Wir bilden auch weiterhin für das Krankenbett aus
Mag. Dr. Michael Pagani, Direktor des Vinzentinum Ried, im Gespräch mit INGO über die akademische Pflegeausbildung, falsche Vorbehalte und neue Chancen.
Schon seit 2014 bildet das Vinzentinum Ried Pflegekräfte für den gehobenen Dienst ausschließlich in Form eines Bachelor-Studiums aus – bisher in Kooperation mit der FH Campus Wien, künftig als Studienstandort der FH Gesundheitsberufe OÖ. Waren Sie also Ihrer Zeit voraus?
Pagani: Die Vinzenz Gruppe hat als innovativer Krankenhausträger schon früh erkannt, wie wichtig die Akademisierung der Pflegeausbildung ist, und dies von Anfang an unterstützt. Mit der Entscheidung, die „alte“ Diplomausbildung auslaufen zu lassen und ausschließlich auf tertiärer Ebene auszubilden, wurde die spätere GuKG-Novelle bereits vor Jahren vorweggenommen. Ich bin froh, dass die generalisierte Ausbildung auf akademischem Niveau inzwischen vom Gesetzgeber festgeschrieben wurde und in ganz Österreich umgesetzt wird.
Mittlerweile sind in Ried bereits die ersten Absolventinnen und Absolventen auf den Spitalsstationen tätig. Wie ist das Feedback, werden ihre Erwartungen im Pflegealltag erfüllt?
Auch beim Bachelor-Studium gilt: Wir bilden für das Krankenbett aus. Unsere Studentinnen und Studenten werden keine Pflegewissenschaftler, sondern Gesundheits- und Krankenpflegepersonen – und das sagen wir ihnen vom ersten Tag der Ausbildung an. Aber sie erhalten zugleich den akademischen Weitblick, der nötig ist, um an ihre Arbeit wissenschaftlich fundiert heranzugehen und ihre Tätigkeiten zu reflektieren. Umso erfreulicher ist es, wenn jemand sein Wissen noch weiter vertiefen will. Einige Absolventinnen und Absolventen des ersten Jahrgangs haben berufsbegleitend bereits ein Masterstudium der Pflegewissenschaft begonnen.
Wie werden die Pflege-Bachelors von den nicht akademisch qualifizierten Kolleginnen und Kollegen aufgenommen, gibt es da Vorbehalte?
Die gab es anfangs tatsächlich, teilweise sogar massiv. Manche „Altgedienten“ haben offenbar befürchtet, von den Bachelors gleichsam überrollt zu werden. Da führte es schon zu Irritationen, dass auf dem Namensschild nicht mehr „Schülerin“ stand, sondern „Studentin“. Aber das hat sich rasch geändert. Jetzt, nach vier Jahren, ist das praktisch kein Thema mehr, weil klar ist, dass alle auf dem gleichen „grade“ arbeiten. Die Diplompflegerinnen und -pfleger haben zum allergrößten Teil erkannt, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchen, in irgendeiner Weise herunterqualifiziert zu werden. Sie werden auch weiterhin genauso tätig sein, wie sie es bisher waren. Heute stellen wir sogar fest, dass da eine Art Bildungsspirale in Gang kommt und auch bei Älteren das Interesse steigt, sich weiter zu qualifizieren. Denn je besser die Ausbildung, umso besser natürlich die Karrierechancen.
Gibt es überhaupt genügend Maturantinnen und Maturanten, die sich für eine Pflegeausbildung interessieren?
Es muss sicherlich noch bekannter werden, wie vielseitig die Pflege ist und auch, dass man dort Karriere machen kann. Anders als bei den medizinisch-technischen Diensten, die ja großen Zulauf haben, ist in der Pflege nicht auf Bachelor-Niveau Schluss. Die Pflege ist sogar die einzige nicht-ärztliche Berufsgruppe im Gesundheitswesen, der im Bologna-Prozess ein fachspezifischer akademischer Weg bis zur Promotion und zur Habilitation offensteht. Da hat der Pfleger, die Pflegerin eindeutig die Nase vorn.
Was sagen Sie zu Befürchtungen, akademische Aus- und Weiterbildung könnte dazu führen, dass diese Fachleute der Pflege verloren gehen?
Bei unseren Absolventinnen und Absolventen, die sich für ein Masterstudium entschieden haben, gehe ich davon aus, dass sie auch danach in der Pflegepraxis bleiben werden. Aber es ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass sich manche Pflege-Experten aus dem Gesundheitsbereich „wegqualifizieren“ könnten. Zweifellos machen die allermeisten Pflegepersonen ihre Arbeit gern und finden Sinn darin. Doch es ist eine Tatsache, dass es auch eine finanzielle Wertschätzung qualifizierter Tätigkeiten braucht und dies bei der Pflege bisher nicht ausreichend bedacht wird, obwohl diese Berufsgruppe am meisten am Patienten arbeitet. Wenn man das weiterhin vergisst, kann es sehr wohl ein Problem werden.
Was halten Sie von der Pflegelehre, die derzeit in Oberösterreich intensiv diskutiert wird?
Es ist nicht zu bestreiten, dass der Bereich der Langzeitpflege Probleme hat, ausreichend Pflegekräfte zu finden. Dennoch halte ich es für keinen guten Weg, 15-Jährige in eine Ausbildung zu bringen, für die 17-Jährige oft noch zu jung sind. Pflege umfasst den ganzen Menschen, auch mit schwerer Krankheit und Tod. Ich bezweifle stark, dass 15-Jährige in solchen Situationen professionell agieren können.
Mag. Dr. Michael Pagani (44) absolvierte nach der Ausbildung zum Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger in Linz und der Sonderausbildung Intensivpflege das Studium der Pflegewissenschaften an der Privaten Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT) in Hall/Tirol, wo er anschließend auch als Universitätsassistent tätig war. Als erster Pflegewissenschaftler wurde er zum Doktoratsstudium der medizinischen Wissenschaften an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg zugelassen, das er 2017 mit Auszeichnung abschloss. Seit 2011 ist Michael Pagani Direktor des Vinzentinum Ried im Innkreis, seit 2014 Standort-Studiengangsleiter des Bachelorstudiengangs Gesundheits- und Krankenpflege der FH Campus Wien und ab Herbst 2018 auch Regionalleiter Innviertel des Studiengangs Gesundheits- und Krankenpflege an der FH Gesundheitsberufe OÖ.
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