„Wir dürfen uns nicht benehmen, als hätten wir drei Welten!“
Das Gesundheitswesen ist vom Klimawandel massiv betroffen – und trägt zugleich selbst erheblich dazu bei. Umweltmediziner Hans-Peter Hutter appelliert, diesen ökologischen Fußabdruck schnellstmöglich zu verkleinern und aktiv an einer positiven Zukunftsgestaltung mitzuwirken. Doch noch fehle den Verantwortlichen vielfach das Problembewusstsein.
Welche zusätzlichen Belastungen kommen durch den Klimawandel auf das österreichische Gesundheitssystem zu, welche Bereiche werden besonders gefordert sein?
Hans-Peter Hutter: Der Klimawandel hat viele Folgen, direkt und indirekt, daher sind auch die Herausforderungen vielfältig. Nur ein Beispiel: Die Zunahme der Hitzetage verstärkt die Belastungen für Herz-Kreislauf-System und Atemwege. Das bedeutet mehr Einsätze der Hilfsdienste, mehr Probleme nicht zuletzt in der 24-Stunden-Betreuung und mehr Spitalsaufnahmen in einer Zeit, in der viele Kolleg*innen in den Krankenhäusern auf Urlaub sind oder selbst unter der Hitze leiden. All das erfordert arbeitsorganisatorische und finanzielle Überlegungen, wie diese kritische Infrastruktur aufrechtzuerhalten ist. Dazu kommen vermehrt andere Wetterextreme und Unwetterkatastrophen. Allergien treten gehäuft auf, ebenso bei uns bisher seltene Krankheitserreger wie das Krim-Kongo-Virus. Die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen.
Ist das Gesundheitswesen darauf vorbereitet?
Ich denke nicht, dass das ausreichend der Fall ist. Mein Eindruck ist eher, dass derzeit die Personalknappheit in den Spitälern alles andere überstrahlt, wobei der Klimawandel gerade auch dieses Problem zusätzlich verschärfen wird. Der zunehmende Mangel an Allgemeinmediziner*innen wirkt sich ebenfalls negativ aus. Dabei wäre es zum Beispiel sehr wichtig, in Hitzeperioden bei vulnerablen Gruppen die Medikation schon proaktiv genauer anzuschauen, etwa Diuretika, Antihypertensiva und Psychopharmaka, die Einfluss auf die Thermoregulation oder den Wärmehaushalt haben. Das ist alles nicht einfach und benötigt viel Hinwendung. Gerade deshalb wäre es so wichtig, dass man sich im Gesundheitswesen heute und nicht erst morgen intensiv mit der Klimakrise auseinandersetzt.
"Würde man den globalen Gesundheitssektor zusammenfassen und als ein Land betrachten, wäre er weltweit der fünftgrößte Treibhausgas-Emittent."
Wie stark trägt das Gesundheitswesen selbst zum Klimawandel bei?
Das Gesundheitswesen ist in dieser Hinsicht tatsächlich auch selbst Akteur, und zwar ein bedeutender: Würde man den globalen Gesundheitssektor zusammenfassen und als ein Land betrachten, wäre er weltweit der fünftgrößte Treibhausgas-Emittent. Das sagt eigentlich schon alles, da können wir uns nicht einfach abputzen. Studien zeigen, dass Gesundheitseinrichtungen rund ein Drittel ihrer CO2 -Emissionen direkt beeinflussen können. Das betrifft viele unterschiedliche Bereiche, von Energiesparmaßnahmen im Gebäude bis zur Art der Mobilität, wie die Mitarbeitenden ihren Weg zur Arbeit zurücklegen. Die restlichen zwei Drittel betreffen vorwiegend die Beschaffung, also die Lieferketten. Da wird es zweifellos schwieriger, aber man ist nicht hoffnungslos ausgeliefert. Bei den Narkosegasen beispielsweise gibt es Substitutionsmöglichkeiten, allerdings ist das Bemühen um Veränderung für einzelne Akteur*innen ein extrem mühsamer Prozess. Und das System ist oft noch eher träge, wenn es darum geht, etwas zu bewegen. Dabei gibt es bereits Best-Practice-Beispiele, Konzepte und Maßnahmenpläne. Anders als etwa zu Beginn der SARS-CoV2-Pandemie weiß man, was zu tun ist und wo man ansetzen muss.
Wäre eine gesamtstaatliche Krisenkoordination wie GECKO während der COVID-19-Pandemie auch in Klimafragen sinnvoll?
Wenn es eine Möglichkeit ist, um die maßgeblichen Akteur*innen mehr ins Tun zu bringen, würde ich es bejahen. Aber um das zu beurteilen, sind Expert*innen im Gesundheitsmanagement berufener als ich. Meine Aufgabe ist es, auf die Dringlichkeit aufmerksam zu machen, dass der Klimawandel und seine gesundheitlichen Auswirkungen alles andere als Kinkerlitzchen, sondern im Gegenteil sehr massiv sind und wir für die Transformation nicht mehr viel Zeit haben. Wir dürfen uns nicht benehmen, als hätten wir drei Welten zur Verfügung.
Und falls manche Maßnahmen zugunsten des Klimas im Widerspruch zu einer optimalen medizinischen Versorgung stehen?
Das österreichische Gesundheitssystem ist für mich eines der besten der Welt. Wir alle wollen, dass dieser Status erhalten bleibt. Ärzt*innen und andere Verantwortliche sind mit gutem Grund auf die optimale Versorgung der Patient*innen fokussiert. Es wäre jedoch auch wichtig, dass sie ihren Blick ebenso in dieser Tiefe auf die Herausforderungen durch den Klimawandel richten. Es ist doch allen, die im Gesundheitswesen arbeiten, ein Anliegen, Gesundheit nicht nur wiederherzustellen, sondern zu schützen und – am besten – zu fördern. Und jeder Schritt, der den ökologischen Fußabdruck des Systems reduziert, verringert zugleich auch die negativen Einflüsse auf die Gesundheit und stellt damit einen wichtigen präventiven Beitrag dar.
Hat das Gesundheitswesen eine besondere Verantwortung im Engagement gegen die Klimakrise?
Als Akteur*innen im Gesundheitswesen sind wir an zentralen Schnittstellen der Gesellschaft tätig, mit Vorbildwirkung und auch Gestaltungs- und Veränderungsmöglichkeiten. Wir sind halt nicht irgendwer. Diesen Einfluss müssen wir geltend machen, politisch und wirtschaftlich, und dafür sorgen, dass es auch in Zukunft eine Umwelt gibt, die verträgliche, gesunde und gerechte Lebensbedingungen bietet. Das ist eine Vision. Aber diese Vision möchte zumindest ich haben, wenn schon die Politik keine mehr hat.
Interview: Josef Haslinger
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Hans-Peter Hutter ist einer der Referenten beim 19. Forum Hospital Management. Er spricht dort über die Klimakrise und ihren Impact auf die Gesundheit.
Das Forum Hospital Management findet am 11. Mai zwischen 09.00 und 17.00 im Erste Campus, Am Belvedere 1, 1100 Wien statt.
Weitere Informationen zum zeitlichen Ablauf sowie zu den Referent*innen und zum Programm finden Sie unter nachfolgendem Link: https://executiveacademy.at/de/events/detail/forum-hospital-management
Hans-Peter Hutter, Assoc. Prof. Priv.-Doz. DI Dr.
Umweltmediziner
Hutter hat neben Medizin auch Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung (BOKU Wien) studiert. Der Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie ist als Oberarzt stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Seit 2011 leitet er auch die Forschungseinheit „Child Public Health“. Einer breiten Öffentlichkeit wurde der 59-jährige Wiener durch seine epidemiologischen Analysen und Präventionskonzepte während der COVID-19-Pandemie bekannt.