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Gesundheit
Oberösterreich
01.04.2022

„Bei den Pflegeberufen besteht dringender Handlungsbedarf“

Nach zwei Jahren Pandemie mit insgesamt fünf Wellen zieht Dr. Michael Girschikofsky Bilanz. Der ärztliche Direktor des Ordensklinikums Linz Elisabethinen zeigt im Gespräch mit der Online-Plattform INGO auf, wie sich die Resilienz von Krankenhäusern für künftige Krisen stärken lässt.

Laut einer aktuellen Erhebung geht es den deutschen Krankenhäusern trotz staatlicher Corona-Hilfen finanziell so schlecht wie seit 20 Jahren nicht. Wie stellt sich die Lage im Ordensklinikum dar?

Michael Girschikovsky: Die Gesundheitssysteme von Deutschland und Österreich lassen sich diesbezüglich nicht wirklich gut vergleichen. Für die Abrechnung der stationären Spitalskosten haben wir das System der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung, kurz LKF genannt. Während der Pandemie haben alle oberösterreichischen Krankenhäuser weniger Leistungspunkte erwirtschaftet. Bei der Mitbewerberanalyse hat sich allerdings gezeigt, dass das Ordensklinikum im Vergleich weniger LKF-Punkte verloren hat als andere Einrichtungen. 

Was war der Grund dafür?

Dahinter steckt nicht wirklich eine steuerbare Strategie. Es ist am wahrscheinlichsten durch den ausgeprägten onkologischen Schwerpunkt des Ordensklinikums zu begründen.

Onkologische Leistungen wurden in allen Phasen der Pandemie mit wenigen Einschränkungen aufrechterhalten. Ob sich das auch in der fünften Welle so auswirkt, gilt abzuwarten.

Inwiefern?

Im Grunde ist keine der fünf Wellen miteinander vergleichbar. In den ersten vier Wellen war die Leistungsreduktion vorgegeben. Alle Krankenhäuser haben den Auftrag bekommen, planbare Operationen aufzuschieben. Das Leistungsspektrum wurde somit strukturiert heruntergefahren. In der aktuellen fünften Welle gibt es zwar weniger Belastung in den Intensivstationen, dafür einen sehr hohen Ausfall durch Omikron beim eigenen Personal.

Wie macht sich das im Klinikalltag bemerkbar?

Durchschnittlich fehlen uns zehn Prozent der Mitarbeiter, in einzelnen Bereichen sind es bis zu 35 Prozent. Dazu kommt, dass die Lage von Tag zu Tag anders ist. Man muss ständig neu evaluieren: Haben wir genug Personal für die geplanten Operationen, oder nur für dringliche und akute? Wie können wir umstrukturieren, damit die Akutversorgung im Nicht-Intensivbereich aufrecht bleibt? Dafür bedarf es einer noch engeren Abstimmung als bisher.

"Durchschnittlich fehlen uns zehn Prozent der Mitarbeiter, in einzelnen Bereichen sind es bis zu 35 Prozent."

Hat Sie diese Entwicklung überrascht?

Nein, für uns kommt das nicht ganz unerwartet. Mittlerweile sind die Prognosezahlen revidiert worden, aber wir haben sie schon zuvor anders eingeschätzt. Für uns war klar, dass nicht nur wieder mehr Patienten hospitalisierungspflichtig werden, sondern dass auch unsere Mitarbeiter stärker von einer Infektion mit Omikron betroffen sein werden.

Hätten Sie sich eine vorsichtigere Öffnung gewünscht?

Ja, ich hätte mir gewünscht, dass die Lockerungen später kommen und nicht zu einem Zeitpunkt, als man noch keinen Rückgang der Infektionszahlen beobachten konnte. Diese Entwicklung war somit abzusehen.

Welche besonderen Erkenntnisse hat die Pandemie für den Krankenhausbetrieb mit sich gebracht?

Wir haben aus den letzten Wellen viel gelernt. Der Umgang mit dem Homeoffice ist viel liberaler geworden. Das Arbeiten von zuhause kommt unseren Mitarbeitern entgegen, auch was das private Umfeld angeht. Das wird uns auch über die Pandemie hinaus erhalten bleiben. Ebenso wie der Einsatz von allen virtuellen Medien und Plattformen, der durch die Pandemie beschleunigt wurde. 

Mit der Einführung von Checkpoints hat sich auch der Zugang zum Krankenhaus geändert. Etwas, das es im amerikanischen Raum beispielsweise schon länger gibt. Das macht auch für die Zukunft Sinn und wird uns bestimmt in einer Form erhalten bleiben. Auch das Masketragen wird ein wichtiges Tool bleiben – im Krankenhaus und darüber hinaus.

Was braucht es künftig, um die Resilienz von Krankenhäusern zu stärken und die Versorgung auch unter extremen Bedingungen zu gewährleisten?

Falls Sars-CoV-2 künftig in seinen Mutationen klinisch nicht bedrohlicher wird, sondern nur ansteckender ist, dann sind wir in einem Bereich, wo wir schon bald von einer saisonalen Erkältungskrankheit sprechen.

Ähnlich wie die Grippe?

Der Vergleich mit der Grippe war in den ersten Wellen völlig unpassend, aber wenn die nächste Mutation noch weniger bedrohlich wird, ist auch SARS-Cov2 klinisch nur mehr eine von vielen Erkältungskrankheiten. Dann wird es Sinn machen, dass man nur mehr Erkrankte testet und die Arbeitsfähigkeit klinisch beurteilt. Quarantäneregeln und Teststrategie müssen entsprechend angepasst werden. 

Wie könnte so ein Szenario aktuell aussehen?

Bei einer Mutante wie Omikron kann man die Quarantäne noch nicht komplett abschaffen. Aber ich kann mir vorstellen, dass symptomfreie Mitarbeiter schon früher als nach zehn Tagen wieder arbeiten. Man könnte sie sicherlich nicht in vulnerablen Bereichen einsetzen, aber dafür auf Covid-Stationen oder in patientenfernen Bereichen – und natürlich nur mit Maske. So könnte man das System mit klinisch gesunden aber noch positiven Mitarbeitern stützen.

Pflegekräfte und Ärzte sind durch die Pandemie vielerorts an ihre Grenzen gelangt. Wie sieht die Personalsituation im Ordensklinikum aus?

Die Pandemie hat in vielen Bereichen, wo vorher schon Engpässe waren, als Katalysator gewirkt. Die Pflegeberufe müssen attraktiver gestaltet werden. Für uns als Krankenhaus sind viele Rahmenbedingungen vorgegeben, da kann man als einzelner Arbeitgeber nicht ausbrechen. Aber wir haben uns Gedanken darüber gemacht, wie wir unsere Mitarbeiter darüber hinaus, insbesondere jetzt in der Pandemie, unterstützen können. Das war zum einen durch psychologische Betreuung für kranke oder sich in Quarantäne befindliche Mitarbeiter, zum anderen, indem die Krankenhausleitung auf den Covid-Stationen Präsenz zeigt, und die Situation und Ängste der Mitarbeiter an vorderster Front wahrnimmt.

"Die Pflegeberufe müssen attraktiver gestaltet weden."

Was haben Sie dort wahrgenommen?

Insgesamt nimmt die Pandemie den Mitarbeitern viel Substanz, insbesondere in der Pflege. Manche tragen sich wirklich mit dem Gedanken, den Beruf zu wechseln. Es wäre sehr schade, wenn wertvolle Mitarbeiter verloren gingen.

Experten warnen durch über Jahre zugespitzte Arbeitsbedingungen vor einer Industrialisierung der Pflegearbeit – Stellen werden eingespart, gleichzeitig steigen die Arbeitsanforderungen. Welche Schritte würden Sie sich hier auf politischer Ebene wünschen?

Da gibt es zwei wesentliche Punkte: der Ausbildungszugang und das Thema Gehalt. Ich wünsche mir, dass die nötige Finanzierung in der Ausbildung und beim Gehalt von Pflegeberufen nicht noch ewig lange diskutiert wird, sondern man möglichst zeitnah zu einem Ergebnis kommt. 

Interview: Gertraud Gerst; Foto: Ordensklinikum Linz

Michael Girschikofsky, Dir. Dr.

Ärztlicher Direktor des Ordensklinikums Linz Elisabethinen

Der ärztliche Direktor des Ordensklinikum Linz Elisabethinen promovierte 1990 zum Dr. med. univ. an der Universität Innsbruck, bevor er seine Ausbildung am Krankenhaus der Elisabethinen Linz begann. Auf den Arzt für Allgemeinmedizin folgte 1998 der Facharzt für Innere Medizin, 2000 der Additivfacharzt für Hämatoonkologie. Seit 2008 ist er Mitglied des Kernteams der Ärztlichen Direktion, seit Juni 2017 ärztlicher Direktor des Ordensklinikum Linz Elisabethinen.  Dr. Girschikofsky ist seit 1991 verheiratet und Vater von drei Kindern.

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