INnovation
Gesundheit
Österreich
23.10.2023

„Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind uns extrem wichtig“

In den österreichischen Krankenhäusern landen durchschnittlich 31 Prozent des Essens im Müll. Wie der Großküchenbetreiber kulinario® diesem ethischen, ökologischen und ökonomischen Problem begegnet, erzählt die Nachhaltigkeitsmanagerin von kulinario®, Karin Wohlfarter.

Derzeit beträgt der vermeidbare Lebensmittelabfall in heimischen Krankenhäusern durchschnittlich 31 Prozent der ausgegebenen Essensmenge. Hochgerechnet auf alle 264 Krankenhäuser in Österreich sind das 15.000 bis 25.000 Tonnen Lebensmittelabfälle pro Jahr – oder ein volkswirtschaftlicher Verlust von über 100 Millionen Euro. Das entspricht der Ernährung einer Stadt von der Größe Tullns für rund zwei Jahre. Gleichzeitig sind Lebensmittelabfälle ein erheblicher Klimatreiber, die entsprechenden Emissionen sind in etwa 100.000 Flugreisen von Wien nach Stockholm und zurück gleichzusetzen.

Warum landet in österreichischen Krankenhäusern so viel Essen im Müll, im Schnitt 31 Prozent der ausgegebenen Essensmenge?

Karin Wohlfarter: 31 Prozent ist der österreichische Durchschnitt. Eines vorweg – bei kulinario® landen weit nicht so viele Lebensmittel im Müll. In Bezug auf den Lebensmittelabfall hat die Gastronomie im Krankenhaus spezielle Herausforderungen und Rahmenbedingungen.

Eine Herausforderung ist, dass es in den Krankenhäusern sehr viele Kostformen gibt. Je nach Krankheitsbild haben wir unterschiedliche diätologische Anforderungen, die berücksichtigt werden müssen. Je mehr Menülinien angeboten werden, desto höher ist die Anfälligkeit für Lebensmittelabfall.

Ebenso sind der fehlende Appetit und die geschmacklichen Veränderungen der Patient*innen aufgrund des Gesundheitszustandes zu erwähnen, diese Umständen wirken sich ebenfalls auf Lebensmittelabfall aus.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die stark variierende Menüanzahl, da die Aufenthaltsdauer der Patient*innen oft nicht vorhersehbar ist. Nach einer kurzfristigen Entlassung bleiben zum Beispiel die Menüs in der Küche übrig.

Wenn der Appetit der Patienten generell nicht so groß ist, sind wohl die Portionen zu üppig.

Dieses Thema sind wir bereits angegangen. Die Portionsgrößen wurden ernährungsphysiologisch überprüft, um keinen unnötigen Lebensmittelabfall zu erzeugen.  

Trotzdem landet noch immer 31 Prozent im Müll.

Nicht bei den von kulinario® belieferten Krankenhäusern. Die 31 Prozent sind der Durchschnitt aller österreichischen Krankenhäuser. Wir liegen weit darunter. Im United against waste Ranking sind wir sowohl mit allen vier Krankenhäusern als auch mit allen Betriebsrestaurants im besten Drittel. Im Ordensklinikum Linz sind wir mit einem Verlustgrad von nur zehn Prozent sogar ganz an der Spitze. 

Wie wurde diese Reduktion erreicht?

In regelmäßigen Abständen führen wir so genannte Lebensmittelabfallanalysen durch. Das heißt, wir schauen uns im Detail an, wo Lebensmittelabfall entsteht. Hierzu stellen wir uns mindestens zwei Tage zur Spüle und notieren uns ganz genau, was retourniert wird und im Müll landet. So ist uns beispielsweise aufgefallen, dass wir beim Frühstück zu viel Milch serviert haben. Folglich wurde die Milchmenge reduziert. 

Beim Mittagessen ist überdurchschnittlich viel Suppe in der Tonne gelandet. Nach genauer Recherche haben wir bemerkt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Küchen das falsche Schöpfwerkzeug verwendet haben. Statt den kleineren 0,2-Liter-Schöpfern wurden die 0,25-Liter Schöpfer genommen. Dadurch wurde zu viel Suppe ausgegeben was sich natürlich bei den insgesamt rund 7.500 Kundinnen und Kunden, die wir in Wien, Linz und Ried versorgen, summiert. 

Beim Abendessen war auffallend, dass sehr viel Roter Rüben-Salat übriggeblieben ist. Daher gibt es diesen nun weniger oft am Speiseplan. 

Es gibt also viele Gründe, warum Lebensmittel im Abfall landen.

Einer der wichtigsten Punkte, um konkrete Maßnahmen für die Lebensmittelabfallvermeidung in einem Krankenhaus aufzustellen, ist die Ursachenforschung. Man schaut sich also genau an, wo unnötiger Lebensmittelabfall entsteht. Beginnend mit der Frage, ob zu viel produziert wurde, ob die ausgegebene Menge mit der Rezeptur übereinstimmt, aber auch der Geschmack oder die Anrichteweise könnten Gründe für Lebensmittelabfall sein. 

"Wir werden den Speiseplan nochmal genau unter die Lupe nehmen."

Wo kann man noch ansetzen, um weiter Lebensmittelabfall zu reduzieren?

Wir werden den Speiseplan nochmal genau unter die Lupe nehmen. Derzeit haben wir den Salat stark im Fokus. Ich habe nämlich das Gefühl, dass verhältnismäßig viel Salat im Biomüll landet. 

Ein großes Thema ist auch der Bestellvorgang. So ist es etwa möglich, halbe Portionen zu bestellen oder die Suppen abzubestellen. Je genauer die Speisen im SAP-System eingegeben und bestellt werden, desto besser ist es für den Lebensmittelabfall. 

Derzeit wird übrig gebliebenes Brot getrocknet und zu Semmelbrösel und -knödel verarbeitet. Solche Schritte wollen wir künftig forcieren und erarbeiten weitere Konzepte und Rezepte dazu.

"Die Reduktion von Lebensmittelabfall funktioniert aber nur, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Küchen hinter diesem Ziel stehen und ihr Bestes dafür tun."

Die Reduktion von Lebensmittelabfall funktioniert aber nur, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Küchen hinter diesem Ziel stehen und ihr Bestes dafür tun.

Wir haben in allen Krankenhaus-Produktionsküchen ausgebildete „Lebensmittelabfall-Coaches“ die auf die Reduktion von Lebensmittelabfall sensibilisiert sind. Im November 2023 starten weitere 6 Personen diese Ausbildung.  

Was passiert eigentlich mit dem Essen, das nie seinen Weg zur Patientin oder zum Patienten gefunden hat und in der Küche übrigbleibt?

Diese Übermenge spenden wir der Armenausspeisung. In Wien dem Vinzenz Gwölb und in Linz ist es das Vinzenzstüberl. Essen, das schon an den Patienten ausgeliefert worden ist und nicht gegessen wurde, müssen wir aus hygienerechtlichen Gründen ausnahmslos wegwerfen. Auch wenn es ein verschlossenes Joghurt oder eine Portion verpackte Butter ist.

Werden auch die Patienten nach deren Feedback befragt?

Ja, die Patient*innen werden befragt. Auch die Diätolog*innen geben uns Feedback weiter. Eine Maßnahme ist zum Beispiel die Speiseplanumstellung in den zwei Wiener Krankenhäusern, die wir beliefern. Früher wiederholte sich der Speiseplan alle sieben Wochen. Jetzt haben wir einen Frühling-, Sommer-, Herbst- und Winter-Plan. So gibt es im Winter eher herzhafte und wärmende Gerichte und im Sommer leichtere Speisen. Natürlich variieren auch die Rohstoffe je nach Saison – im Herbst viel Kürbisgerichte und im Frühling mehr Menüs mit Bärlauch und Spargel.

kulinario® hat auf den Speiseplänen zuletzt den Fleischanteil deutlich reduziert. Warum?

Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind uns extrem wichtig. Wie wahrscheinlich bekannt, ist der CO2-Fußabdruck bei Fleisch und Fleischprodukten enorm. Darum haben wir den vegetarischen Speiseanteil in unserem Speiseplan stark erhöht. Im Jänner machen wir zum Beispiel auch Thementage zum „Veganuary“. Speziell im Krankenhaus ist ein abwechslungsreiches und ausgewogenes Essen wichtig. Schließlich hat auch das Essen einen Einfluss auf die Genesung. 

Durch die Reduktion des Lebensmittelabfalls wird auch einiges an Geld eingespart.

Je weniger weggeschmissen wird, desto mehr Geld wird gespart. Dieses investieren wir in qualitativ hochwertige Rohstoffe. 

Interview: Karl Abentheuer; Fotos: Vinzenz Gruppe

kulinario®:

kulinario® ist ein Teil der Vinzenz Gruppe Service GmbH und bekocht pro Tag circa 7.500 Gäste in Ried, Wien und Linz. Neben Gesundheitseinrichtungen werden auch Betriebsrestaurants, Kindergärten und Schulen mit Menüs beliefert. Zu den Krankenhäusern zählen das Ordensklinikum Linz (BHS und BHB), das Barmherzige Schwestern Krankenhaus Ried, das Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien und das Orthopädische Spital Speising.

Karin Wohlfarter, BEd. MA

Leitung der Region Wien und Stabstellenleitung Bereich Nachhaltigkeit

Die gebürtige Vorarlbergerin wuchs auf einem Bauernhof auf, was ihre Leidenschaft für Lebensmittel und Nachhaltigkeit schon früh prägte. In Wien studierte sie Ernährungspädagogik und berufsbegleitend Lebensmittelproduktentwicklung und Ressourcenmanagement. 2017 startete sie ihre Karriere bei kulinario®. Zunächst als Abteilungsleiterin im Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien und ab März 2020 widmete sie sich dem Bereich Nachhaltigkeit. Im Juni dieses Jahres übernahm Wohlfarter zusätzlich die Leitung der Region Wien. Besonders am Herzen liegen ihr die Reduktion von Lebensmittelabfällen, ein möglichst hoher Anteil an vegetarischen Gerichten sowie der bewusste Umgang mit Lebensmitteln.

Haben Ihnen diese Artikel gefallen?

Erhalten Sie regelmäßig alle relevanten Nachrichten aus dem österreichischen Gesundheitswesen.