„Assistierter Suizid kann niemals zu unserem Angebot gehören“
Die Vinzenz Gruppe hat ihre Position zum assistierten Suizid eindeutig definiert. „Wir kommunizieren, was wir tun – und was wir nicht tun können“, betont Mag. Thomas Pree, Leiter des zentralen Wertemanagements.
Seit Jahresbeginn ist assistierter Suizid in Österreich gesetzlich neu geregelt und unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Wie geht die Vinzenz Gruppe damit um?
Thomas Pree: Dieses wichtige Thema betrifft den Kern unseres Tuns. Schließlich sind wir gemäß unserem christlichen Selbstverständnis da, um Leben zu schützen und zu stärken. Deshalb kann assistierter Suizid niemals Teil des Angebotsspektrums der Vinzenz Gruppe sein. Das bringen wir durch die nun erfolgte Positionierung klar zum Ausdruck. Damit geben wir auch unseren Mitarbeiter*innen, die mit diesem Thema konfrontiert werden, Orientierung und schaffen für sie eine Schutzzone. Zugleich gewährleistet diese Position Transparenz und Fairness für Patient*innen und Bewohner*innen unserer Einrichtungen. Sie wissen dadurch, wie wir zu dieser Frage stehen und was sie von uns erwarten können.
Sind die Mitarbeiter*innen verpflichtet, sich an diese Position zu halten?
Jemandem beim Suizid zu helfen, widerspricht fundamental unserem Auftrag. Mitarbeiter*innen in unseren Einrichtungen dürfen keine Handlungen setzen, die unmittelbar der Vorbereitung oder Durchführung eines Suizids dienen. Es ist der Wunsch und die Erwartung, dass sich die Mitarbeiter*innen entsprechend dieser Position verhalten. Wir vertrauen darauf, dass sie entlang dieser Position ihr Gewissen bilden und daraus ihre Antworten auf konkrete Anfragen und Situationen entwickeln.
Es ist nicht auszuschließen, dass andere Personen, zum Beispiel Angehörige, in Einrichtungen der Vinzenz Gruppe Suizidhilfe leisten. Wie geht man damit um?
Jeder Mensch hat seine individuellen Lebensperspektiven und das Recht, diese selbst zu gestalten. Das bleibt eine Frage der Eigenverantwortung. Es steht uns nicht zu, in diese privateste Sphäre hineinzuwirken, das wäre auch nicht in unserem Sinn. Wir respektieren Selbstbestimmung, aber wir vermitteln auch, dass wir nicht jede Entscheidung unterstützen. Respekt heißt nicht Selbstaufgabe, Respekt bedeutet auch nicht Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit in der eigenen Positionierung. Und Respekt braucht immer zwei Seiten: Wir bitten zu respektieren, dass wir kein Ort für assistierten Suizid sind und wir es nicht als unsere Aufgabe verstehen, jemanden bei einem Suizid zu unterstützen. Menschen, die uns gegenüber den Wunsch nach Suizidhilfe äußern, wollen wir weiterhin unsere volle menschliche und fachliche Zuwendung anbieten. Das ist uns ein Herzensanliegen. Darum bemühen wir uns auch um eine Atmosphäre, in der Menschen offen ihre Bedürfnisse und Überlegungen besprechen können. Hausverbote, Gesprächsverweigerungen, Abwertungen oder Ähnliches würden dem entgegenstehen.
"Wir respektieren Selbstbestimmung, aber wir vermitteln auch, dass wir nicht jede Entscheidung unterstützen."
Wie sollen Mitarbeiter*innen damit umgehen, wenn Patient*innen oder Bewohner*innen Suizidgedanken äußern?
Suizid wird nicht erst durch die neue gesetzliche Regelung zum Thema, er ist seit jeher präsent, auch in unseren Einrichtungen. Entscheidend ist, jeden Sterbenswunsch – in welcher Form auch immer er geäußert wird – ernst zu nehmen. Man sollte sich in einem solchen Moment vergegenwärtigen, dass wir in unseren Einrichtungen hohe Qualität anzubieten haben für Menschen in schweren Lebenssituationen: eine gute, fachliche Abwägung der Möglichkeiten in interprofessionellen Teams und in ethischen Fallbesprechungen, eine palliativmedizinische, psychologische und seelsorgliche Betreuung, auch für Angehörige und für die Mitarbeiter*innen. Schließlich betrifft jeder mögliche Suizid auch das soziale Umfeld.
Ist die thematische Auseinandersetzung mit dem Thema assistierter Suizid für die Vinzenz Gruppe mit dieser Positionierung abgeschlossen?
In dieser existenziellen Frage gibt es sicherlich nicht in jedem Einzelfall eine vorgefertigte, richtige Antwort. Wir verstehen uns in dieser Frage als Lernende, und die Auseinandersetzung mit diesem Thema kann keine abschließende sein. Daher lautet der Appell an alle Mitarbeiter*innen: Bleiben wir im Dialog, in den Teams, in den Häusern, in unseren Netzwerken. Niemand soll mit seinen Fragen allein bleiben. Und niemand soll diese Anfragen allein bearbeiten.
Interview: Josef Haslinger
Thomas Pree, Mag.
Leitung Zentralbereich Wertemanagement der Vinzenz Gruppe
Pree studierte Theologie und vertiefte sich in verschiedenen Lehrgängen in systemisches Management. Nach seiner 20 jährigen Tätigkeit als Religionslehrer, Seelsorger sowie Leiter der Pfarren Mauthausen und Mitterkirchen wurde er Leiter der Krankenhausseelsorge im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern. Seit 2018 leitet er den Zentralbereich Wertemanagement der Vinzenz Gruppe.