„Arzneimittel sind keine Konsumgüter“
Zum dritten Mal hat die Drogeriemarktkette dm versucht, den Apothekenvorbehalt für rezeptfreie Arzneimittel in Österreich auszuhebeln. Ohne Erfolg, denn der Verfassungsgerichtshof in Wien hat erneut entschieden, dass die Regelung verfassungskonform ist. Im Interview spricht Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, von einer richtungweisenden Entscheidung im Sinne der Versorgungssicherheit für die Bevölkerung.
Der Verfassungsgerichtshof hat den dm-Antrag gegen das Apothekermonopol bereits zum dritten Mal zurückgewiesen. War die Entscheidung für Sie absehbar?
Mursch-Edlmayr: Wir sind mit dem Urteil des VfGH zufrieden, da erneut bestätigt wurde, dass Apotheken dazu da sind, die Versorgung der Bevölkerung mit Heilmitteln sicherzustellen. Es geht hier nicht nur um das Detail, den sogenannten OTC-Markt zu deregulieren, sondern auch um den staatlichen Gesamtauftrag der Apotheken. Diese unterliegen schließlich zahlreichen öffentlich-rechtlichen, standes- und disziplinarrechtlichen Verpflichtungen, die sicherstellen sollen, dass eine funktionierende Versorgung der Bevölkerung tatsächlich auch erreicht wird. Diesen Gesamtauftrag hat das Höchstgericht mit seiner Entscheidung letztlich bestätigt.
In Österreich gibt es 1.396 öffentliche Apotheken (stand 2021). Das ist eine geringe Apothekendichte. Wäre es da nicht sinnvoll, den Verkauf von rezeptfreien Arzneimitteln zu liberalisieren, um den Zugang zu rezeptfreien Arzneimitteln für die Bevölkerung zu erleichtern?
Die Überlegung, den Markt zu liberalisieren, ist in anderen europäischen Ländern ja bereits seit einigen Jahren umgesetzt worden. Es hat sich aber gezeigt, dass dies nicht zu einer höheren Apothekerdichte geführt hat. In Schweden oder Norwegen beispielsweise hat die Liberalisierung vielmehr dazu geführt, dass die Apotheken sich vermehrt in den Ballungszentren niedergelassen haben. Dadurch hat sich zwar die Versorgung der Stadtbevölkerung geringfügig verbessert, gleichzeitig aber hatte die Landbevölkerung das Nachsehen.
Inwiefern?
Es hat zu einem Apothekensterben am Land geführt. Durch die Abwanderung von Apotheken in wirtschaftsstarke Regionen kam es zu einem Niedergang der apothekerlichen Versorgung der Landbevölkerung. Die Apotheken konnten ihrem klassischen Versorgungsauftrag nicht mehr nachkommen. Um dem entgegenzuwirken, hat man wiederum spezifische und regulatorische Lösungen geschaffen, um die Arzneimittelversorgung wieder flächendeckend zu gewährleisten. Im Vergleich dazu sind wir in Österreich mit den rund 1.400 Apotheken sehr gut aufgestellt. Wir haben vor einigen Monaten dazu eine Studie durchgeführt, in der wir die Anzahl der Bewohner pro Bundesland mit der Anzahl der Apotheken pro Bundesland verglichen haben. Das übereinstimmende Ergebnis hat gezeigt, dass wir in Österreich die Bevölkerung vorbildhaft flächendeckend versorgen können. Im Durchschnitt ist für jeden Bewohner in Österreich eine Apotheke innerhalb von fünf bis zehn Minuten erreichbar.
"Arzneimittel haben Wirkungen und Nebenwirkungen, rezeptfreie interagieren mit rezeptpflichtigen Heilmitteln. Gerade hier ist es absolut wichtig, die Menschen zu begleiten und zu beraten."
Die Bundeswettbewerbsbehörde kritisiert aber, dass Österreichs Apotheken ihre Geschäfte als Monopolisten durchführen. Dadurch finde kein Wettbewerb statt. Das würde aber die Preise senken.
Auch hierzu gibt es internationale Studien, die festgestellt haben, dass die Deregulierung bzw. Liberalisierung des OTC-Arzneimittelmarktes in Summe kaum zu wirklichen Preisverbesserungen geführt haben. Natürlich gibt es Topseller, die man zu Schnäppchenpreisen anbieten kann. Arzneimittel sind jedoch keine Konsumgüter. Es geht dabei sowohl um rezeptpflichtige als auch um rezeptfreie Arzneimittel. Wir sprechen von einer betreuten Selbstmedikation der Patienten. Man kann in diesen Bereichen die Bevölkerung nicht sich selbst überlassen. Gerade hier ist es absolut wichtig, die Menschen zu begleiten und zu beraten. Arzneimittel haben Wirkungen und Nebenwirkungen, rezeptfreie interagieren mit rezeptpflichtigen Heilmitteln. Hinzukommt, dass es bei rezeptfreien Medikamenten wie Hustenmittel, Abführmittel, Nikotinersatzmittel und vielen anderen zu massiven Nebenwirkungen kommen kann. Wenn es um die Gesundheit der Patienten geht, ist Wettbewerb doch sicher das falsche Ziel.
Der Selbstmedikationsmarkt boomt und der Versandhandel lockt mit attraktiven Preisen. Warum können örtliche Apotheken da nicht mithalten?
Online-Apotheken profitieren von attraktiven Prämien oder Sonderangeboten. Dahinter stecken zumeist Riesenkonzerne, die in Großmengen einkaufen und daher bessere Preise generieren. Österreichische Apotheken sind unabhängige Einzelbetriebe. Eine durchschnittliche Apotheke hat in der Regel zwischen 16.000 und 20.000 Artikel auf Lager, um die Menschen vollständig mit versorgungsrelevanten Arzneimitteln zu versorgen. Da sind meist keine Top- oder Bestseller dabei, die man zum Schnäppchenpreis verkaufen kann. Das funktioniert im Versandhandel tatsächlich anders.
"Eine fundierte und vertrauensvolle Beratung über die richtige Auswahl und Anwendung von Arzneimitteln kann nur in Apotheken gewährleistet werden."
In Österreich besteht ja mittlerweile die Möglichkeit, rezeptfreie Arzneimittel online zu bestellen. Worin liegt Ihrer Ansicht nach denn der Unterschied zwischen einer Online-Bestellung und der Selbstbedienung in einer Drogerie?
Nun, die Möglichkeit der Online-Apotheke ist der Globalisierung geschuldet. Man hat in den vergangenen Jahren festgestellt, dass die Liberalisierung des Marktes bei Konsumgütern gut funktioniert, sich aber bei Arzneimitteln und im Gesundheitsbereich mittelfristig als schwierig erweist. Das hat dazu geführt, dass einige rezeptfreie Arzneimittel wieder vom Versand ausgenommen wurden, da es wissentlich oder unwissentlich zu missbräuchlichen Anwendungen mit schwersten Nebenwirkungen kam. Hier wird vielerorts wieder zurückgerudert. Eine fundierte und vertrauensvolle Beratung über die richtige Auswahl und Anwendung spielt eine große Rolle und kann eben nur in Apotheken gewährleistet werden.
Interview: Rosi Dorudi;
Ulrike Mursch-Edlmayr, Dr.
Präsidentin der Apothekerkammer
Mursch-Edlmayr studierte Pharmazie an der Universität Innsbruck und schloss ihr Studium mit dem Doktorat am Pharmakologischen Institut der Universität Innsbruck ab, wo sie auch als Universitätsassistentin arbeitete. Anschließend war sie als angestellte Apothekerin tätig. 1999 hat sie die Steyrtalapotheke in Neuzeug, Oberösterreich, eröffnet und war Präsidentin der Apothekerkammer Oberösterreich. Bis 2016 war sie Landesobmann-Stellvertreterin der SVA, sie ist Aufsichtsrätin der GE-SPAG (Oberösterreichische Gesundheitsholding) und Mitglied des OSR. Seit 2017 ist sie Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer.