Studierende als Stationsleitung: Eine Win-win-Situation
Das Praktikum „Auszubildende Pflegekräfte führen eine Station“ am Göttlichen Heiland Krankenhaus Wien ist ein Pilotprojekt der Vinzenz Gruppe und eine klassische Win-Win-Situation. INGO hat mit Pflegedirektor Wolfgang Sissolak, dem Initiator des Projekts, über dieses Praktikum gesprochen.
Sechs Semester dauert das Bachelorstudium „Gesundheits- und Krankenpflege“ am Vinzentinum Wien, dem Studienstandort der FH Campus Wien, für allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege am Barmherzigen Schwestern Krankenhaus Wien. Das Studium führt zur Berufsberechtigung für den gehobenen Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege. Es verbindet Theorie und Wissenschaft mit fachpraktischer Ausbildung. Und doch fehlt Studierenden, wie eine Studie ergab, unter anderem etwas, das er selbst bereits bei seiner Ausbildung vor knapp 20 Jahren vermisst hatte, erklärt Wolfgang Sissolak, Pflegedirektor des Göttlicher Heiland Krankenhauses Wien: Die adäquate Vorbereitung auf den wahren Alltag im gehobenen Pflegedienst, insbesondere darauf, eine komplette Station beziehungsweise Patientengruppe pflegerisch zu führen. Und darauf, Verantwortung zu übernehmen.
Man werde während des Studiums seht gut in speziellen Einzeltätigkeiten ausgebildet, so Sissolak, aber bei organisatorischen Dingen, beim Bewahren des Überblicks über eine Gruppe von 20 bis 30 Patient*innen, gäbe es noch Aufholbedarf. Und dieses Bedarfs hat man sich in der Vinzenz Gruppe Wien, konkret im Göttlicher Heiland Krankenhaus angenommen.
Selbständige Leitung
Ein kompletter Studien-Jahrgang, 16 Auszubildende im Abschlusssemester des Vinzentinum Wien, erhielten daher heuer mit dem Praktikum „Auszubildende Pflegefachkräfte führen eine Station“ die Möglichkeit, die Akutgeriatrie im Krankenhaus zu leiten. Und das völlig selbständig. „Natürlich sind unsere Mitarbeiter*innen immer dabei und können eingreifen, wenn es notwendig wäre“, so Sissolak. Nachsatz: „Das war aber nie der Fall.“
"Unsere Mitarbeiter*innen haben noch nie eingreifen müssen", erzählt Pflegedirektor Wolfgang Sissolak.
Es war bereits die zweite Gruppe an Studierenden, die dieses Praktikum durchführen konnten – und es wird noch lange nicht die letzte gewesen sein. Schon jetzt wurden im Göttlicher Heiland Krankenhaus entsprechende Termine bis ins Jahr 2028 fixiert, wobei seitens mehrerer Fachhochschulen ein genauso hohes Interesse wie seitens der Auszubildenden besteht.
Am Anfang haben diese stets Respekt vor dem Projekt, erzählt Sissolak, nach Abschluss des Praktikums seien aber ausnahmslos alle davon begeistert. Und nicht nur sie: Auch die Mitarbeiter*innen des Krankenhauses bewerten ihre jungen Kolleg*innen durchwegs positiv. Lediglich ein negatives Feedback gab es in der Vergangenheit, als eine Mitarbeiterin meinte, sie hätte sich gewünscht, dass die Studierenden noch länger bleiben …
Nachmachen erwünscht
„Auszubildende führen eine Station“ ist langfristig angesetzt, nachdem es als Pilotprojekt im Göttlicher Heiland Krankenhaus so erfolgreich läuft. Gemeinsam mit den aktuellen Verantwortlichen evaluiert die Vinzenz Gruppe aktuell zudem eine etwaige Übernahme in andere Kliniken. Sissolak könnte das Projekt in seinem Haus jedenfalls jederzeit ausweiten – und hat dazu auch schon erste Überlegungen angestellt. „Wir wollen es im nächsten Schritt multidisziplinär aufstellen, also anderen Berufsgruppen miteinbeziehen: Die administrativen Lehrlinge, die Medizin, die Physiotherapie.“ Wie bei Veränderungen üblich, gab es anfangs leichte Skepsis ob des Erfolgs. Doch diese wich mittlerweile einer regelrechten Euphorie. Sissolak: „Heute heißt es schon eher: Machen wir das doch gleich im gesamten Haus!“
Wobei die Probleme in der Umsetzung oft profaner Natur sind: So stößt das Krankenhaus beispielsweise bei den für die potenziellen neuen Kolleg*innen notwendigen Garderoben an seine Kapazitätsgrenze. „Oft sind scheinbar banale Dinge die wirklich herausfordernden“, sagt der Pflegedirektor. „Auf einer Station, auf der üblicherweise 40 Menschen arbeiten, sind zusätzliche 16 Kolleg*innen immerhin eine Aufstockung um beinahe 50 Prozent.“ Derartiges müsse vorab immer mitgedacht werden.
Was bleibt, ist die Frage nach den Kosten des Projekts. Wolfgang Sissolak: „Es gab Kosten für die Abschlussveranstaltung, mit ein paar Brötchen und ein paar Flaschen Sekt. Sonst nichts. Wir haben allein durch Umorganisation, durch Neudenken ein durch und durch positives Ergebnis erzielt. Einfach, indem wir etwas Wesentliches anders gemacht haben.“
Das Fazit kann daher nur lauten: Nachmachen ausdrücklich erwünscht.
Text: Michi Reichelt; Foto: Göttlicher Heiland Krankenhaus Wien © KHGH