Wie der Klimawandel das Gesundheitssystem verändert
Die Einflüsse der Klimaveränderungen auf das Gesundheitswesen liegen keineswegs in weiter Ferne. Zunehmende Hitzewellen und Extremwetterereignisse, aber auch die verlängerte Pollensaison, sich ausweitende Zeckengebiete oder bisher in unseren Breiten ungewohnte Krankheitserreger schlagen sich bereits jetzt im Arbeitsalltag von Mediziner*innen und Gesundheitspersonal nieder. Wie Klima und Gesundheit zusammenhängen und welche Maßnahmen es braucht, um sich für die neuen Herausforderungen zu wappnen, schildert die Allgemeinmedizinerin, Public-Health-Wissenschaftlerin und Obfrau von Health for Future Austria Johanna Schauer-Berg im Gespräch mit INGO.
Im Zuge der Klimakrise wird immer wieder vor gravierenden gesundheitlichen Auswirkungen gewarnt. Wie hängen Klimaeinflüsse und Gesundheit zusammen?
Johanna Schauer-Berg: Man muss grundsätzlich zwischen direkten und indirekten Auswirkungen unterscheiden. Unmittelbar, also direkt durch klimatische Faktoren vorangetrieben wird beispielsweise die Zunahme von Hitzewellen, Überschwemmungen, Murenabgängen, Stürmen und dergleichen. Klimaveränderungen können aber auch indirekt zu Erkrankungsrisiken beitragen, etwa indem aufgrund der wärmeren Temperaturen eingewanderte Spezies als Vektoren für Krankheiten wirken. Exotische Mückenarten zum Beispiel oder Ragweed-Pollen.
Was sagen Sie jenen, die meinen, Extremwetterereignisse und heiße Tage gab es immer schon?
Für die folgenschwere Veränderung der Atmosphäre haben wir valide Daten. Es ist wissenschaftlich messbar, dass die Konzentrationen von Kohlendioxid und Methan, den stärksten Treibern des menschengemachten Klimawandels, im Rekordtempo steigen. Mittlerweile erreichen sie die höchsten Werte seit Messbeginn. Der Weltklimarat und Forscher*innen warnen eindrücklich davor, dass Kipppunkte überschritten werden können, unter anderem wenn auftauende Permafrostböden noch zusätzlich große Mengen dieser Treibhausgase freisetzen. Wetter und Klima sind außerdem nicht dasselbe. Bei Zweiterem geht es um langfristige Prozesse, die sich nicht in jedem einzelnen Wetterereignis spiegeln. Sie beeinflussen allerdings das Entstehen kritischer Vorkommnisse. Selbstverständlich haben wir auch früher Hitzetage gehabt, ganz klar verändert haben sich jedoch deren Intensität und die Häufigkeit. Dasselbe gilt für andere Wetterphänomene. Selbst hierzulande sehen wir Starkregenereignisse in einer zuvor kaum gekannten Vehemenz.
Welche Folgen der häufigeren Unwetter, Überschwemmungen, Hagelschläge und Murenabgänge sind im Gesundheitswesen spürbar?
Einerseits sind das klarerweise die dadurch verursachten Unfälle und Verletzungen, zum Beispiel durch entwurzelte Bäume, herumfliegende Gegenstände oder Äste. Es gibt aber auch hier indirekte Folgen wie eine erhöhte Schimmelbelastung in überfluteten Häusern, was unter Umständen zu Atemwegserkrankungen führen oder bestehende verschlimmern kann.
"Europaweit haben die Hitzewellen von 2022 60.000 Todesfälle verursacht."
Wie ist es mit der Hitze?
Die Bandbreite der Gesundheitsauswirkungen von Hitze ist sehr breit. Längere Hitzewellen und Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt, belasten den menschlichen Organismus grundsätzlich. Je nach Vulnerabilität, Umgebungsfaktoren und Verhalten reichen die Folgen von Erschöpfung, Kreislaufproblemen, Hitzekollapsen und -ödemen, Sonnenstichen, diversen Stadien der Dehydrierung, Unfällen durch hitzebedingte kognitive Beeinträchtigungen bis hin zur Verschlechterung bestehender Krankheiten. Letzteres betrifft insbesondere Menschen mit kardiovaskulären, neurologischen sowie eigentlich allen mit dem Flüssigkeitshaushalt interagierenden Erkrankungen. All das sehen wir als Gesundheitspersonal inzwischen häufiger. Laut Angaben des Kompetenzentrums Klimawandel und Gesundheit der GÖG steigen beispielsweise die stationären Aufnahmen durch Hitzeerkrankungen in besonders heißen Sommern um 27 Prozent. Europaweit haben die Hitzewellen von 2022 60.000 Todesfälle verursacht.
Eine weitere Hitzefolge ist das Ansteigen des bodennahen Ozons in der Luft. Das reizt Schleimhäute und Bronchien und trifft besonders Menschen mit Lungenerkrankungen und Kinder. Letztere haben eine höhere Atemfrequenz als Erwachsene und atmen daher mehr Ozon ein. Waldbrände wiederum sind mit Feinstaubbelastungen verbunden. Feinstaub besteht aus winzigsten Teilchen, die sich über große Distanzen verbreiten und sehr lange in der Atmosphäre verweilen. Manche können bis tief in die Lungenbläschen eindringen. Studien zeigen hier Zusammenhänge mit der Zunahme von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer erhöhten Mortalität.
Ab wann wird Hitze kritisch?
In Österreich ist es in solchen Phasen oft schwül und feuchte Hitze ist deutlich belastender als trockene. Wenn es heiß wird, hilft sich der Körper nämlich, indem er die Blutgefäße erweitert, um so möglichst viel Wärme abzugeben. Der verdunstende Schweiß kühlt, und genau das funktioniert bei feuchter Luft schlechter, weil diese zu viel Wasser enthält und nicht mehr so viel aufnimmt. Um den Hitzestress für den Menschen zu berechnen, zieht man daher die so genannte Wet Bulb Globe Temperature respektive Kühlgrenztemperatur heran. Sie ist die tiefste Temperatur, die sich durch direkte Verdunstungskühlung in einer bestimmten Umgebung erreichen lässt, und berücksichtigt nicht nur die Lufttemperatur, sondern auch Sonneneinstrahlung, Windgeschwindigkeit und Luftfeuchtigkeit. Ein Beispiel: Bei einer Umgebungstemperatur von 30 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent beträgt die Kühlgrenztemperatur 22,3 Grad, bei 50 Grad und zehn Prozent Luftfeuchtigkeit sind es 24,3 Grad. Bei 100 Prozent Luftfeuchtigkeit sind Umgebungstemperatur und Kühlgrenztemperatur gleich. Lebensbedrohlich wird es laut Expert*innen ab einer Kühlgrenztemperatur von 31 Grad.
Wie merkt man als Individuum, dass man Hilfe braucht?
Bei Hitzewellen gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die man selbst ergreifen kann. Am besten prophylaktisch, spätestens aber bei Unwohlsein. Dann gilt es, gängige Empfehlungen zu beherzigen, wie viel zu trinken, sich auszuruhen, zumindest die Gliedmaßen zu kühlen, schattige und kühle Orte aufzusuchen. In Zweifelsfällen hilft auch das Hitzetelefon des Bundesministeriums oder die Gesundheitshotline 1450 weiter. Ein zuverlässiger Gradmesser dafür, ob man ärztliche Hilfe braucht, ist das Messen der Körpertemperatur. Ist diese erhöht, vielleicht sogar über 38 Grad, kann es gefährlich werden. Dann ist die körpereigene Wärmeregulation ernstlich gestört.
"Besonders vulnerabel sind alte Menschen."
Welche Personengruppen sind vulnerabel?
Besonders vulnerabel sind alte Menschen. Bei ihnen arbeitet das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, das den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt reguliert, anders. Und Kinder und Säuglinge können noch nicht so gut schwitzen, um überschüssige Wärme abzugeben. Ebenso zählen Personen mit chronischen Krankheiten dazu, unter anderem Diabetiker*innen. Auch Erkrankungen des autonomen Nervensystems wie beispielsweise Morbus Parkinson können sich bei Hitze verschlechtern. Grundsätzlich besteht bei allen mit blutdrucksensiblen Vorerkrankungen die Gefahr der Blutdruckdysregulation. Darüber hinaus müssen manche Menschen berufsbedingt Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, etwa Bauarbeiter*innen, Dachdecker*innen oder Fahrradbot*innen. Aber im Grunde sollten alle ihr Verhalten anpassen und aktiv einem Flüssigkeitsverlust vorbeugen. Zu wenig zu trinken und womöglich in der heißesten Phase das Tages körperlich schwere Tätigkeiten auszuüben kann selbst bei der gesunden Bevölkerung zum Hitzekollaps führen.
Welche indirekten Klimawandelfolgen spielen eine Rolle?
Die Klimaveränderungen beeinflussen den Pollenflug. Manche Blüte dauert länger, andere beginnen früher. Inzwischen schwirren fast das ganze Jahr über irgendwelche Pollen herum, das spüren Pollenallergiker*innen natürlich. Bäume steigern bei Hitzestress ihre Fortpflanzungsaktivität und produzieren mehr Pollen, folglich nimmt auch deren Konzentration in der Luft zu. Und es haben sich Neophyten, also eingewanderte Pflanzen mit Allergieauslösepotenzial, bei uns ausgebreitet. Zum Beispiel Ambrosien, auch Ragweed genannt. Zusätzlich kann die Kombination von Pollen mit Luftschadstoffen die Beschwerden verstärken. Es gibt Prognosen, dass in Europa bis 2030 50 Prozent der Menschen Pollenallergiker*innen sein werden. Jede*r im Gesundheitswesen wird also damit zu tun haben, nicht nur Allergolog*innen.
Neophyten beschränken sich aber nicht nur auf die Pflanzenwelt ...
Richtig. Es breiten sich auch gebietsfremde Stechmücken wie die asiatische Tigermücke bis nach Mitteleuropa aus. Sie können das Dengue-Virus, Chikungunya-Virus oder das Zika-Virus übertragen. Eine weitere Zoonose ist das Westnilvirus, das in Österreich bereits vorgekommen ist, wenn auch bis jetzt noch selten. In Urlaubsländern wie Spanien oder Griechenland kann das aber schon ganz anders aussehen. Jedenfalls können sich Ärzt*innen beim Anamnesegespräch nicht mehr mit einem Nein auf die Frage nach einer Fernreise begnügen, um einen Verdacht auf einen exotischen Krankheitserreger auszuschließen. Heute muss man bei der Diagnostik auch an mögliche Übertragungen im Inland denken.
Was hat sich durch der Klimaerwärmung bei einheimischen Überträgern von Infektionskrankheiten verändert?
Die Zunahme von Infektionen mit FSME und Lime-Borreliose durch Zecken zählt ebenfalls zu den indirekten Folgen der Klimaerwärmung. Sie sind hierzulande mittlerweile fast das ganze Jahr über aktiv. Zudem hat ihre Anzahl zugenommen, was auch auf die vorhin beschriebene hitzestressbedingte Verhaltensänderung der Bäume zurückzuführen ist. Wenn nämlich Buchen in einem Mastjahr besonders viele Bucheckern produzieren, freuen sich die Mäuse über die zusätzliche Nahrungsquelle und ihre Populationen wachsen. Mäuse dienen den Zecken als Wirte, das heißt, auch diese finden bessere Vermehrungsbedingungen vor. Von jenen Arten, die FSME und Lime-Borreliose auf Menschen übertragen, gibt es dann ebenfalls mehr.
"Betroffene von Extremwetterereignissen laufen Gefahr, einen posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln."
Zählen auch psychische Belastungen zu den indirekten Folgen der Klimakrise?
Natürlich. Betroffene von Extremwetterereignissen laufen Gefahr, eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln. Und wenn Landwirt*innen zusehen müssen, wie ihre Ernte oder ihr Wald vernichtet wird, ist das auch psychisch schwer zu verkraften. Sehr stark wirkt sich die Klimakrise zudem auf Kinder und Jugendliche aus. Nicht wenige kämpfen aufgrund der unerfreulichen Zukunftsprognosen, die wohlgemerkt auf den realen Veränderungen der Erde basieren, mit so genannter „Climate Anxiety“.
Wie gut ist unser Gesundheitssystem auf all das vorbereitet?
In Bezug auf die Klimakompetenz der Gesundheitsberufe gibt es noch Luft nach oben. Wir haben diesbezüglich zwar viele Pilotinitiativen in Österreich, aber die flächendeckende Verankerung der Curricula fehlt. Es braucht unbedingt eine entsprechende Offensive in der Aus- und Weiterbildung. Je mehr Wissen und Awareness vorhanden sind, desto leichter sind die notwendigen Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen umzusetzen.
Um welche Anpassungen geht es da zum Beispiel?
Um einigermaßen gut durch Hitzewellen zu kommen, müssen Menschen, speziell solche mit Vorerkrankungen, bestimmte Maßnahmen ergreifen. Klimakompetentes Gesundheitspersonal ist ein Multiplikator in puncto Patient*inneninformation. Es kann die Bevölkerung in richtigem Verhalten schulen und den Patient*innen außerdem individuelle Empfehlungen mit auf den Weg geben. Eine entsprechende Patient*innenberatung muss und wird viel stärker Teil der Versorgung werden. Zudem sollte für Ärzt*innen in der warmen Jahreszeit das Screening der Medikamente zur neuen Routine werden. Einige Arzneimittel beeinflussen die Thermoregulation, etwa Psychopharmaka. Manche Antipsychotika können den systolischen Blutdruck senken. Auch Hypertoniker*innen, die Blutdruckmedikamente nehmen, muss man aufklären, dass die hitzebedingte Gefäßerweiterung den Blutdruck zusätzlich senkt. Zudem bleibt nicht jeder Wirkstoff bei steigenden Temperaturen und erhöhter Luftfeuchtigkeit stabil. Je nach Indikation ist es wichtig, temporäre Dosierungsänderungen, Lagerungsfragen und eventuelle Blutdruck-Selbstmessungen mit den Betroffenen abzusprechen.
Wie sieht es mit Leitlinien aus?
Konkrete Handlungsempfehlungen gibt es von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zur klimabewussten Verordnung inhalativer Arzneimittel. Das ist gut erforscht, es geht dabei um den zurückhaltenden Einsatz treibhausgashaltiger Inhalatoren. Doch evidenzbasierte Leitlinien zu erstellen ist nicht so einfach. Wir sehen zwar die geschilderten Auswirkungen, können sie aber in manchen Bereichen noch nicht genau quantifizieren. Studien dauern viele Jahre, zugleich drängt die Zeit. Angesichts der offenkundigen Dringlichkeit sollte man aus meiner Sicht nach bestem momentan verfügbaren Wissen so viele Maßnahmen wie möglich setzen, auch wenn die Datenlage besser werden muss.
Was müsste das Gesundheitssystem noch beachten?
Der Gesundheitssektor selbst muss klimafreundlich und klimaresilient werden. Daran arbeitet beispielsweise die Alliance for Transformative Action on Climate and Health (ATACH) der WHO, in der sich 63 nationale Gesundheitssysteme zusammengeschlossen haben. Erfreulicherweise zählt Österreich seit Kurzem dazu. Weiters müssen Gesundheitseinrichtungen bauliche Maßnahmen beachten. Wie können beispielsweise Spitäler Patient*innen bei Hitzewellen schützen und Einbußen der Leistungsfähigkeit des eigenen Personals verhindern? Operationssäle werden zwar klimatisiert, aber mit anderen Gebäudeteilen sieht es höchst unterschiedlich aus. Da geht es um Fragen wie Gebäudeisolierung, Dämmung, Kühlung, Beachtung des ökologischen Fußabdrucks. Im Übrigen ist es im Interesse des Gesundheitssystems, sich präventiv für eine klimafreundliche Lebensweise einzusetzen. Mehr pflanzenbasierte Ernährung und häufigeres Zu-Fuß-Gehen schützen nicht nur den Planeten, sondern vor allem die Gesundheit unserer Patient*innen.
Interview: Uschi Sorz; Fotos: Thomas Schauer, www.de.depositphotos.com
Johanna Schauer-Berg, Dr., MPH
Obfrau der Umweltinitiative Health for Future Austria
Schauer-Berg ist Ärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzausbildung in Public Health sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemein-, Familien- und Präventivmedizin und Zentrum für Public Health und Versorgungsforschung der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg, wo sie zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Gesundheitsbereich forscht. Außerdem ist sie Umweltmedizin-Referentin bei der Ärztekammer Salzburg und Obfrau der Umweltinitiative Health for Future Austria.