"Die Chancen der Digitalisierung nicht liegen lassen!"
Die verstärkte Nutzung von Gesundheitsdaten ist ein gesamtwirtschaftlicher Wachstumstreiber: Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die die Wirtschaftskammer Wien in Auftrag gegeben hat. Präsident Walter Ruck ortet in Österreich Aufholbedarf und spricht sich für einen nationalen „Datentreuhänder“ aus, bei dem Unternehmen solche Daten beziehen können.
Warum beauftragt die Wirtschaftskammer Wien eine Studie zum Thema Gesundheitsdaten?
Walter Ruck: Die Gesundheitswirtschaft ist eine der Stärken von Wien. Wenn wir Gesundheitsdaten besser nützen, würde das weitere Impulse für den Wirtschaftsstandort bedeuten, aber auch den Menschen viel bringen. Dazu wollten wir Fakten schaffen. Daher haben wir eine Studie in Auftrag gegeben, die dem wirtschaftlichen Potenzial von Gesundheitsdaten auf den Grund gegangen ist.
Geht es dabei vorrangig um ökonomische Aspekte, etwa die erzielbare Wertschöpfung, oder auch um gesundheitspolitische Ansätze?
Als Interessenvertretung der Wiener Unternehmen sind für uns die wirtschaftlichen Aspekte am relevantesten. Die Studie zeigt aber auch, dass bei einer verstärkten Datennutzung die Dauer der Krankenhausaufenthalte sinkt. Das kommt schlussendlich wieder der Volkswirtschaft zugute.
Was sind die wirtschaftlichen Effekte?
Die Studie von empirica kommt zu dem Schluss, dass eine verstärkte Vernetzung und Nutzung der Gesundheitsdaten in Österreich eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von 132 Millionen Euro pro Jahr allein im Gesundheitssektor auslösen würde. Noch deutlicher schlagen die positiven Effekte bei den Gesundheitskosten durch: Hier sind bis 2025 rund 1,4 Milliarden Euro an Einsparungen möglich - vor allem eben durch kürzere Krankenhausaufenthalte, wenn Krankheiten früher erkannt und besser therapiert werden können.
Welche Gesundheitsdaten sollen genutzt werden, zu welchem Zweck?
Es geht hier beispielsweise um Daten, die bereits über die Elektronische Patientenakte ELGA gesammelt werden. Das ist ein zentraler Faktor. Aber auch um Daten aus der Telemedizin. Vieles muss allerdings strukturiert werden, um auch sinnvoll nutzbar zu sein.
Denken Sie dabei vorrangig an Gesundheits-Apps, gibt es dafür bereits positive Beispiele?
Gesundheits-Apps können nicht nur Daten liefern, sondern unter ärztlicher Anleitung auch als Medizinprodukte eingesetzt werden, etwa vor und nach Krankenhausaufenthalten. In Deutschland können solche Apps bereits auf Rezept verschrieben werden, die Kosten der Nutzung wird über die Krankenkasse bezahlt.
"Gesundheits-Apps können nicht nur Daten liefern, sondern unter ärztlicher Anleitung auch als Medizinprodukte eingesetzt werden, etwa vor und nach Krankenhausaufenthalten."
Wie soll die Wirtschaft an die Daten kommen, welche Regulative soll es geben?
Vorstellbar ist ein nationaler Datentreuhänder oder ein Datenzentrum, darüber könnten die Daten mittels Antragsverfahren bezogen werden. Österreich setzt hier mit dem Austrian Micro Data Center wichtige Schritte, die aber noch fortgesetzt werden müssen. Gleichzeitig gilt es aber auch Prozesse und Strukturen zu entwickeln, über die die Rechtmäßigkeit von Verarbeitungsansprüchen überprüft werden kann.
Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorangetrieben, Stichwort Telemedizin. Erhöht das die öffentliche Akzeptanz für die Nutzung von Gesundheitsdaten allgemein?
Ich denke schon, dass das Verständnis für die Digitalisierung durch die Pandemie gewachsen ist, auch wenn es um den Gesundheitsbereich geht. Denken wir beispielsweise an das elektronische Rezept.
Können Sie nachvollziehen, dass es auch Vorbehalte gegen die Nutzung von sensiblen persönlichen Daten durch private Unternehmen gibt?
Selbstverständlich. Gesundheitsdaten sind hochsensibel, daher sind sie auch in der DSGVO besonders berücksichtigt. Es muss sichergestellt werden, dass Daten nur absolut anonymisiert genutzt werden und dass das auch klar kommuniziert wird.
Wo orten Sie derzeit noch die größten Hindernisse für eine großflächige Nutzung von Gesundheitsdaten?
Der Rechtsrahmen muss dazu angepasst werden. Gleichzeitig sollte die Nutzung von Gesundheitsdaten auch in eine österreichische Gesamtstrategie zu Digitalisierung und künstliche Intelligenz integriert werden.
An welchen Stellschrauben ist aus Ihrer Sicht vorrangig zu drehen?
Ziel sollte es sein, ELGA auf den gesamten Gesundheitssektor auszuweiten. Aufholbedarf besteht hier beispielsweise bei Privatärzten. Zudem muss auch das Datenzentrum besser ausgestattet werden, um Anträge rasch bearbeiten zu können. Und nicht zuletzt braucht es im Gesundheitssystem eine bessere Qualität der Datenstruktur, also wie Daten abgespeichert werden, damit sie leichter gefunden, vernetzt und einfacher ausgelesen werden können.
"Ziel solle es sein, ELGA auf den gesamten Gesundheitssektor auszuweiten."
Wo steht Österreich bei der Erfassung und Nutzung digitaler Gesundheitsdaten im internationalen Vergleich?
Derzeit sind vor allem die nordischen Länder in Europa Spitzenreiter bei der wirtschaftlichen Nutzung anonymisierter Gesundheitsdaten. Österreich hat hier klares Aufholpotenzial.
Interview: Josef Haslinger; Foto: WK Wien / Florian Wieser
Walter Ruck, Baurat h. c. Dipl.-Ing.
Präsident der Wiener Wirtschaftskammer
Ruck ist studierter Bauingenieur (TU Wien) und leitet in der Bundeshauptstadt ein Unternehmen, das sich auf die Restaurierung denkmalgeschützter Fassaden spezialisiert hat. Der 59-Jährige ist seit 2014 Präsident der Wiener Wirtschaftskammer und Landesgruppenobmann des Wiener Wirtschaftsbundes. Er gehört auch dem Senat der Wirtschaft an, einer parteiunabhängigen Wirtschaftsorganisation.