, Sinnessystemen und Gehirn. Die Ursachen für Gangstörungen sind dementsprechend vielfältig und eine Behandlung erst dann möglich, wenn die Auslöser dafür geklärt sind. Seit 1996 macht sich Andreas Kranzl am Orthopädischen Spital Speising auf Spurensuche nach möglichen Ursachen von bewegungsbedingten Anomalien, Schmerzen oder Ineffizienzen beim Gehen oder Laufen. „Mithilfe unserer computergestützten Auswertungen können wir den Bewegungsablauf der betroffenen Patientinnen genauer betrachten und etwaige Abweichungen mit Normdaten vergleichen“, erzählt Kranzl. Dazu werden kleine reflektierende Marker auf bestimmte Knochenpunkte der Patientinnen geklebt und deren Gang anschließend von 17 Infrarot-basierten Kameras aufgezeichnet. Jede einzelne von ihnen fertigt 150 Bilder pro Sekunde an. Ein sogenanntes Motion-Capture-System errechnet daraus ein 3D-Model, das eine genaue Analyse von Belastungen der Gelenke, fehlerhaften Bewegungsabläufen, Bewegungseinschränkungen und Gangasymmetrien ermöglicht. „Basierend darauf können wir Rückschlüsse auf krankhafte Ursachen ziehen und den zuweisenden Ärztinnen* und Ärzte*  einen Baustein für die passende Therapiebehandlung liefern“, konstatiert Kranzl. 

Gangstörungen bei Kindern

Während Gangstörungen bei Erwachsenen meist über die Jahre hinweg aufgrund von Gelenkabnutzungen oder neurologischen Erkrankungen entstehen, sind bewegungsbedingte Anomalien bei Kindern häufiger angeboren und können sich während des Wachstumsalters weiter verschlechtern. Nicht selten ergibt erst eine Ganganalyse den entscheidenden Hinweis auf ein medizinisches Problem. „Nahezu 90 Prozent unserer Patient*innen sind Kinder, wobei ungefähr die Hälfte neuromotorische Störungen aufweisen“, erzählt Kranzl. Mithilfe der Analyse sei gerade bei Kindern mit zerebraler Bewegungsstörung eine verbesserte Operationsplanung möglich. Die sogenannte infantile Zerebralparese entsteht durch Fehlbildungen des Gehirns, während der Gehirnentwicklung vor der Geburt oder durch einen Gehirnschaden vor, während oder kurz nach der Geburt. Die Symptome reichen von kaum merklicher Unbeholfenheit über erhebliche Bewegungsstörungen in einer oder mehreren Gliedmaßen bis hin zur Lähmung und zu Gelenken, die so steif werden, dass sie nicht mehr bewegt werden können.

Fehlbelastungen im Visier

Ein weiterer Schwerpunkt des Labors für Gang-und Bewegungsanalyse liegt auf der biomechanischen Forschung und Evaluation von Analysemethoden. „Zu unseren aktuell laufenden internen Forschungsprojekten zählt die Untersuchung von Achsenfehlstellungen an den unteren Extremitäten, die zu erheblichen Überbelastungen an den Gelenken und damit zu einem frühzeitigen Verschleiß, der Arthrose, führen“, so Kranzl. „Wir arbeiten aber auch immer wieder mit externen Forschungspartnern wie der technischen Universität Wien zusammen.“ Zurzeit forsche das Team mit der FH St. Pölten an verschiedenen Themen, darunter dem Projekt MLKOA - Motor Learning and Knee Osteoarthritis. Im Fokus stünden Patient*innen mit Kniearthrose. „In zwei Gruppen aufgeteilt, vergleichen wir die kurz- und mittelfristigen Effekte eines auf motorischen Lernmethoden beruhenden Trainingsprogramms mit der herkömmlichen Trainingsmethode.“ Ein weiteres Projekt, an dem gemeinsam mit der FH St. Pölten geforscht wird, beinhalte die Anwendung von Data Mining und Machine Learning mithilfe von Messdaten aus der klinischen 3D-Ganganalsye. „Hier werden automatische Klassifikationsalgorithmen generiert, die in der Datenbank Ähnlichkeiten bei Gangmustern und den damit verbundenen Diagnosen suchen, um eine datenbasierte Grundlage für Therapiekonzepte zu schaffen.“ 

Kompetente Beratung

Das Gang- und Bewegungslabor am Orthopädischen Spital Speising ist auch Anlaufstelle, wenn es um kompetente Beratung bei Hobbysportarten wie Laufen oder Radfahren geht. „Für das Linzer Holzfahrrad-Startup Unternehmen My Esel haben wir 2021 unser Wissen für eine biometrische Software zur Verfügung gestellt, mit der sich die optimale Rahmengröße für die maßangefertigten Holzfahrräder berechnen lässt“, erzählt Kranzl. Neben der Zusammenarbeit und Durchführung von Projekten mit Partnern aus der Industrie betreut das Team rund um Andreas Kranzl auch Student*innen bei ihren Bachelorarbeiten, Masterarbeiten oder bietet eine Mitbetreuung von PhD-Arbeiten der verschiedensten universitären Einrichtungen, Fachhochschulen und Lehrgängen an.

Text: Rosi Dorudi; Foto: depositphoto.com

Andreas Kranzl, Dr. rer. nat.

Leiter des Labors für Gang- und Bewegungsanalyse am Orthopädischen Spital Speising

Der in Kirchdorf an der Krems geborene Kranzl studierte Sportwissenschaften an der Universität Wien, an der er 2008 auch promovierte. Er besitzt eine langjährige Erfahrung im Bereich der Bewegungsanalyse, im speziellen im Bereich der klinischen Bewegungsanalyse. Seit 1996 zeichnet er für den Aufbau und die Leitung des Labors für Gang- und Bewegungsanalyse am Orthopädischen Spital Speising verantwortlich. Er ist Mitglied in nationalen und internationalen Fachgesellschaften, teilweise auch im Vorstand der Gesellschaften.

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