INnovation
Gesundheit
Österreich
16.10.2024

„Innovationen sind der Schlüssel“

Tiefgreifende Veränderungen prägen das österreichische Gesundheitssystem: Der Bedarf an medizinischen Leistungen steigt kontinuierlich an, während das Angebot an Fachkräften stagniert. Dr. Michael Heinisch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Vinzenz Gruppe, erklärt im INGO-Interview, warum innovative Versorgungsstrukturen und Digitalisierung zentral für die Zukunft des Gesundheitswesens sind, was Medizin und Mozart miteinander zu tun haben und wie sich das Unternehmen vom Krankenhausbetreiber zum ganzheitlichen Gesundheitsunternehmen entwickelt hat.

Welche Entwicklungen im österreichischen Gesundheitswesen stellen Ihres Erachtens aktuell die größten Herausforderungen dar?

Michael Heinisch: Die großen Baustellen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, sind die wachsende Schere zwischen einem zunehmender Bedarf an Gesundheitsleistungen bei gleichzeitig stagnierendem Angebot an Fachkräften und das stark fragmentierte Versorgungssystem, im dem bei weitem nicht immer die richtigen Patient*innen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort betreut werden.

Beginnen wir beim steigenden Bedarf an Leistungen. Sie sprechen hier vor allem den demographischen Wandel an?

Michael Heinisch: Dieser spielt eine wesentliche Rolle. Die Bevölkerung wird unbestritten älter, die Zahl der über 80-Jährigen in Österreich nimmt massiv zu und diese Gruppe benötigt besonders viele medizinische Leistungen. Aber es gibt auch andere Faktoren, die öffentlich weniger diskutiert werden. Die Anzahl der gesunden Lebensjahre, also die Lebensspanne, in der Menschen keine medizinische Betreuung benötigen, liegt in Österreich mit durchschnittlich 59 Jahren unter dem EU-Schnitt und bleibt trotz steigender Lebenserwartung niedrig. Wir werden also nicht gesünder, obwohl wir ungefähr zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Gesundheitssektor investieren. Hier spielt das Gesundheitsverhalten eine Rolle: Rauchen und hoher Alkoholkonsum beispielsweise sind hierzulande nach wie vor weit verbreitet und mit einem hohen Anteil an übergewichtigen Kindern sehen wir alarmierende Frühindikatoren. Auch die Gesundheitskompetenz ist in dem Zusammenhang wichtig.  Laut einer internationalen Vergleichsstudie sind in Österreich mehr als die Hälfte der Menschen völlig oder ziemlich gesundheitsinkompetent. 

Diesem steigenden Bedarf steht aber kein ausreichendes Angebot gegenüber?

Michael Heinisch: Das Leistungsangebot – also die Zahl der Fachexpert*innen in Gesundheitseinrichtungen – wird bestenfalls stabil bleiben. Auch das hat einerseits mit dem demographischen Wandel zu tun:  Heute sind bereits über 30 Prozent der Ärzt*innen über 55 Jahre alt und nähern sich dem Pensionsalter, zugleich kommen immer weniger Menschen auf den Arbeitsmarkt. Zudem sind immer weniger Menschen bereit, Vollzeit im Gesundheitswesen zu arbeiten. Das alles wirkt sich negativ auf ohnehin schon angespannte Versorgungskapazitäten aus. 

Reichen die Ausbildungsanreize und die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland, um diese Lücke zu schließen? 

Michael Heinisch: Solche Initiativen sind wichtig, aber Bemühungen um mehr Personal allein werden nicht reichen. Wir müssen an verschiedenen Stellschrauben drehen. Wir müssen versuchen, den Bedarf zu senken, etwa durch Präventionsmaßnahmen und die Stärkung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung. Aber vor allem ist Innovation der Schlüssel, um die Effizienz zu steigern und das System leistungsfähiger zu machen. Ein Beispiel: Durch Digitalisierung können wir unsere Mitarbeiter*innen von Administrations- und Dokumentationsaufgaben massiv entlasten. Wir können uns nicht mehr leisten, dass 30 Prozent der Arbeitszeit von Ärzt*innen und Pflegepersonen in Verwaltung fließt, ihre wertvolle Zeit soll in die Behandlung und Betreuung der Menschen gehen.  Ich würde mir wünschen, dass wir in unseren Krankenhäusern in zehn Jahren keine Computertastatur mehr haben, weil wir es schaffen, dass vollautomatisch dokumentiert wird.  Letztlich ist es in der Medizin ähnlich wie in der Musik. Ein Orchester kann seine Produktivität nicht steigern, indem es Mozart schneller spielt. Das würde den Musikgenuss ruinieren. Im Gesundheitswesen können die Mitarbeiter*innen nicht einfach schneller arbeiten, ohne die Qualität zu gefährden. Aber wir können Technologien wie die Telemedizin nutzen, um vorhandene Zeit besser zu nutzen. Die Prozesse bleiben gleich, aber der Output erhöht sich und die Versorgung wird qualitätsvoller.

Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren?

Michael Heinisch: Ein Beispiel ist unser digitales Schlaflabor im Herz-Jesu Krankenhaus. Früher mussten Patient*innen mit Schlafapnoe mehrmals eine Nacht im Labor verbringen – zur Ersteinstellung ihrer Masken, aber auch zur Kontrolle. Heute schlafen sie entspannt zu Hause, und dank digitaler Vernetzung können ihre Daten in Echtzeit überprüft und erforderlichenfalls Einstellungen direkt angepasst werden. So sparen wir den Patient*innen unnötige Wege und unsere Ärzt*innen können mehr Menschen in kürzerer Zeit betreuen. 

"Durch Digitalisierung können wir unsere Mitarbeiter*innen von Administrations- und Dokumentationsaufgaben massiv entlasten." 

Sie haben das Thema Gesundheitskompetenz angesprochen, welche digitalen Tools können hier hilfreich sein?

Michael Heinisch: Digitalisierung kann den Patient*innen zu einer besseren Orientierung und Navigation durch das Gesundheitswesen verhelfen. Das stärkt die Menschen und entlastet die Strukturen. Unsere App „Hallo Gesundheit“ zum Beispiel bietet Patient*innen eine digitale Plattform, um ihre Befunde zu speichern, Termine zu verwalten und direkt mit den Gesundheitseinrichtungen zu kommunizieren. Ärzt*innen können so effizienter mit den vorhandenen Informationen arbeiten. So sparen wir Zeit, reduzieren Missverständnisse und schaffen Transparenz. 

Sie haben zu Beginn die Strukturen im österreichischen Gesundheitswesen thematisiert. Wohin muss da die Reise gehen?

Michael Heinisch: Das österreichische Gesundheitswesen ist heute stark fragmentiert, mit Silos zwischen Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten, Reha-Einrichtungen und Pflegeanbietern. Wir müssen zu integrierten Versorgungsnetzwerken kommen, in denen alle Akteur*innen gemeinsam für die Patient*innen arbeiten. Darüber hinaus muss unser Versorgungssystem auch durchlässiger und besser in unseren Alltag integrierbar werden. 

Wie bringt sich die Vinzenz Gruppe als große Anbieterin von Gesundheitsleistungen im Zusammenhang mit diesem Veränderungsbedarf ein?

Michael Heinisch: Wir wollen das Gesundheitswesen aktiv mitgestalten und die Zukunft der Versorgung neu denken. Dazu gehen wir auch selbst durch einen wichtigen Transformationsprozess und verstehen uns heute nicht mehr als klassischer Krankenhausbetreiber, sondern als Gesundheitsunternehmen, das die Menschen ganzheitlich durch alle Lebensphasen begleitet – von der Förderung der Gesundheitskompetenz und Prävention über die Akutversorgung bis hin zur Pflege. Neben den Akutspitälern, die sehr stark regional verankert sind, betreiben wir unter anderem auch Einrichtungen für Langzeitpflege und betreutes Wohnen, ambulante sowie stationäre Reha-Einrichtungen und unsere sehr erfolgreichen Gesundheitsparks rund um die Spitäler der Vinzenz Gruppe. Hier arbeiten die Krankenhäuser, niedergelassene Ärzt*innen, PVZs, selbständige Pflegeexpert*innen, Therapeut*innen, Rehabilitationseinrichtungen und noch viele mehr an einer integrierten Versorgung. 

Die Vinzenz Gruppe hat kürzlich gemeinsam mit Spar angekündigt, Gesundheitsparks in Einkaufszentren bringen zu wollen. Welche Überlegungen stecken hinter dieser Idee? 

Michael Heinisch: Wir gehen bewusst dorthin, wo die Menschen sind. In Einkaufszentren können wir niederschwellige Gesundheitsangebote machen, die sich in den Alltag integrieren lassen. So erreichen wir nicht nur kranke, sondern auch gesunde Menschen, die wir für Prävention und Gesundheitskompetenz sensibilisieren können. Gesundheitsparks werden damit zu Anlaufstellen, die mehr als nur medizinische Versorgung bieten, sie sind umfassende Gesundheitsdrehscheiben. 

Demnächst werden Koalitionsverhandlungen für eine neue Bundesregierung geführt werden. Was sollte aus Ihrer Sicht im Gesundheitskapitel unbedingt berücksichtigt werden?

Michael Heinisch: Ich würde mir wünschen, dass wir endlich systematisch in Prävention und Gesundheitskompetenz investieren. Aktuell fließen nur drei Prozent der Gesundheitsausgaben in Präventionsmaßnahmen – das ist viel zu wenig. Es wäre ein Fach Gesundheitsbildung schon in der Schule nötig. Wenn wir es schaffen, die Menschen zu befähigen, gesünder zu leben und sich besser im System zurechtzufinden, können wir langfristig auch den Versorgungsbedarf reduzieren. Zudem sollten wir die Rahmenbedingungen für Pflegekräfte und Ärzt*innen verbessern, etwa durch steuerliche Anreize für Mehrarbeit im Gesundheitssystem. 

Interview: Birgit Kofler

Fotos: Vinzenz Gruppe/Alek Kawka; Vinzenz Gruppe/P. Mayr

Michael Heinisch, Dr.

Vorsitzender der Geschäftsführung der Vinzenz Gruppe

Michael Heinisch ist seit 2001 Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe. Er studierte an der Wirtschaftsuniversität Wien und arbeitete am Management-Zentrum St. Gallen und bei der VA Tech. Heinisch lehrt Health Care Management an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Donau-Universität Krems und ist Vorsitzender des Universitätsrates der Medizinischen Universität Graz.

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