„Wir könnten den Gesundheitsminister ersatzlos streichen“
Im Rahmen des Investigativ-Podcasts „Die Dunkelkammer“ erinnerte sich Andrea Kdolsky an ihre Zeit als österreichische Gesundheitsministerin – und gab vielsagende Einblicke in die Tiefen der heimischen Gesundheitspolitik.
Edith Meinhart und Michael Nikbakhsh sind im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnete Journalist*innen. Gemeinsam mehr als zwei Jahrzehnte beim Nachrichtenmagazin „profil“ tätig, widmen sich beide aktuell einem innovativen Recherche-Projekt: Österreichs erstem Investigativ-Podcast. „Die Dunkelkammer“, so der Titel, behandelt Themen wie Korruption, Machtmissbrauch, Briefkastenfirmen und Pressefreiheit – und bittet dazu regelmäßig Menschen auch vor Live-Publikum im Kulturbeisl Kulisse Wien zum Gespräch.
„Ärztin aus Leidenschaft“
Zu Gast bei Meinhart und Nikbakhsh war mit Andrea Kdolsky zuletzt eine ehemalige Gesundheitsministerin der Republik Österreich. Im Jänner 2007 war sie als ÖVP-Mitglied der Koalitionsregierung unter SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer angelobt worden. Einer Koalition, die bereits im Dezember 2008 zerbrach – unter anderem wegen Differenzen über die von Kdolskys Ministerium entworfene Gesundheitsreform. Dennoch: Wie sonst kaum jemand aus dem Medizinbereich erhielt Andrea Kdolsky in diesen knapp zwei Jahren einen Einblick in die heimische Gesundheitspolitik. Und die Ex-Ministerin tat im „Dunkelkammer“-Gespräch mit Edith Meinhart und Michael Nikbakhsh das, was sie bereits als aktive Politikerin regelmäßig getan hatte (und was ihr nicht nur Sympathie eingebracht hatte): Sie nahm sich kein Blatt vor den Mund.
Der aktiven Politik hat Kdolsky freilich schon lange den Rücken gekehrt; auch aufgrund eines großen Vorteils gegenüber vielen anderen Politikerinnen und Politikern, wie sie eingangs erklärte: „Ich habe einen Beruf. Nämlich einen richtigen. Und zwar einen, den ich wirklich, wirklich liebe“, so Kdolsky. „Das klingt wie der Titel, „Ärztin aus Leidenschaft“, aber ich bin das wirklich.“ Sie sei jetzt in einem Wiener Spital als Springerin tätig und „mache dort Nachtdienste, weil ja Ärzte an allen Ecken und Enden fehlen“. Darüber hinaus führt sie eine Ordination für Schmerztherapie. „Ich bin Anästhesistin und Intensivmedizinerin, habe eine Zusatzausbildung für Schmerztherapie. Ich beschäftige mich vor allem mit chronischem Schmerz. Viele Menschen in Österreich leiden darunter, trauen sich nicht drüber zu sprechen und werden ein bisschen so in die Wehleidigkeits-Ecke gedrängt. Bei mir gibt es das Statement: Ich glaube Ihnen Ihren Schmerz.“
„Froh, nicht mehr drinnen zu sein“
Angesprochen auf ihre jetzigen Tätigkeiten meinte die 61-Jährige, es sei problematisch, wenn Unternehmen Mitarbeitende postwendend mit Erreichen des Pensionsalters in den Ruhestand schicken, um „billigere“ Junge einzustellen. „Da geht viel Wissen verloren. Es gibt andere Länder, die das gescheiter machen und die sagen, wir werfen die Alten nicht einfach weg, sondern wir behalten sie in irgendeiner Form, um ihr Know-how zu halten.“ Mit dem Thema „Einsparungen“ war Andrea Kdolsky in ihrer Zeit als Ministerin ohnehin permanent konfrontiert. Wobei sie betont, dass sie das Gestalten, auch mit begrenztem Budget, als Hauptaufgabe der Politik sieht. „Ich muss die Bedürfnisse der Menschen in Gleichgang mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen und den finanziellen Möglichkeiten bringen“, so Kdolsky. „Wenn man schauen muss, wie man mehr Geld reinbringt oder weniger ausgibt, effizienter arbeitet, sodass man keine Einsparungen macht: Das sind unglaublich spannende Dinge. Und mit Menschen zu sprechen, ihre Bedürfnisse zu sehen, zu sehen, welch tollen Dinge eigentlich in diesem Land geschaffen werden, die nie vor den Vorhang geholt werden. Das finde ich gut. Aber das gelingt leider in der österreichischen Politik, so wie sie heute strukturiert ist, nicht und von daher bin ich froh, dass ich nicht mehr drinnen bin.“
„Wir stecken in diesem goldenen Kalb Föderalismus fest“, sagt Ex-Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky
Ihr Ziel sei gewesen, etwas zu verändern – mit der Gesundheitsreform, die sie 2008 eingebracht hatte, die aber dann „von den eigenen Leuten, der Herr Sobotka war da einer der großen Akteure, abgeschossen wurde.“ In Österreich, so Kdolsky, sei es nicht möglich, dass Poltiker*innen über eine Legislaturperiode hinaus planen. „Sie denken bis zum nächsten Wahlkampf. Wenn wir aber über Gesundheitspolitik sprechen, dann müssen wir über diese Periode hinausdenken. Dann müssen wir weiterdenken. Das zweite ist – und das war mein ewiger Kampf, gerade im Gesundheitswesen: Wir stecken in diesem goldenen Kalb Föderalismus fest. Wir sind kleiner als Bayern, haben neun Bundesländer und das kleinste Bundesland ist fast so klein wie die größte Hauptstadt in einem anderen Bundesland. Und trotzdem haben wir überall eigene Strukturen. Wir haben zehn Krankenanstaltengesetze. Das müssen Sie sich einmal überlegen: Wir haben ein Bundeskrankenanstaltengesetz und neun Landeskrankenanstaltengesetze. Und die sagen nicht alle dasselbe, weil sonst bräuchten wir ja keine zehn“. Zwischen Niederösterreich und Burgenland ein Spital zu wechseln sei schwieriger als vor EU-Zeiten zwischen Österreich und Deutschland, meinte Andrea Kdolsky, die ein Riesenproblem darin sieht, „dass in diesem Föderalismus lauter eigene Königreiche aufgebaut werden.“ Die Politik sei eben nach wie vor „männerbetont“ – und da gehe es „in erster Linie um Macht, Geld und ein bisschen noch Sex.“
„Das tut weh“
Rückblickend auf ihre Zeit als Ministerin erzählte Kdolsky, wie sie im Zuge ihrer Arbeit zur Gesundheitsreform „allen auf die Zehen steigen“ musste. Damit sei sie in Ungnade gefallen. „Und dann wird auf einmal, wenn man fachlich nicht angegriffen werden kann, nur mehr unter der Gürtellinie geschossen. Das tut weh, das war ich nicht gewohnt.“
Beispielsweise sei sie bei ihrem Plan, Kindern und Jugendlichen aus nicht wohlhabendem Haus gratis Zahnhygiene zukommen zu lassen, da dies sich langfristig positiv auf die individuelle Gesundheit sowie auf das Gesundheitssystem generell auswirken würde, „natürlich sofort von meinen eigenen Leuten, vor allem dem damaligen Chef der SVS (Sozialversicherung der Selbständigen, Anm.), zurückgepfiffen“ worden. Langfristige Projekte insbesondere im Gesundheitsbereich, seien eben für die Politik uninteressant, so Kdolsky. „Da wird dann schlicht und ergreifend gesagt: Aus, Schluss! Wir stopfen halt irgendwie Löcher oder wir machen irgendwas, was medial gut aufpoppt.“
Gemeinsam mit Sozialminister Erwin Buchinger von der SPÖ habe sie sich um Reformen im Gesundheitsbereich bemüht, die den Sozialversicherungen „gar nicht gefallen haben“, erinnert sich Kdolsky weiter. So wollte man eine Rezeptgebührdeckelung einführen, was aber vom „Chef und zum Vizechef“ abgelehnt wurde – dieses Vorhaben stünde nicht im Regierungsübereinkommen. „Eine der dämlichsten Aussagen, die ich kenne. Man zieht sich auf das immer wieder zurück.“
Gestalten statt verwalten
Ihr ernüchterndes Fazit: „Wir könnten den Gesundheitsminister ersatzlos streichen, außer wir brauchen halt ‚a puppet on the string‘ oder jemanden, der die Buhfrau oder der Buhmann der Nation ist – weil das machen ja die Länder oder die Sozialversicherungsträger. Da kann die Ministerin, der Minister relativ wenig machen.“
Früher sei es anders gewesen, meinte Andrea Kdolsky. Es habe in der Vergangenheit viele Politiker*innen gegeben, die sich tatsächlich um die Anliegen der Bevölkerung gekümmert haben. „Natürlich haben die auch alle Fehler gemacht. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wenn man keine Fehler macht, hat man nichts gemacht. Fakt ist, die haben den Mut gehabt, Dinge zu tun. Und ich glaube, das ist eines der wesentlichen Dinge, dass du bei der Linie bleibst, dass du sagst: Das ist das Projekt, das ist jetzt notwendig und das ziehen wir auch durch. Sie haben aber auf die Bevölkerung geschaut … Was die Politiker heute vergessen: Dass es nicht verwalten heißt, sondern gestalten.“
„Wenn man keine Fehler macht, hat man nichts gemacht“, meint Andrea Kdolsky
Heute seien Politiker jedoch wie Influencer auf Social-Media-Kanälen. „Du musst gut ausschauen, slim fit am besten. Du musst ein paar gute Sager draufhaben. Aber es wird nicht mehr darauf geschaut: Was braucht das Land, was brauchen die Leute, was müssen wir machen, auch in schwierigen Situationen?“ Explizit kein gutes Haar lässt Andrea Kdolsky in diesem Zusammenhang an der Zusammenlegung der Krankenkassen durch die türkis-blaue Regierung Kurz, die sie als „Missgeburt“ bezeichnet. So seien unter anderem in Wahrheit alle Standorte und alle Mitarbeitenden erhalten geblieben, verändert wurde lediglich „um viel Geld das Logo“. Eine wirkliche Reform wäre es laut Kdolsky gewesen, „in die Beamtenschaft, in die KFA, die Bauern, in all diese Strukturen hineinzugreifen“ und alles konsequent in eine Pensions- und eine Krankenkasse überzuführen.
Generell sei aber in den letzten Jahren viel zu wenig weitergegangen, so die Ex-Ministerin. „Eines der Hauptthemen war damals schon, wie heute, dass der Spitalsbereich überlastet und der niedergelassene Bereich zu gering besetzt ist. Und dass wir einfach wollen, dass die Menschen verstärkt ihren wohnortnahen Bereich haben, wo sie einen Ansprechpartner haben, und wie wir das gestalten können. Mir war da völlig wurscht, ob das im Regierungsübereinkommen steht oder nicht. Das ist das, was die Leute brauchen. Punkt.“
Das gesamte Gespräch aus der Kulisse Wien sowie alle Folgen von „Die Dunkelkammer – Der Investigativ-Podcast“ sind auf https://dunkelkammer.simplecast.com/ zu finden.
Text: Michi Reichelt
Fotos: Michael Nikbakhsh, Andrea Kdolsky und Edith Meinhart (v.l.) backstage in der Kulisse © Kulisse Wien