„Die Pflege muss noch selbstbewusster werden!“
Um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen, braucht die Pflege weitere Kompetenzen, schlaue digitale Unterstützung und noch mehr Selbstbewusstsein: Davon ist Angela Huber, neue Pflegedirektorin am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried, überzeugt.
Sie sind seit wenigen Wochen für die Pflege im größten Spital des Innviertels verantwortlich. Was beschäftigt Sie in Ihrem neuen Job derzeit am meisten?
Angela Huber: Es gilt viel Neues zu lernen, Kontakt zu den Mitarbeitenden zu halten und zu erkennen, was sie in ihrem täglichen Tun brauchen und was dabei vielleicht noch fehlt. Ich habe es mit meinen Besuchen schon fast in alle Abteilungen geschafft. Persönlich beschäftigt es mich, gut in meine neue Funktion hineinzufinden. Ich bin ja bereits lange im Haus und stelle fest, dass ich von manchen nun anders wahrgenommen werde als bisher. Über allem steht natürlich die große Herausforderung, mit der alle Pflegeverantwortlichen angesichts der demografischen Entwicklung konfrontiert sind, Stichwort Pflegemangel.
Sie kommen aus der praktischen Pflege. Fehlt Ihnen im Pflegemanagement der Kontakt zu den Patient*innen?
Kontakte zu Patient*innen gibt es weiterhin, in der einen oder anderen Form. Ich bin nach wie vor öfter in der weißen Dienstkleidung im Haus unterwegs, das ist mein Berufsgewand. Da werde ich oft von Patient*innen angesprochen und kann mit ihnen kommunizieren. Unmittelbare pflegerische Tätigkeiten gehen sich jetzt nicht mehr aus und sind auch nicht meine Aufgabe. Wie sehr sie mir auf lange Sicht fehlen werden, weiß ich jetzt noch nicht.
Sie haben schon erwähnt, dass Sie seit vielen Jahren in der Pflege tätig sind. Wie hat sich das Pflegeverständnis in dieser Zeit verändert?
Sicherlich hat sich die Pflege von einer dienenden, sozusagen „zutragenden“ Rolle zu einem selbstbewussteren Beruf entwickelt. Die Novellierung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes hat mehr Eigenverantwortung gebracht, auch die Akademisierung war richtig und notwendig. Die akademische Ausbildung schafft wissenschaftliches Verständnis und hat den Pflegeberuf deutlich aufgewertet. Es wurde schon vieles erreicht, aber wir sind noch lange nicht dort, wo wir sein sollen und wollen. Die Welt verändert sich schnell, und auch die Pflege muss sich weiterentwickeln, um attraktiv zu bleiben.
"Sicherlich hat sich die Pflege von einer dienenden, sozusagen ´zutragenden´ Rolle zu einem selbstbewussteren Beruf entwickelt."
Pflege scheint aber schon heute für viele nicht attraktiv zu sein, wie der zunehmende Mangel an Pflegekräften zeigt.
Pflege ist ein großartiger Beruf mit so vielen Möglichkeiten und hoher Fachexpertise. Pflege-Expert*innen können sich in unterschiedlichsten Bereichen spezialisieren, wobei auch die Grundpflege Spezialistentum bedeutet, das möchte ich betonen. Pflegepersonen können beratend tätig sein, sie können unterrichten, sich selbständig machen und vieles mehr. Das ist leider noch nicht in allen Köpfen angekommen, wenn es um die Berufswahl geht. Pflegejobs bieten auch die Chance, flexibel in andere Berufsfelder zu wechseln. Akutpflege, Langzeitpflege, Reha, mobile Dienste – da gibt es viele Möglichkeiten. Man muss auch nicht den Arbeitgeber wechseln, wenn die Arbeitszeiten nicht mehr zur aktuellen Lebenssituation passen. Unser Haus bietet zum Beispiel mehr als 600 individuelle Arbeitszeitmodelle an. Tatsache ist, dass wegen der Bevölkerungsentwicklung die Ressource Mensch auf dem Arbeitsmarkt zunehmend rar wird. Darum muss jeder Betrieb die Menschen noch mehr schätzen. Eben weil die Pflege ein Mangelberuf ist, geht es aber auch darum, die vorhandenen Kapazitäten optimal auszuschöpfen. Deshalb wäre es sinnvoll, die Kompetenzen der Pflege nochmals zu erweitern, zum Beispiel bei den Tätigkeiten von Pflegeassistenten und Pflegefachassistenten. Das würde das tägliche Tun erleichtern.
Sind Pflegeberufe nicht gut genug bezahlt?
Wir sehen in unserer Region mit vielen starken Leitbetrieben, dass es oft schwierig ist, mit Unternehmen über finanzielle Anreize zu konkurrieren. Das ist uns aufgrund unserer Finanzierung aus öffentlichen Mitteln nicht möglich. Manche Gehaltsvergleiche hinken, aber gegenüber bestimmten Branchen klaffen doch erhebliche Lücken, schließlich ist Pflege auch herausfordernd und oft anstrengend. Die Gesellschaft wird sich über kurz oder lang fragen müssen: Was ist uns die Betreuung von Menschen, die Pflege brauchen – und das können schon morgen unsere Angehörigen sein – wert? Das entscheiden nicht die Spitalsträger allein, das ist ein politisches Thema. Genauso wichtig ist aber: Wir, die wir in der Pflege tätig sind, müssen allen zeigen, dass wir einen tollen Job haben, in dem Begeisterung und Leidenschaft stecken. Das steht auch im Mittelpunkt einer Pflegekampagne der Vinzenz Gruppe, die die einzelnen Häuser nun regional umsetzen werden.
Was bedeuten Digitalisierung und Künstliche Intelligenz für die Zukunft der Pflege?
Da der Faktor Mensch immer mehr zum Flaschenhals wird, werden wir digitale Unterstützungssysteme brauchen, etwa an den Schnittstellen unterschiedlicher Programme. Sie müssen aber gut erprobt und evaluiert werden, damit daraus keine zusätzliche Belastung für die Mitarbeiter*innen wird. Und sie müssen tatsächlich einen Nutzen bringen. Wir stehen bei vielen Dingen noch am Anfang. Dass Pflegeroboter die Zukunft sind, möchte ich nicht sagen, aber Serviceroboter könnten uns schon helfen.
"Da der Faktor Mensch immer mehr zum Flaschenhals wird, werden wir digitale Unterstützungssysteme brauchen, etwa an den Schnittstellen unterschiedlicher Programme."
Wo sehen Sie die Pflege in zehn Jahren?
Sie wird noch spezialisierter sein, hoffentlich noch selbstbewusster und in ihrer Position weiter gestärkt. Sie wird sich schlauer digitaler Unterstützung bedienen, weil es gar nicht anders gehen wird. Und sie wird manche Führungsstrukturen überdenken und neue Berufsfelder entwickeln.
Wenn Sie heute noch einmal vor der Berufswahl stünden – würden Sie sich wieder für die Pflege entscheiden?
Auf jeden Fall. Es ist für mich der schönste Beruf der Welt.
Interview: Josef Haslinger
Angela Huber, MSc, MBA
Pflegedirektorin im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried
Huber hat ihre Ausbildung zur Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin in Linz absolviert und arbeitet seit 2009 im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried. Sie war Bereichsleiterin verschiedener Stationen und Zentren und hat bereichsübergreifende Projekte umgesetzt. Berufsbegleitend absolvierte sie zwei Masterstudien an der Donau Universität Krems (Management Gesundheitswesen, Master of Business Administration) und eine Ausbildung zur Qualitätsmanagement-Fachkraft. Seit September 2022 ist die Innviertlerin Pflegedirektorin im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried.