Mit neuen Ausbildungen gegen den drohenden Pflegenotstand
Immer mehr Pflegebedürftige, immer weniger Pflegende: Angesichts dieser Entwicklung werden auch in Oberösterreich die Warnungen vor einem drohenden Pflegenotstand lauter. Neue Wege in der Ausbildung sollen helfen, Pflegeberufe attraktiver zu machen und Lücken in der Versorgung zu verhindern. Die Lösungsansätze sind durchaus unterschiedlich.
Die Pflege ist die weitaus größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen – doch zugleich ist der zunehmende Mangel an Pflegefachkräften „eine der größten Baustellen im Gesundheitssystem“, sagt etwa Ärztekammer-Präsident Dr. Thomas Szekeres. Dass der Bedarf an Pflegeleistungen deutlich wachsen wird, zeigt allein schon der Blick auf die demografische Entwicklung: Die Lebenserwartung steigt und damit auch die Zahl derer, die Pflege benötigen. Im Jahr 2050 wird es in Österreich dreimal so viele über 80-Jährige geben wie heute, und die Zahl der Pflegegeldbezieher wird laut WIFO von derzeit 455.000 auf 700.000 klettern.
Schere geht weiter auf
Schon für die nächsten zehn Jahre wird ein Zuwachs von 20 Prozent erwartet, denn allmählich kommen auch die geburtenstarken Jahrgänge der „Babyboomer“-Generation in die Jahre. Gleichzeitig erreichen auch immer mehr Pflegende selbst das Pensionsalter, während weniger junge Menschen in Pflegeberufe einsteigen – das lässt die Schere nochmals weiter aufgehen.
Dass weniger Pflegekräfte nachkommen, liegt allerdings nicht nur an der Demografie. Obwohl der Gesundheitsbereich eine der stärksten Wachstumsbranchen ist, gelten Jobs in der Pflege vielfach als wenig attraktiv. Man verbindet damit oft hohe Arbeitsbelastung, unregelmäßige Arbeitszeiten, wenig Eigenverantwortung und nicht zuletzt mangelnden Stellenwert im System. Der Anteil derer, die binnen weniger Jahre aus dem Beruf wieder aussteigen, ist vergleichsweise hoch.
Langzeitpflege besonders betroffen
Erste Personal-Engpässe zeichnen sich bereits heute ab. Das betrifft zwar auch Krankenhäuser, wo mancherorts Fachbereiche wie z. B. die OP-Assistenz kaum mehr nachbesetzt werden können. Vor allem aber betrifft es die Hauskrankenpflege und die Langzeitpflege in Seniorenheimen. In Oberösterreich können aktuell mehr als 50 vorhandene stationäre Heimplätze mangels Personal nicht belegt werden.
Und auch dort, wo dies heute noch nicht der Fall ist, könnte es bald dazu kommen: „Momentan ist gerade noch genug Personal vorhanden. Aber wenn es so weitergeht, werden auch wir freie Plätze nicht mehr sofort nachbelegen können“, erklärt beispielsweise Mag.a Yvonne Weidenholzer, Bezirkshauptfrau und Obfrau des Sozialhilfeverbandes im Bezirk Ried, der fünf Pflegeheime betreibt. Allein in der Altenpflege und -betreuung werden bis 2025 in Oberösterreich nach Einschätzung von Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer rund 1600 zusätzliche Pflegekräfte benötigt.
Pflegeassistenz als Mangelberuf
„Wir kommen mit unserem Personal derzeit gerade noch über die Runden, aber wir stellen fest, dass es weniger Bewerbungen gibt als in den vergangenen Jahren“, berichtet Mag.a Monika Geck, Leiterin der Seniorenbetreuung der Stadt Wels. Die Entwicklung betreffe weniger den gehobenen Dienst, wobei es für Alten- und Pflegeheime im Vergleich zu Krankenhäusern ohnehin seit jeher schwieriger sei, diplomiertes Personal zu finden. Am meisten fehlen jedoch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflegeassistenz, welche auch Basis für die Ausbildung zur Fachsozialbetreuung Altenarbeit ist: „Das ist schon jetzt ein echter Mangelberuf“, unterstreicht Monika Geck.
Anderlik © Iby
Neue Ausbildungen und Berufsbilder
Die Pflegeassistenz ist eines der drei Berufsbilder, die vor zwei Jahren in einer Novelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes festgeschrieben wurden. Seither gibt es nicht mehr zwei, sondern drei Pflegeberufe mit entsprechend unterschiedlichen Ausbildungen:
- Pflegeassistenz (einjährige Ausbildung)
- Pflegefachassistenz (zweijährige Ausbildung)
- Bachelorstudium Gesundheits- und Krankenpflege (dreijährige Ausbildung mit akademischem Abschluss)
Die Tätigkeiten der einzelnen Pflegeberufe sind klar abgegrenzt (Details dazu lesen Sie hier).
Gerade im Bereich der Pflegeassistenz beobachtet Mag.a Geck seither einen Rückgang der Auszubildenden. Sie führt das darauf zurück, dass diese Ausbildung nun nicht mehr finanziell unterstützt wird. Schließlich würde sich gerade Umsteigerinnen und Umsteiger aus anderen Berufen für diese Ausbildung interessieren. Daher sei es wichtig, Pflegeberufe als Mangelberufe anzuerkennen und den Lebensunterhalt während der Ausbildung zu sichern.
Die Akademisierung der Pflege am anderen Ende des beruflichen Spektrums begrüßt die Welser Expertin jedoch uneingeschränkt: „Das ist ein absolut richtiger Schritt und unabdingbar, auch im internationalen Vergleich!“ Auch in Alten- und Pflegeheimen seien akademisch ausgebildete Pflegepersonen wichtig: „Der Mix macht es aus!“ Daher würde sie es begrüßen, dass sich mehr Studierende als bisher bereits in ihrer wissenschaftlichen Arbeit während des Studiums mit Themen der Langzeitpflege befassen.
Neues Image für die Pflege
Für Mag.a (FH) Andrea Anderlik, MSc, ist der Pflegenotstand schon heute eine Tatsache, mit der sie als Geschäftsführerin der Caritas für Betreuung und Pflege vor allem bei den mobilen Diensten in ländlichen Regionen konfrontiert ist. Im urbanen Raum und im stationären Bereich sei man aktuell bessergestellt, doch wird sich – wie bei vielen anderen Trägern auch – bei der Caritas OÖ. die Situation in den nächsten Jahren durch zahlreiche Pensionierungen beim Pflegepersonal weiter verschärfen.
Neben Bezahlung und Arbeitsbedingungen hält sie das Image der Pflegeberufe für entscheidend, um dieser Herausforderung zu begegnen: „Wir müssen der Pflege einen anderen Charakter geben, der der großen Bedeutung und Sinnhaftigkeit dieser Jobs entspricht“, betont die Caritas-Expertin.
Dabei seien die Politik, die einzelnen Trägerorganisationen und nicht zuletzt die Medien gefordert, betont Mag.a Anderlik: „Wir sitzen alle in einem Boot, denn wir alle sind schon heute die Betroffenen von morgen. Da ist es im Interesse jedes und jeder Einzelnen, zu fragen: Wie schaffen wir es, genügend fähige Menschen für die Pflege zu finden?“ Wichtig seien dabei auch Flexibilität und Durchlässigkeit der Ausbildungen: Die Berufsbilder müssten überlappend sein, um eine Weiterqualifizierung zu ermöglichen.
Das gelte auch in Hinblick auf die Pflegelehre, welche die oö. Landesregierung in einer Resolution an den Bund fordert. Dass der Einstieg in das Berufsfeld Pflege dann schon mit 15 statt wie derzeit mit 17 Jahren erfolgen könnte, wäre sicherlich ein Vorteil, meint Andrea Anderlik. Sie bezweifelt aber, ob tatsächlich eine klassische Lehre, mit einem weit überwiegenden Anteil an praktischer Ausbildung von Anfang an, das optimale Modell sei: „Gerade Jugendliche müssen sich erst die sozialen und fachlichen Kompetenzen aneignen, wie sie mit alten und oft schwer kranken Menschen umgehen können. Immer mehr Menschen erkranken zum Beispiel im Alter an Demenz – da braucht es zunächst das Wissen über die Erkrankung und wie man demente Menschen im Alltag in geeigneter Weise begleiten und fördern kann“, so die Caritas-Geschäftsführerin. Daher wäre ein Ausbildungslehrgang „Junge Pflege“, wie er gerade an der Altenbetreuungsschule des Landes OÖ. startet, zu bevorzugen. Ein solcher Lehrgang sollte allerdings nicht nur auf die Schule des Landes beschränkt bleiben, sondern auch an den Schulen anderer Träger, wie auch an den Sozialbetreuungsschulen der Caritas in OÖ angeboten werden dürfen. „Es sollten alle Möglichkeiten genützt werden, um möglichst viele Menschen für Sozialbetreuungsberufe zu qualifizieren“, so Anderlik.
Hier setzt auch der dreijährige Pilotlehrgang „Junge Pflege“ an, den das Sozialressort des Landes Oberösterreich im November 2018 in Linz starten wird. Er richtet sich an Jugendliche nach der 9. Schulstufe und legt im ersten Jahr einen Schwerpunkt auf vorwiegend theoretische Ausbildung. Laut Soziallandesrätin Gerstorfer sei dies ein erster Lösungsansatz, um den 15- und 16-Jährigen, die sich für eine Pflegeausbildung interessieren, ein Ausbildungsangebot zu machen.
Mehr über das Thema Pflegelehre und die Erfahrungen, die man in der Schweiz mit diesem Modell gemacht hat, berichtet INGO demnächst.