"Nicht verharren, sondern den Flow nutzen und dranbleiben!"
Die aktuelle Krankenhauslandschaft in Oberösterreich trägt stark die Handschrift von Wolfgang Bayer. Neue Impulse zur Veränderung und bedarfsgerechten Umschichtung hält der „Architekt“ der Spitalsreform II auch weiterhin für unverzichtbar: Den Status quo nur fortzuschreiben, würde schon in wenigen Jahren wieder hunderte zusätzliche Spitalsbetten erfordern.
Sie waren zehn Jahre lang, ab 2010, sozusagen der „Mister Spitalsreform“ in Oberösterreich. Was wäre im Gesundheitswesen dieses Bundeslandes heute anders, hätte es diese umfassende – und mancherorts auch umstrittene – Reform nicht gegeben?
Wolfgang Bayer: Die Kosten für das oberösterreichische Gesundheitswesen wären wesentlich höher, nämlich um rund 100 Millionen Euro pro Jahr. Das System wäre deshalb aber nicht noch besser, als es heute ist. Eine Reform in dieser Konsequenz und Klarheit habe ich bis dahin nicht erlebt. Es war schon ein sehr mutiger Schritt, den die Landespolitik da gesetzt hat. Auslöser war die Tatsache, dass 2010 die Krankenhaushäufigkeiten, Spitalsbetten und Belagstage in Oberösterreich deutlich höher waren als im übrigen Österreich. Die Reform hat entscheidende Impulse im Sinne der bedarfsorientierten Patientenversorgung gesetzt.
Gibt es auch Ziele, die nicht erreicht wurden?
Die Reform umfasste mehr als 200 Maßnahmen, alle wurden in diesen zehn Jahren umgesetzt. Es hieß aber nicht einfach: So und nicht anders. Bei rund einem Viertel aller Maßnahmen wurden Beschlüsse angepasst oder ergänzt. Da gab es also auch eine Dynamik. Grundsätzlich war die Vorgangsweise schon Top-Down, aber die Spitalsträger wussten von Anfang an, was an Beiträgen zu bringen war. Und beitragen musste jeder etwas, wobei manche von sich aus sogar darüber hinausgegangen sind. Ausgewogenheit und Transparenz waren die Erfolgsrezepte. Insgesamt hat die Spitalsreform II eine Kostenreduzierung von 1,5 Milliarden Euro gebracht. Es wurden jedoch nicht nur Kosten gesenkt, sondern auch sinnvolle, nachhaltige neue Strukturen geschaffen. In manchen Bereichen ist mehr geschehen, als ursprünglich vorgesehen war. Das Ordensklinikum Linz etwa war gar nicht im Plan enthalten, ebenso das Pyhrn-Eisenwurzen Klinikum. Das Salzkammergut Klinikum war als Vision gedacht, wurde aber ebenfalls bereits umgesetzt. Und die kürzlich erfolgte Gründung des Ordensklinikums Innviertel ist zwar nicht direkt ein Resultat der Spitalsreform, aber ein Ausdruck des Kooperationsgedankens, der durch die Reform deutlich stärker ausgeprägt wurde.
Rückblickend betrachtet: Hätten manche Maßnahmen anders ausgesehen, wäre die Covid-19-Pandemie bereits absehbar gewesen?
Durch die Spitalsreform II wurden keine Intensivbetten abgebaut; es gab sogar geringfügige, bedarfsgerechte Erhöhungen. Wir haben in Oberösterreich auch jetzt, in der Pandemie, nicht zu wenig Intensivbetten. Nachschärfen heißt es vor allem beim Fachpersonal und bei den Abläufen. Auch hier geht es darum, die bestehenden Strukturen und die personellen Ressourcen bestmöglich zu nutzen.
"Wir haben auch in der Pandemie nicht zu wenig Intensivbetten!"
Ist die Spitalsreform damit abgeschlossen?
Die Hausaufgaben wurden gemacht und die wesentlichen Ziele erreicht, wobei einige Projekte noch abzuschließen sind. Doppelgleisigkeiten wurden beseitigt, eine tragfähige Basis für die kontinuierliche Weiterentwicklung wurde geschaffen. Aber die Versorgungsplanung geht natürlich weiter, sie wird im Regionalen Strukturplan Gesundheit (RSG) 2025 fortgesetzt. Neben den Spitälern ist erstmals auch der niedergelassene Bereich eingebunden. Neu ist auch, dass die Strukturen und Kapazitäten von einer konkreten Leistungsplanung abgeleitet werden. Wesentliche Prämissen sind – neben verstärkter Prävention – die zunehmende Ambulantisierung im Spital und die wirksame Verstärkung in der wohnortnahen Grundversorgung, etwa durch Primärversorgungszentren. Die Versorgung komplexer Fälle wird weiterhin gebündelt in den dafür vorgesehenen Zentren erfolgen. Zugleich sollen die Regionalspitäler gestärkt werden, indem sie zum Beispiel die Nachsorge nach solchen komplexen Eingriffen übernehmen und jederzeit mit den spezialisierten Zentren in Verbindung stehen – Stichwort Telemedizin. Da hat sich die Pandemie ja als ein starker Treiber erwiesen.
Wird es zu einem weiteren Abbau von Spitalsbetten kommen?
Die demografische Entwicklung stellt neue Herausforderungen. Bettenabbau ist nicht das Thema, sehr wohl aber die Umschichtung von Kapazitäten, etwa von der Allgemeinchirurgie hin zu Akutgeriatrie und Remobilisation. Würden wir nur den jetzt erreichten Status quo fortschreiben, bräuchten wir allein wegen der Änderungen in der Altersverteilung der Bevölkerung alle fünf Jahre zusätzlich 200 oder 300 Spitalsbetten.
"Auf den Patientennutzen schauen, alles andere weglassen!"
Bei der Spitalsreform haben Sie als Leiter der zuständigen Kommission auf die Umsetzung und Evaluierung geachtet. Werden Sie das auch beim RSG 2025 tun?
Die Evaluierungskommission in dieser Form gibt es nicht mehr, der Umsetzungsprozess wird vom Land Oberösterreich gestaltet. Als Steuerungsinstrumente dienen Zielvereinbarungen mit den Spitalsträgern, von denen auch entsprechende Konzepte eingefordert werden. Ich bin zuversichtlich, dass alle Maßnahmen partizipativ und vertrauensvoll erfolgen werden. Verstärkte Kooperation war ein wesentlicher Faktor der Spitalsreform, und sie setzt sich nun im RSG 2025 fort. Diese Kultur des Miteinanders, diesen Flow gilt es nachhaltig fortzusetzen, sowohl auf Träger- als auch auf Planungsseite. Es braucht Reflexion und Weiterentwicklung. Ziel muss es sein, auf den Patientennutzen zu schauen, die Ressourcen dorthin zu bringen, wo sie am meisten bewirken, und alles andere wegzulassen. Da heißt es konsequent dranzubleiben, auch beim RSG 2030, an dem ab 2024 zu arbeiten sein wird.
Werden Strukturpläne in dieser Form ausreichen, oder wird in den nächsten Jahren erneut eine massive Reform notwendig sein?
Idealerweise nicht mehr. Es ist jedoch ein wenig wie nach einer Operation: Da kann man auch nicht hundertprozentig garantieren, dass nie wieder eine weitere nötig wird. Ich glaube, alle Akteurinnen und Akteure stimmen überein, dass es besser ist, laufend zu trainieren beziehungsweise dann und wann eine Diät einzulegen, um fit zu bleiben und radikale Maßnahmen zu vermeiden.
Interview: Josef Haslinger
Wolfgang Bayer, MMag.
Geschäftsführer der Wolfgang Bayer Beratung GmbH
Bayer (52) ist studierter Betriebswirt und Wirtschaftspädagoge. Der Oberösterreicher war Geschäftsführer und Partner von KPMG Österreich, ehe er 2009 die Wolfgang Bayer Beratung GmbH mit Sitz in Linz gründete. Das Unternehmen berät Kunden im Gesundheits- und Sozialbereich bei der Optimierung von Strukturen und Prozessen sowie bei der strategischen Ausrichtung. Als Leiter der Expertenkommission und später der Evaluierungskommission hat er die Spitalsreform II in Oberösterreich maßgeblich gestaltet und begleitet. Auch der RSG OÖ 2025 entstand unter seiner Projektleitung. Der passionierte Tennisspieler lebt in St. Georgen im Attergau.