„Ein gutes Leben mit Demenz ist möglich!“
Mit dem Netzwerk Demenz gibt es in Oberösterreich ein Versorgungsmodell mit wohnortnahen Anlaufstellen für Betroffene und ihre Angehörigen. Neben Untersuchung und Beratung setzt man dort auf ein Ressourcentraining: Es richtet den Fokus nicht auf die Defizite der Patient*innen, sondern auf jene Fähigkeiten, die sie noch beherrschen.
Netzwerk Demenz Oberösterreich – was ist das?
Karin Laschalt: Es ist eine Aktion, die im Auftrag des Landes Oberösterreich und der oö. Gesundheits- und Sozialdienstleistungsanbieter vor mittlerweile fast vier Jahren etabliert wurde. Das Netzwerk umfasst landesweit insgesamt elf Demenzservicestellen. Sieben werden von der MAS Alzheimerhilfe betrieben, drei von der Volkshilfe und eine von der Stadt Wels. Die Gebietsaufteilung wurde so gewählt, dass die Anfahrt nirgendwo im Bundesland länger als 45 Minuten dauert. Die Vernetzung und Abstimmung der Trägerorganisationen hat auch zum Ziel, durchgehend die gleichen, einheitlichen Qualitätsstandards zu sichern und das Modell gemeinsam weiterzuentwickeln.
Was passiert in den Demenzservicestellen?
In jeder Servicestelle arbeiten Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen und MAS Demenztrainer*innen. Wenn der Verdacht auf Demenz besteht, kann dies in klinisch-psychologischen Untersuchungen – sogenannten Gedächtnis-Checks – abgeklärt beziehungsweise das Stadium der Erkrankung ermittelt werden. Den Betroffenen wird ein gezieltes, individuell angepasstes MAS-Ressourcentraining angeboten, um noch vorhandene Fähigkeiten zu stärken. Ziel ist es, das Fortschreiten der Erkrankung zu verzögern und die Selbständigkeit möglichst lange zu erhalten. Dazu kommen niederschwellige Information und Beratung für Angehörige, auch im Rahmen von regelmäßigen Treffen und Vortragsreihen. Training und Beratung bieten wir nicht nur in unseren Standorten an, sondern auch direkt in zahlreichen Gemeinden.
"Je mehr ich als Betroffene oder Angehörige über dieses Thema weiß, umso besser werde ich damit umgehen können."
Wie werden die Angebote angenommen? Um das Thema Demenz wird ja oft ein weiter Bogen gemacht, solange es geht.
Es ist verständlich, dass Betroffene, aber auch Angehörige Angst vor dem Thema haben. Viel zu oft herrscht noch die Meinung, die Diagnose sei nutzlos, weil man ja eh nichts dagegen tun könne. Tatsächlich ist Demenz bis heute nicht heilbar, aber es gibt Möglichkeiten, den Verlauf der Krankheit zu verlangsamen und mehr Lebensqualität zu finden. Ein gutes Leben mit Demenz ist möglich. Je mehr ich als Betroffene oder als Angehörige über dieses Thema weiß, umso besser werde ich damit umgehen können. Um sich diese Chance nicht selbst zu nehmen, sollte man sich der Realität stellen. Die Abklärung ist auch deshalb wichtig, weil nicht jede Vergesslichkeit eine Demenz sein muss, sondern andere Ursache haben kann, die gut zu behandeln sind.
Erhalten Sie zu Ihrem Angebot auch Feedback von den Betroffenen selbst?
Das stadiengerechte Ressourcentraining, das wir anbieten, richtet den Blick nicht auf die Defizite der Betroffenen, sondern darauf, was sie noch können. Dadurch wird vielen selbst erst bewusst, was noch möglich ist. Diese Erfolgserlebnisse helfen bei der Krankheitsbewältigung. Es ist schön zu sehen, wenn jemand nach dem Training gut gelaunt nach Hause geht. So schlimm eine Demenz ist, gibt es doch auch schöne Momente. Es wird auch gelacht bei uns. Zu vermitteln, dass es trotz Demenz Lebensqualität gibt, ist uns ein großes Anliegen.
Wie arbeiten die Demenzservicestellen mit Haus- und Fachärzt*innen zusammen?
Wir selbst können keine Diagnosen stellen. Darum empfehlen wir unbedingt eine medizinische Abklärung, wenn sich bei der psychologischen Untersuchung ein Verdacht auf eine Demenzerkrankung ergibt. Wir besuchen und informieren von Anfang an die niedergelassenen Ärzt*innen. Beim Start des Netzwerks sind wir nicht überall auf offene Ohren gestoßen, aber inzwischen verweisen immer mehr Mediziner*innen demenzkranke Patient*innen an uns, weil es neben dem Medizinischen auch eine psychosoziale Anlaufstelle braucht – die Kombination macht es aus. Wir sind auf keinen Fall Konkurrenz, sondern Ergänzung.
Sie arbeiten seit bald 15 Jahren mit demenzkranken Menschen. Haben Sie den Eindruck, dass sich am gesellschaftlichen Zugang zum Thema in dieser Zeit etwas verändert hat?
Ich habe schon das Gefühl, dass die Leute offener damit umgehen. Es tut sich etwas in die richtige Richtung, aber es ist nach wie vor nötig, diese Krankheit zu enttabuisieren. Noch immer gibt es welche, die sich schämen und nicht wollen, dass bekannt wird, dass in der Familie jemand an Demenz leidet. Dabei wäre es extrem wichtig, sich mit dem Problem nicht zu verstecken. Ein Beispiel: Nur wenn die Nachbarn wissen, dass jemand an Demenz erkrankt ist, können sie auch Hilfe leisten, wenn es darauf ankommt.
Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf für das Netzwerk Demenz?
Mein Wunsch wäre, in Zukunft verstärkt auch Maßnahmen zur Prävention anbieten zu können, denn das Demenzrisiko lässt sich durch die persönliche Lebensweise aktiv reduzieren. Benötigt werden auch mehr Angebote für jüngere Betroffene, das heißt unter 65 Jahren. Und wir müssen weiterhin dafür arbeiten, dass sich noch mehr Menschen trauen, eine Demenzservicestelle aufzusuchen. Zu uns zu kommen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Denn es erfordert Mut, sich dieser Krankheit zu stellen.
Interview: Josef Haslinger; Fotos: MAS Alzheimerhilfe, www.de.depositphotos.com
Karin Laschalt, DAS
Leiterin der Demenzservicestellen der MAS Alzheimerhilfe
Laschalt ist diplomierte Sozialarbeiterin. Sie leitet die Demenzservicestellen der MAS Alzheimerhilfe (MAS steht für Morbus Alzheimer Syndrom). Die Oberösterreicherin arbeitet seit 2009 bei dem gemeinnützigen Verein mit Sitz in Bad Ischl, der in Oberösterreich insgesamt sieben solche Einrichtungen betreibt, sich auch in der Aus- und Fortbildung von Demenztrainer*innen engagiert und einen Alzheimerurlaub anbietet.