"Wir müssen endlich anfangen, darüber zu reden!"
Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung sind hässliche Realität, auch in Oberösterreich – eine Realität, vor der zu viele die Augen verschließen. Sr. Maria Schlackl, Salvatorianerin aus Linz, kämpft vehement dafür, dass sich das ändert.
Sie engagieren sich mit ihrer Initiative „Aktiv gegen Menschenhandel – aktiv für Menschenwürde in Oberösterreich“ gegen Zwangsprostitution. Was hat Sie dazu veranlasst?
Sr. Maria Schlackl: Frauenhandel und sexuelle Ausbeutung sind massive Angriffe auf die Menschenwürde. Das große Wegschauen, das bei diesem Thema leider passiert, ist eine Tragödie. Da geht es nicht um einen romantischen Abend bei Kerzenschein, sondern um Missbrauch, der Frauenleben zerstört. Wir müssen endlich anfangen, darüber zu reden. Darum sind Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit ein Schwerpunkt unserer Arbeit.
Wie sehr ist Oberösterreich von diesen Missständen betroffen?
Oberösterreich ist – wie ganz Österreich – ein Zielland für Frauen und Mädchen, die mit falschen Versprechungen hierhergelockt werden und sofort in Abhängigkeit geraten. Das ist der direkte Weg in Ausbeutung und Missbrauch. Eines der Hauptherkunftsländer ist Nigeria, aber auch aus Osteuropa kommen viele Betroffene. Markt und Nachfrage gibt es in Oberösterreich offensichtlich, mit Schwerpunkt im Zentralraum, aber auch am Land. Allein in Linz haben die Behörden in den letzten Jahren rund 200 illegale Wohnungsbordelle ausgeforscht und geschlossen. Und auch bei den meisten der rund eintausend „legalen“ Prostituierten in Oberösterreich kann von Freiwilligkeit zu 90 Prozent keine Rede sein. Da wird oft sehr undifferenziert diskutiert, auch aus der scheinbar liberalen, feministischen Ecke. Man muss es so klar sagen: Prostitution ist bezahlte Vergewaltigung, und der Staat kassiert mit.
"Prostitution ist bezahlte Vergewaltigung, und der Staat kassiert mit."
Wie helfen Sie betroffenen Frauen?
Wir arbeiten eng zusammen mit SOLWODI (Solidarität mit Frauen in Not), einer internationalen Organisation, konkret mit dem Verein SOLWODI Österreich, der 2012 von sechs Ordensgemeinschaften gegründet wurde. Er bietet Schutzwohnungen für Betroffene, berät und begleitet sie. Ich unterstütze auch selbst eine junge Frau aus Nigeria dabei, den Ausstieg zu schaffen. Über die persönliche Hilfe im Einzelfall hinaus geht es aber darum, die Gesellschaft zu sensibilisieren und dadurch zu verändern. Wir knüpfen Netzwerke, wir wollen hineinwirken in die Systeme, bis hin zu den politischen Entscheidungsträgern. Ich konnte kürzlich mit Kardinal Schönborn und mit der ganzen Bischofskonferenz darüber sprechen, dass das ein neues pastorales Aufgabengebiet ist, das es zu entwickeln gilt. Und natürlich konfrontieren wir auch die Politik mit unseren Anliegen, denn die derzeitige Gesetzeslage ist im Grunde eine Beschönigung des Missbrauchs. Unser Ziel ist das Nordische Modell, das heißt: Sexkauf muss per Gesetz verboten werden, Männer müssen in die Verantwortung genommen werden, Ausstiegshilfen anbieten, Prostituierte entkriminalisieren, Aufklärung in Schulen. Und zwar EU-weit, damit ein Ausweichen in Nachbarländer nicht möglich ist. Noch ist das eine Vision, doch es wird der einzige Weg sein.
"Sexkauf muss per Gesetz verboten werden."
Wie wollen Sie das erreichen?
Wir müssen die Menschen hierzulande erreichen und darüber informieren, das ist der zentrale Punkt. Die Tragweite dieses Problems ist vielen überhaupt nicht bewusst. Andere haben eine völlig falsche Vorstellung von dem, was sich da abspielt. Wenn ich manchen zuhöre, denke ich mir: Ihr wisst ja gar nicht, wovon ihr redet. Darum ist es so wichtig, zu informieren. Wir halten Vorträge, etwa in Schulen und in Pfarren, in Vereinen und Gruppen. Wichtig ist uns, auch Männer zu erreichen, denn Prostitution ist ein Männerproblem in dem Sinn, dass sie vorwiegend durch Männer in Anspruch genommen wird. Ein großer Schritt in unserer öffentlichen Wahrnehmung war die Zusammenarbeit mit dem Landestheater Linz beim Musical „Sister Act“, wo bei jeder Vorstellung auf das Thema aufmerksam gemacht wurde. Nicht zuletzt treten wir jährlich am 18. Oktober, dem Europäischen Tag gegen Menschenhandel, mit einer öffentlichen Veranstaltung in Erscheinung. Es hat sich schon etwas getan in den sieben Jahren seit der Gründung unserer Initiative, auch wenn noch viel zu tun bleibt.
Was ist Ihre vordringlichste Botschaft?
Nicht wegschauen! Gerade auch Menschen in Gesundheitsberufen sollten verstärkt darauf achten, ob sie bei Frauen Anzeichen für Missbrauch und Ausbeutung erkennen. Von sich aus und direkt werden betroffene Frauen ihre Lage kaum ansprechen. Darum ist es wichtig, aufmerksam zu sein und ein gewisses Gespür dafür zu entwickeln. Und auch diese Frage sei erlaubt: Brauchen Männer für ihr Wohlbefinden gekauften Sex? Und erkennen sie nicht, dass die meisten Frauen unter Zwang zur Verfügung stehen müssen? Ganz grundsätzlich geht es auch darum, zu erkennen, wo für jede Einzelne, jeden Einzelnen die persönliche Verantwortung liegt. Denn Missbrauch und Ausbeutung haben auch unmittelbar mit unserem Konsumverhalten und unserem Wirtschaftssystem zu tun. Wir brauchen eine Wirtschaftsweise, die den Menschen ein angemessenes Leben in ihrem Land ermöglicht, zur Schaffung einer Lebensgrundlage. Da spielt es schon eine Rolle, wie wir täglich einkaufen, wie fair die Preise sind und was Österreich beziehungsweise Europa in Entwicklungsländer exportiert. Unsere Produkte können dort die Marktpreise ruinieren, und sie bleiben auf der selbst erzeugten Ware sitzen. Armut macht ausbeutbar.
Haben Sie manchmal Angst, durch Ihr öffentliches Auftreten selbst in Gefahr zu kommen?
Ich bin vermutlich ein zu kleiner Fisch, um ins Visier der Drahtzieher zu geraten. Die bleiben wohl lieber im Untergrund. Aber ganz ohne ist es nicht. Ich bete viel und sage schon auch mal: Lieber Gott, jetzt musst du auf mich aufpassen.
"Ich bin vermutlich ein zu kleiner Fisch, um ins Visier der Drahtzieher zu geraten."
Sie werden bei Ihrem Engagement mit dunklen Seiten des Menschseins konfrontiert. Wie schaffen Sie es, positiv und zuversichtlich zu bleiben?
Ich wundere mich manchmal selbst, oder besser gesagt: Es ist für mich ein Wunder, dass es mir gelingt, noch dazu, weil ich mich nicht sehr gut abgrenzen kann von dem, was mich berührt. Aber zu sehen, dass immer mehr Leute aufwachen und dieses himmelschreiende Unrecht erkennen, gibt schon Kraft. Und ich erlebe, dass es Frauen gibt, die aussteigen, Wohnung und Arbeit finden, auch Kinder bekommen. Dass sie auf dem Weg in ein würdevolles eigenständiges Leben sind und wir sie dabei gut begleiten.
Interview: Josef Haslinger
Sr. Maria Schlackl,
Sr. Maria ist Provinzvikarin (stellvertretende Leiterin) der österreichischen Ordensprovinz der Salvatorianerinnen, der rund 80 Frauen in zehn Niederlassungen in Österreich und Ungarn angehören. Die diplomierte Erwachsenenbildnerin hat 2014 die Initiative „Aktiv gegen Menschenhandel – aktiv für Menschenwürde in Oberösterreich“ ins Leben gerufen. Für dieses Engagement wurde ihr im Mai 2021 von der Österreichischen Ordenskonferenz der „Preis der Orden“ verliehen.