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Gesundheit
Österreich
22.04.2024

Zeit der Veränderung: Fluch oder Segen?

Zum bereits 20. Mal lud das Forum Hospital Management dazu ein, gemeinsam mit Expert*innen die Zukunft der Medizin – und der Gesellschaft – zu erörtern. Diesmal im Fokus: Künstliche Intelligenz und der demografische Wandel als Herausforderung für das Gesundheitswesen.

In einer Welt, die sich durch neue Technologien rasant verändert, steht das Gesundheitswesen vor der Herausforderung, diese Entwicklungen zum Wohle der Gesellschaft zu nutzen. Das Forum Hospital Management bot am 10. April 2024 eine Plattform, um die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz und des demografischen Wandels auf das Gesundheitswesen zu beleuchten und strategische Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit zu finden.

Zum 20. Mal veranstalteten das AKH Wien, die Wirtschaftsuniversität Wien und die Vinzenz Gruppe diese jährliche Konferenz. Der Wiener Erste Bank Campus diente dabei als Schauplatz, an dem Forschung und Umsetzung, Theorie und Praxis, Vision und Realisierung aufeinandertreffen.

Unter dem Motto „Anders als damals: Gesundheit zwischen Demographie und KI“ stand die künstliche Intelligenz in der Medizin im Fokus des Forum Hospital Management (FHM) 2024. Expertinnen und Experten erörterten bevorstehende und bereits gegenwärtige Veränderungen sowie Fragen zur Zukunft der Gesundheit: Wie wir leben, wie wir heilen, wie wir als Gesellschaft zusammenhalten.

Keine Angst vor der Zukunft

„Die demographische Entwicklung trifft nicht nur die Menschen, um die wir uns kümmern müssen, sondern natürlich auch die Menschen, die sich kümmern: Uns alle, unsere Mitarbeiter*innen in den Einrichtungen“, erklärte Michael Heinisch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Vinzenz Gruppe, in seinen Begrüßungsworten. Mit Blick auf den Fachkräftemangel werde deutlich: Es tue sich eine Schere auf zwischen der Anzahl jener, die pflegen, und denjenigen, die Pflege brauchen. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann ist absehbar, dass das Gesundheitswesen an seine Grenze stoßen wird“, so Heinisch. Daher müsse nun die Frage beantwortet werden, wie diese Schere geschlossen werden kann. Herwig Wetzlinger, Direktor der Teilunternehmung AKH, ergänzte, es sei das Gebot der Stunde, medizinische Einrichtungen in Bezug auf Organisation und Ressourcen weiterzuentwickeln; hochqualifizierten Fachkräfte müssten dort eingesetzt werden, wo man sie tatsächlich benötigt. „Eine Lösungsmöglichkeit, die Leistungsfähigkeit unserer Einrichtungen zu stärken, ist die digitale Transformation“, zeigte er sich überzeugt. So könne Künstliche Intelligenz (KI) unter anderem in der Administration sowohl eine Entlastung für das Personal als auch für Patient*innen bringen. Mit den Worten „Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst“ zitierte Johannes Steyrer, wissenschaftlicher Leiter des MBA-Studiengangs Health Care Managements an der der WU Executive Academy, den früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Die Angst vor der Zukunft, vor Veränderung sei ein schlechter Ratgeber, sie erzeuge letztlich einen resignativen Pessimismus. „Und der Pessimist ist der einzige Mist, auf dem nichts wächst“, so Steyrer.

 

„Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird das Gesundheitswesen an seine Grenze stoßen“, ist Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe, überzeugt.

 

„Müssen die Gegenwart kennen“

Dem Kampf gegen ebendiesen Pessimismus hat sich Anna Rosling-Rönnlund, Mitbegründerin der Gapminder Foundation verschrieben. Der Name des gemeinnützigen Unternehmens mit Sitz in Stockholm leitet sich von der Warnmeldung „Mind the Gap“ („Achtung auf den Spalt“) in der Londoner U-Bahn ab: Die Stiftung will den Gap zwischen der Meinung zahlreicher Menschen über den Zustand der Welt und der tatsächlichen Faktenlage schließen. Im ersten Vortrag der Veranstaltung erläuterte Rosling-Rönnlund an zahlreichen plakativen Beispielen, wie falsch unsere meist negative Sicht auf die globale Entwicklung ist. So nimmt beispielsweise eine überwältigende Mehrheit in der westlichen Welt an, die Haupttodesursachen in Afrika seien Krieg und HIV; tatsächlich sterben die meisten Menschen an Herzerkrankungen und Schlaganfällen. Es zeige sich, dass hingegen Künstliche Intelligenz, deren Wissen rein datenbasierend ist, deutlich realitätsnähere Einschätzungen über den Zustand der Welt trifft. Daraus müsse man lernen, denn die Welt entwickle sich viel positiver, als die meisten von uns glauben, so Anna Rosling-Rönnlund. Ihr Fazit daher: „Um für die Zukunft zu planen, müssen wir die Gegenwart kennen“.

Mit AMS-Österreich-Vorstand Johannes Kopf wurde die Vortragsreihe mit einem Experten fortgesetzt, der (nicht nur) die Gegenwart seines Bereichs perfekt kennt. Auch am Arbeitsmarkt habe sich in den vergangenen Jahren „wahnsinnig viel verändert“, erläuterte demnach Kopf eingangs. So sei aktuell eine halbe Million mehr Menschen am Arbeitsmarkt als noch vor zehn Jahren. Auch steige das Frauenpensionsalter jährlich um ein halbes Jahr. „Das ist viel“, meinte Kopf, der eingestand, dass ihm die steigende Arbeitslosigkeit in Österreich „Sorgen macht“. Zudem sei Künstliche Intelligenz die nächste, alles am Arbeitsmarkt verändernde, Welle. „Die Diskussion, dass Maschinen uns die Arbeit wegnehmen, gibt es seit der Erfindung der Dampfmaschine“, so der AMS-Chef, der allerdings gleich wieder beruhigte, denn: „Bei jeder Innovation ist die Menge an Beschäftigten gestiegen.“ Johannes Kopf forderte jedoch dort mehr Unterstützung des Staates, wo Einzelne im Hintertreffen seien, beispielsweise bei fehlender Chancengleichheit aufgrund vererbter (Un-)Bildung. Auf den Mangel im Pflegebereich angesprochen, erklärte er, dieser sei „selbstgemacht; ein politisches Versagen.“ In Österreich gäbe es zu wenig Ausbildungskapazitäten. Darüber hinaus brauche es eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege.

 

„Bei jeder Innovation ist die Menge an Beschäftigten gestiegen“, sagt AMS-Vorstand Johannes Kopf.

 

Blended Intelligence

Titus Brinker vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg wurde schließlich konkret, was das Thema „Künstliche Intelligenz in der Medizin“ betrifft. Der Dermatoonkologe hat bereits mehr als zehn Gesundheitsapps mit insgesamt über einer Million Anwender*innen entwickelt und erläuterte, dass KI aktuell insbesondere überall dort im Gesundheitswesen unterstützen könne, wo es um Bildgebung ginge – wie in der Radiologie oder der Dermatologie. Im Vergleich mit „echten“ Mediziner*innen hätten Computerprogramme zahlreiche Vorteile, erläuterte der Experte, denn: „Der perfekte Hautarzt existiert nicht. KI ist den menschlichen Experten aber systematisch überlegen.“ Obsolet werde menschliches Fachpersonal dadurch aber nicht, so Brinker. „Ich sehe die Zukunft in der Blended Intelligence: Menschen, die mit KI arbeiten – und damit besser arbeiten als andere.“

Marc Luy, Direktor des Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, machte anschließend anhand des Global Activity Limitation Indicators (GALI) der Europäischen Union deutlich, wie sehr eine derartige Berechnung von Details der zugrunde liegenden Befragung abhängt. So sei die Gesundheit der Österreicher*innen wohl deutlich besser als es der aktuelle Indikator ausweist. Mariacarla Gadebusch Bondio, Direktorin des Instituts für „Medical Humanities“ an der Universität Bonn, wiederum nahm sich der ethischen Komponente von Künstlicher Intelligenz an. „Ethisch verantwortliche KI-Systeme für die Medizin sollen durch Expert*innen prozessual geprüft werden“, so ihr Resümee.  Für eine Validierung der Systeme seien zudem vergleichbare Studien unerlässlich. 

Nachdem Günter Klambauer, Associate professor für „Artificial Intelligence in Life Sciences“ an der Johannes Kepler Universität Linz, die Arbeits- und Wirkungsweise von KI näher erläutert hatte, rundete der Direktor des Instituts für Höhere Studien, Thomas Czypionka, das Forum Hospital Management 2024 mit seinem Vortrag über den Finanzausgleich und dessen Konsequenzen für das Gesundheitssystem ab.  Die Governance und Finanzierung sei nach wie vor höchst kompliziert, zudem seien die Strukturen nicht auf die Versorgung der Bevölkerung vorbereitet, so der Gesundheitsexperte. Leistungen wandern daher zunehmend in den Privatsektor ab. Czypionka: „Es bestehe die Gefahr, dass zusätzliche Finanzmittel ins System fließen, um Lücken zu füllen, statt strategische Investitionen in Weiterentwicklungen zu ermöglichen.“ 

Abschließend brachte es Michael Heinisch auf den Punkt: Künstliche Intelligenz sei kein Allheilmittel für das Gesundheitswesen der Zukunft, so der Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe. „Aber sie ist ein Mosaikstein“.

 

Text: Michi Reichelt; Foto: Alek Kawka

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