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Österreich
28.08.2024

Übergangspflege kann Akutkapazitäten entlasten

Immer wieder liegen in Spitälern Patient*innen, die nach der Akutbehandlung nicht nach Hause entlassen werden können, weil sie alleine nicht mehr zurechtkommen. Das ist nicht nur für Betroffene unangenehm, sondern belastet auch dringend benötigte Akutkapazitäten. Klaus Kessler, Leiter des zentralen Belegungsmanagements des Salzburger Uniklinikums, erklärt die Hintergründe dieses Problems und stellt das Salzburger Übergangspflegemodell vor, das sich auf eine differenzialdiagnostische Abklärung in der Wohnumgebung der betroffenen Patient*innen stützt. 

Warum kommt es immer wieder vor, dass Patient*innen nach der Akutbehandlung länger als nötig im Spital verbleiben müssen?

Klaus Kessler: Ein Spital kann niemanden nach Hause schicken, für den es dort kein adäquates Auffangnetz gibt. Und das ist genau die Crux: Besonders alte, multimorbide Patient*innen haben nach einem Aufenthalt oft einen erhöhten Pflegebedarf. Aber was tun, wenn die Angehörigen überfordert sind und professionelle Langzeitpflege nicht sofort verfügbar ist? Dies ist nämlich sowohl bei Seniorenheim- und Hospizplätzen als auch der mobilen Hauskrankenpflege der Fall. Die Dauer der Wartezeiten ist problematisch. Bei uns im Bundesland Salzburg warten wir auf einen Seniorenheimplatz momentan im Durchschnitt 45 Tage. In den Bereich der Fehlbelegung kommen wir ab dem sechsten Tag nach Abschluss der Akutbehandlung. Ab dann sprechen wir von so genannten „Langlieger*innen“. 

Betrifft das immer ältere Personen?

Klaus Kessler: Nicht immer, aber oft. Die Betroffenen kennzeichnet, dass bei ihnen vieles zusammenkommt, etwa mehrere medizinische Diagnosen plus Desorientiertheit oder Demenz. Häufig sind sie in auffallend schlechter Verfassung. 

Welche Probleme entstehen durch die Fehlbelegung? 

Klaus Kessler: Allein im ersten Halbjahr 2024 hatten wir in den Häusern der SALK 7.600 Fehlbelegungstage, aber als Akutkrankenhaus brauchen wir auch spontan Betten. Das Langlieger*innenproblem erschwert also unseren eigentlichen Versorgungsauftrag und verkompliziert das Belegungsmanagement. Natürlich wollen wir unsere Patient*innen auf den richtigen oder zumindest fachverwandten Stationen unterbringen, um die Wege zu und von den Spezialist*innen kurz zu halten. Auch für die Langlieger*innen selbst ist die Situation alles andere als ideal. Sie müssen außerhalb ihrer eigenen vier Wände Wochen bis Monate auf die Unterstützung warten, die sie brauchen würden. Wir haben einen Patienten bei uns, der seit Oktober des Vorjahres – also beinahe ein Jahr – in dieser misslichen Lage ist. Das ist zwar nicht die Regel, aber so weit kann es gehen. Darüber hinaus hat das Ganze einen finanziellen Aspekt: Ein Spitalsbett ist wesentlich teurer als ein Pflegeheimbett. 

Warum sind die Wartezeiten so lange?

Klaus Kessler: Hauptsächlich liegt das am Personalmangel in den Langzeitpflegeeinrichtungen bzw. auch bei den mobilen Hauskrankenpflegediensten. 

"Ein Spital kann niemanden nach Hause schicken, für den es dort kein adäquates Auffangnetz gibt. Und das ist genau die Crux."

Hat ein Spital hier überhaupt Lösungsmöglichkeiten?

Klaus Kessler: Manche Patient*innen können wir in Kurzeitpflegeinrichtungen unterbringen, das sind extra dafür bereitgehaltene Betten in Pflegeheimen oder Sonderkrankenhäusern. Hier ist der Verbleib aber zeitlich eng befristet und meist müssen die Betroffenen einen Selbstbehalt zahlen, die Regelungen dafür unterscheiden sich je nach Bundesland. Das Entlassungsmanagement eines Spitals sucht immer nach der besten Lösung für die jeweilige Person. Bei Patient*innen, die Potenzial zur Selbstversorgung haben, setzen wir bei der SALK stark auf unsere interne Übergangspflege. Die ist mittlerweile in allen unseren Häusern sowie im Tauernklinikum etabliert.

Was ist das Besondere an dem Salzburger Modell der Übergangspflege?

Klaus Kessler: Das Besondere ist, dass die Übergangspflegemitarbeiter*innen mit den Patient*innen in deren Wohnung fahren und in Augenschein nehmen, wie diese dort agieren können. Wir gehen davon aus, dass diese differenzialdiagnostische Abklärung vor Ort für mehr Treffsicherheit bei der Hilfe zur Selbsthilfe sorgt. Wenn unter dieser Prämisse eine Entlassung möglich ist, werden die Patient*innen bis zu drei Monate lang intensiv zu Hause begleitet und trainiert, etwa für die Medikamenteneinnahme, den Umgang mit Heilmitteln, das Einkaufen oder das Aufsuchen von Hausarzt oder Hausärztin. Diese Form der Übergangspflege, die von der Salzburger Landesregierung unterstützt wird, habe ich 1988 an der Universitätsklinik für Geriatrie gegründet. Sie bewährt sich bis heute. Pro Jahr nehmen sie etwa 1.000 Patient*innen in Anspruch und 70 bis 75 Prozent leben danach länger als ein Jahr selbstständig zu Hause. Im gesamten Bundesland steht dafür diplomiertes Pflegepersonal mit entsprechender Zusatzausbildung zur Verfügung, derzeit sind das 19 Mitarbeiter*innen. 

Also kann man sich vom Land Salzburg in puncto Übergangspflege durchaus etwas abschauen. Sehen Sie noch Verbesserungsbedarf am Salzburger Modell?

Klaus Kessler: Da auch die institutionelle Altenpflege immer mehr an ihre Grenzen kommt, fände ich es sinnvoll, das Ganze noch aufzustocken und damit den möglichst langen Verbleib in den eigenen vier Wänden weiter zu stärken. Interessent*innen aus der Pflege gäbe es genug. An Details lässt sich sicherlich feilen, etwa an dem Umstand, dass unsere Übergangspflegemitarbeiter*innen mit den Patient*innen im eigenen PKW zur diffenzialdiagnostischen Abklärung fahren. Das Kilometergeld wurde seit vielen Jahren nicht mehr angepasst. 

Interview: Uschi Sorz; Fotos: SALK und www.freepik.com

Klaus Kessler, MSc, MBA

1987 wurde Klaus Kessler in psychiatrischer Krankenpflege diplomiert und trat in den Dienst der Salzburger Landeskliniken (SALK). 1988 gründete er dort an der Universitätsklinik für Geriatrie die Übergangspflege, von 2004 bis 2020 war er Pflegedienstleiter an dieser Abteilung. 2001 absolvierte er ein Studium in Erziehungswissenschaft, 2007 ein Studium in Pflegemanagement und 2011 ein Studium in Healthcare-Management. Seit 2020 ist er Belegungsmanager des Uniklinikums Salzburg .

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