Wahlprogramme: Therapien für das Gesundheitssystem
In einem Punkt stimmen die Programme der Parlamentsparteien für die bevorstehende Nationalratswahl überein: Das österreichische Gesundheitssystem braucht selbst Therapien. INGO fasst die wesentlichen gesundheitspolitischen Forderungen und Vorschläge zusammen.
Eine Diagnose findet sich übereinstimmend in den Wahlprogrammen verschiedener Couleurs zur Nationalratswahl am 29. September: Das Kassensystem muss ausgebaut werden, mit hunderten neuen Ordinationen. Primärversorgungszentren sollen die Spitalsambulanzen entlasten. Alle Parteien unterschreiben den Grundsatz „digital vor ambulant vor stationär“ und fordern den Ausbau der Gesundheitshotline „1450“. Da sollte eine Einigung im nächsten Regierungsprogramm nicht allzu schwerfallen,welche Parteien auch immer sich zusammentun. Der folgende Überblick über die zentralen gesundheitspolitischen Inhalte ist auf die fünf Parlamentsparteien beschränkt. Auch wenn Bierpartei, KPÖ, Wandel oder Liste Petrovic es in den Nationalrat schaffen sollten – Regierungsparteien werden sie wohl nicht werden.
ÖVP: Österreich-Pflicht für ausgebildete Mediziner*innen
Die ÖVP hat schon im Frühjahr im „Österreichplan“ ihre Zukunftsvorstellungen fürs Gesundheitssystem definiert. In den letzten 15 Jahren seien viele Entwicklungen verschlafen worden, das habe zu Problemen und Engpässen geführt. Daher sollen mit 800 neuen Kassenarztstellen die Mängel im niedergelassenen Bereich beseitigt werden. In Österreich ausgebildete Ärzt*innen sollen auch in Österreich arbeiten müssen – sonst sollen sie die Studienkosten zurückzahlen. Die Primärversorgungszentren müssten massiv ausgebaut werden, Telemedizin soll helfen, Onlinediagnosen zu stellen. Wartezeiten auf Operationen sollen durch bessere Koordination verringert werden. Forschung an und Produktion von Medikamenten in Österreich soll nach den Vorstellungen der ÖVP forciert werden.
SPÖ: Garantierte Fachärzt*innen-Termine zum Kassenpreis
Die SPÖ verlangt eine Verdoppelung der Medizinstudienplätze – bevorzugt sollen Studierende werden, die sich verpflichten, dem öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung zu stehen. Eingerichtet werden soll eine „staatlich garantierte Termingarantie“: Falls Akutpatient*innen nicht innerhalb von 14 Tagen einen Termin beim Facharzt ihrer Wahl bekommen, müsse ihnen die Terminservicestelle 1450 einen Behandlungstermin anbieten. Wahlärzt*innen sollen dazu animiert werden, bis zu zehn Prozent ihrer Kapazität zum Kassentarif zur Verfügung zu stellen. „Sollte das nicht ausreichen, ist als Ultima Ratio auch eine gesetzliche Verpflichtung vorstellbar,“ heißt es im Programm. Verbieten will die SPÖ, dass Ärzt*innen, die in einer öffentlichen Krankenanstalt arbeiten, Patient*innen auch in einer Privatordination behandeln. Vorerst für Jugendliche bis zum 23. Lebensjahr sollen sämtliche Zahnarztbehandlungen von Krankenkassen bezahlt werden. Monatshygieneartikel und Empfängnisverhütungsmittel sollen kostenlos abgegeben werden.
FPÖ: Für Zuwanderer nur Basisversorgung
Im Wahlprogramm der FPÖ heißt es, Österreichs Gesundheitssystem sei teuer, aber ineffizient. Abhilfe bringen sollen Finanzierung und Zielsteuerung aus einer Hand. Die Freiheitlichen verlangen, dass die Behandlung bei Wahlärzt*innen zu 100 Prozent von der Sozialversicherung bezahlt wird, wenn kein Kassenarzt zur Verfügung steht. Ohne die bereits bestehende Anlaufstelle „1450“ zu erwähnen, verlangt die FPÖ, die Patientenströme zu organisieren. Bestmögliche Ausbildung in Vorsorge, Versorgung und Pflege, eine gerechte Entlohnung und ausreichende Ruhezeiten sollen die Arbeitsplätze im Gesundheitswesen attraktiver machen. Medizinstudierende sollen bei den Eingangstests vorgereiht werden, wenn sie sich zu einer Tätigkeit in Österreich verpflichten. Freiheitliches Kern-Gedankengut findet sich in der Forderung, durch attraktivere Arbeitsbedingungen in Österreich von „importierten 24-Stunden-Pflegern aus dem Osten“ unabhängig zu werden. Und: „In Österreich ansässige Fremde, die nicht in unser Sozialsystem einzahlen“, sollen bloß Anspruch auf eine „Elementarversorgung“ haben.
Grüne: „Gesundheitskioske“ in unterversorgten Gebieten
Wie bei der SPÖ findet sich auch im Gesundheits-Wahlprogramm der Grünen die Botschaft „Gratis Zugang zu Verhütung und Menstruationsartikeln.“ Gefordert wird eine „Gesundheitsversorgung ohne lange Wartezeiten“. Attraktive Bezahlung und Arbeitsplatzmodelle sollen 500 zusätzliche Kassenstellen bringen. Wie die SPÖ fordern auch die Grünen „kürzere Wartezeiten für Termine bei Fachärzt*innen“, ohne aber zu präzisieren, was dafür getan werden müsse. Primärversorgungseinheiten sollen Krankenhäuser entlasten und Budgetmittel einsparen. Dort, wo wenige Ärzt*innen ordinieren, sollen „Gesundheitskioske“ eine niederschwellige Anlaufstelle bieten ‑ für Pflege, Psychotherapie und Sozialarbeit. Eine einheitliche Sozialversicherung soll allen Menschen die gleichen Zugänge und Leistungen bringen. Daher soll es bloß noch eine einzige Krankenversicherungsgesellschaft geben, mit neun regionalen Stellen.
NEOS: Freie Kassenwahl
NEOS will, dass das öffentliche Gesundheitssystem aus einer Hand bezahlt wird. So will man den „Finanzierungsdschungel“ von Bund, Ländern und Sozialversicherung beenden. Das österreichische Gesundheitssystem sei am Limit. Wie in Deutschland sollen Versicherte frei eine Krankenkasse wählen können: Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung. Der Mangel an Kassen-Fachärzt*innen soll gemildert werden, indem die vollen Wahlärzt*innen-Kosten von den Kassen bezahlt werden. Eine flächendeckende Versorgung mit Primärversorgungszentren soll chronisch Kranke dezentral „vor Ort“ betreuen. Breiten Raum nehmen Vorschläge zur Gesundheitsprävention ein. School Nurses und Schulpsycholog*innen sollen Kinder und Jugendliche zu einem gesunden Lebenswandel anleiten, eine tägliche Turnstunde soll Lust auf Sport machen. Und als einzige Partei fordert NEOS, dass Cannabis „kontrolliert freigegeben“ werden soll: „Suchtprävention statt Schwarzmarkt und Strafe.“
Text: Josef Broukal
Foto: (c) Parlamentsdirektion/Thomas Topf