Forderung nach Gewaltambulanzen wird umgesetzt
Lange wurde von Expert*innen die flächendeckende Einrichtung von Gewaltschutzambulanzen für gewaltbetroffene Frauen gefordert – nun sollen sie tatsächlich kommen. Denn bisher gibt es in Österreich mit der Gewaltambulanz an der Med Uni Graz nur eine einzige derartige Einrichtung.
Jede dritte Frau wird in Österreich Opfer von psychischer, physischer oder sexueller Gewalt. Zudem gilt Österreich als „Land der Femizide“, also der vorsätzlichen Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts beziehungsweise aufgrund von „Verstößen“ gegen die traditionellen sozialen und patriarchalen Rollenvorstellungen, die Frauen zugeschrieben werden. „Während in der EU die Anzahl der Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen gemessen an der Bevölkerung sinkt, steigt diese in Österreich“, heißt es dazu in einem Bericht des Instituts für Konfliktforschung vom April 2023. Laut Kriminalstatistik wurden im Jahr 2022 in Österreich 29 Frauen ermordet, 2023 bis November bereits 26. Im gleichen Zeitraum wurden von den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern (AÖF) zudem 41 Mordversuche an Frauen registriert.
Start der Modellregion Ost-Süd
Die Bundesregierung hat nach dem vierten Gewaltschutzgipfel Anfang Dezember nun den Startschuss für die Einrichtung der seit 2022 angekündigten Gewaltambulanzen gegeben. Wie Justizministerin Alma Zadic erklärte, werde nun in Wien, Niederösterreich, dem Burgenland, der Steiermark und Kärnten die Modellregion Ost-Süd gestartet; man erhoffe sich davon eine Steigerung der Verurteilungsquote. Gewaltambulanzen sehen eine qualifizierte, kostenlose und verfahrensunabhängige Beweissicherung durch Expertinnen und Experten aus der Gerichtsmedizin nach Fällen von Gewalt vor. Pro Modellregion soll es einen opfergerechten Untersuchungsraum an einem fixen Standort geben.
„Frauen brauchen möglichst niederschwellige Orte, um sich in einem geschütztem Setting kostenlos untersuchen lassen zu können“, so Zadic. Lediglich ein Viertel der ermordeten Frauen hätten sich laut der Ministerin zuvor an eine Beratungsstelle gewandt. 2024 sollen Gewaltambulanzen daher auch im Westen Österreichs eingerichtet werden. „Innsbruck und Salzburg sind die nächste Phase der Pilotierung. Die Förderverträge müssen noch ausverhandelt werden“, sagte die Justizministerin. Die Ambulanzen sollen rund um die Uhr, an jedem Tag des Jahres, geöffnet sein. Zudem werde es auch mobile Teams geben, die bei Bedarf zu Betroffenen ausrücken könnten, ergänzte Frauenministerin Susanne Raab nach dem Gewaltschutzgipfel. Die fach- und opfergerechten forensischen Untersuchungen inklusive Beweissicherung der Gewaltspuren werden verfahrensunabhängig und gratis von Ärzt*innen und Gerichtsmediziner*innen durchgeführt. Ein konkretes Datum für die Ausrollung wurde bisher noch nicht genannt.
"Frauen brauchen niederschwellige Orte, um sich in einem geschützten Setting kostenlos untersuchen lassen zu können", sagt Justizministerin Alma Zadic.
An der Medizinischen Universität Graz befindet sich die erste und bisher einzige rechtsmedizinische Ambulanz, an der Beweise von Gewaltdelikten dokumentiert werden. Die klinisch forensische Untersuchungsstelle an der Grazer Gerichtsmedizin ist somit aktuell die einzige Einrichtung in Österreich, wo sich Opfer von Gewalt hinwenden können, um ihre Verletzungen nach modernsten gerichtsmedizinischen Standards untersuchen zu lassen. Betroffene werden an der Gewaltambulanz auch über weitere Betreuungsmöglichkeiten und entsprechende Angebote, wie beispielsweise weiterführende Betreuung durch Opferhilfseinrichtungen, sowie psychologische und rechtliche Beratung informiert.
„Die Gewaltambulanz soll einen Beitrag zur Erkennung von Gewalt und zur Aufklärung gewaltsamer Vorfälle liefern“, heißt es seitens der Med Uni Graz. „Damit dient unsere Einrichtung dem Schutz der Betroffenen vor weiteren, unter Umständen folgeschweren Übergriffen. Die Gewaltambulanz stellt ein Angebot für von Gewalt betroffene Menschen jeglichen Alters dar. Die Untersuchungen durch speziell dafür ausgebildete Ärzt*innen aus dem Fachgebiet der Gerichtsmedizin ermöglichen in vielen Fällen die Erhebung gerichtsverwertbarer, objektiver Befunde und die Sicherung von Spuren, die einen wichtigen Beitrag zur Klärung des Geschehens leisten können.“
Die Untersuchung ist kostenfrei, eine vorab erfolgte polizeiliche Anzeige ist keine Voraussetzung für die Durchführung. In besonderen Fällen ist die Untersuchung auch an einem anderen Ort, wie beispielsweise einer Polizeidienststelle, möglich. Die Ärzt*innen der Gewaltambulanz unterliegen dabei grundsätzlich der Schweigepflicht, in anzeigepflichtigen oder angezeigten Fällen gelten die gesetzlichen Regelungen. Zusätzlich bietet die Gewaltambulanz Graz speziell für Ärzt*innen ein telefonisches Beratungsservice zu klinisch-forensische Fragen an.
Text: Michi Reichelt; Fotos: Stop Violence © Nadine Shaabana, Unsplash, Med Uni Graz © Med Uni Graz