Achtsam am Krankenbett religiöser Menschen
Für streng religiöse Menschen können Gebets- oder Speisevorschriften und andere Gebote und Regeln im Alltag äußerst wichtig sein – auch wenn sie als Patient*innen ins Krankenhaus kommen. Der Theologe Martin Jäggle erläutert, wie Ärzt*innen, Pflegepersonen und Spitalsverwaltungen mit solchen Anforderungen am besten umgehen.
Für viele von uns ist Religion etwas Äußerliches geworden. Wir wurden vielleicht getauft. Wir heiraten eventuell mit einer religiösen Zeremonie oder werden mit geistlichem Beistand am Ende unseres Lebens verabschiedet. Aber es gibt unter uns auch Menschen, für die Religion ein Teil des täglichen Lebens ist. Mit Anforderungen an sich selbst – aber auch an die Menschen rund um sie herum. Wie gehen Ärzt*innen und Pflegepersonen im Spitalsalltag damit gut um?
Antworten auf diese Frage gab es bei den Maimonides Lectures 2024. Ihr Thema: „Medical Humanities. Ärzt*innen am Bett religiöser Patient*innen.“ Mit dabei: Prof. Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und Altdekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
Wenn wir im Spital von einer Normalität ausgehen, dann sei das die Normalität des weißen Mannes, sagt Jäggle. Aber in unserer multiethischen Gesellschaft ist normal, verschieden zu sein. Verschiedene Muttersprachen zu haben. Und Beschwerden so auszudrücken, wie man es in dieser Muttersprache gewohnt ist. Ein Beispiel unter vielen: Wo in Österreich geborene und aufgewachsene Menschen wohl sagen würden: „Ich habe Herzschmerzen“, würde ein Mensch aus der Türkei wahrscheinlich sagen: „Ich habe Brustschmerzen“, würde die Schmerzen nicht einem Organ zuordnen. Aber würden diese Menschen nicht sagen, was sie brauchen, fragt Jäggle. „Sie werden das in einer für sie fremden Umgebung, die ihnen signalisiert: ‚hier sind wir die Expert*innen‘, oft nicht tun.“ Ein Plädoyer für Einfühlsamkeit, für Wertschätzung.
Bei Patient*innen nachfragen
Und wie ist das bei streng religiösen Patient*innen? Also Menschen, die etwa Gebets- oder Speisevorschriften beachten, aber möglicherweise auch eigene Regeln für den Kontakt mit Pflegepersonal und Ärzt*innen haben? Menschen, „bei denen das ganze Leben religiös eingehaust ist“, wie Jäggle es nennt. Sowohl im Judentum als auch im Islam beispielsweise gibt es allgemeine Regeln für den Umgang mit Krankheit und Spitalsaufenthalt. Aber, sagt Jäggle, in beiden Religionen sind die Menschen frei, auch Regeln zu beachten, an die sie sich als Patient*innen eigentlich nicht halten müssten.
„Wichtig ist, die Patient*innen selbst zu fragen, wie sie im Spital beachtet, geachtet und behandelt werden wollen“, empfiehlt Jäggle. Man könnte auch mit Zu- und Angehörigen sprechen und über sie erfahren: Worauf würde die Patientin, der Patient Wert legen?
Ein Beispiel, worauf im Spital bei muslimischen Patient*innen geachtet werden sollte, ist das Fasten im Ramadan. Es ist das gemeinsame Fasten der gesamten islamischen Gemeinschaft. Erst nach Sonnenuntergang darf etwas eingenommen werden. Dieses Fastenbrechen ist kein normales Essen – es ist auch immer ein wenig festlich. Was aber heißt das für muslimische Patient*innen im Spital, wo das Abendessen um 17:00 Uhr serviert wird? Und wo nach Sonnenuntergang niemand mehr ein muslimisches Fastenbrechen-Essen bringen kann? Und das bei einem längeren Spitalsaufenthalt?
Zwar gibt es im Islam die klare Botschaft, dass Kranke vom Fasten entpflichtet sind. Aber: Jede Muslimin und jeder Muslim entscheidet selbst, ob sie oder er das in Anspruch nimmt. Also hilft es nicht, dieser Person zu sagen: „Sie brauchen ja eh nicht zu fasten, Sie sind ja befreit.“ Martin Jäggle empfiehlt, einen islamischen Seelsorger zu bitten, mit Patient*innen zu sprechen, wenn das späte Abendessen die Logistik des Spitals überfordert.
Zum Fasten kommt allerdings noch etwas dazu. Es soll vor dem Sonnenuntergang nichts in den Körper aufgenommen werden außer die Atemluft. Wie also ist es mit Infusionen? Wie ist es mit Injektionen? „Bei Lebensgefahr gilt: Was lebensnotwendig ist, muss geschehen“, sagt Jäggle. „Und vielleicht hilft bei streng religiösen muslimischen Patient*innen der Hinweis, dass der Islam eine Religion des Lebens und des Wohlergehens ist.“
Ein Thema ist auch das Beten zu bestimmten Tageszeiten. Was, wenn zu diesem Zeitpunkt gerade eine Behandlung erfolgt? Man wird im Spital verlangen dürfen, dass das Gebet zu einem anderen Zeitpunkt nachgeholt wird.
Für streng religiöse jüdische Patient*innen ist der Schabbat der zentrale Tag der Woche, mit Regeln, die es zu beachten gilt. Hier hat das Krankenhaus die Pflicht, behilflich zu sein, den Schabbat zu ermöglichen, ebenso wie hohe Feiertage.
„Keine religiöse Patientin, kein religiöser Patient ist legitimiert, das Krankenhaus auf den Kopf zu stellen. Aber es muss immer getrachtet werden, innerhalb dieses Systems Wertschätzung zu vermitteln und Möglichkeiten zu bieten, authentisch bleiben zu können,“ betont der Experte.
Text: Josef Broukal
Foto: Fernando Zhiminaicela auf Pixabay