Amazon expandiert im Medizinbereich
Der Online-Riese Amazon stößt immer weiter in den Gesundheitsbereich vor: Neben der Forschung an Künstlicher Intelligenz arbeitet man intensiv an einem Netzwerk an medizinischen Dienstleistungen – und investiert dafür Milliarden.
Amazon ist schon lange kein einfaches Online-Versandhandelsunternehmen mehr. Der US-Konzern hat sein Angebot in den letzten Jahren enorm erweitert und sich zu einem wahren Giganten in unterschiedlichsten High-Tech-Bereichen entwickelt – wie beispielsweise Streaming, Cloud Computing oder Künstlicher Intelligenz (KI).
Letztere wird auch zu einem Schlüssel in einer Sparte, in die Amazon seit ein paar Jahren ebenfalls immer weiter vordringt: das Gesundheitswesen. So arbeitet das Unternehmen aktuell an einem Tool für sprachgesteuerte klinische Dokumentation, das künftig sogar virtuelle medizinische Assistenz leisten soll. Erst im vergangenen September sorgte man zudem für Schlagzeilen, als eine spektakuläre Beteiligung an Anthropic bekannt gegeben wurde: Insgesamt flossen 4 Milliarden Dollar in das Start-up, das Künstliche Intelligenzen entwickelt. Mit dem Investment will Amazon verhindern, dass sich die Konkurrenz, allen voran Google und Microsoft, bei den Entwicklungen im medizinischen KI-Bereich einen Startvorteil sichert.
Amazon-Apotheke
Doch auch in seinem klassischen Betätigungsfeld, dem Versandhandel, entwickelt sich das Unternehmen zum gewichtigen Mitspieler im Gesundheitsbereich: Bereits im November 2020 wurde Amazon Pharmacy gelauncht, eine Online-Apotheke, in der Patient*innen sogar verschreibungspflichtige Medikamente bestellen können – letzteres aktuell auf die USA beschränkt. Mittlerweile wurde zudem ein Abo-System, ähnlich der Amazon-Prime-Mitgliedschaft, ins Leben gerufen; für 5 Dollar monatlich wird man regelmäßig mit rezeptfreien Generika versorgt.
Pharmacy entpuppte sich jedenfalls als voller Erfolg. Eine Studie belegt, dass über 60 Prozent der Pharmafirmen den Vertriebskanal über Amazon als wichtig erachten. Dessen Umsatz für nicht verschreibungspflichtige Medikamente stieg 2022 um 27 Prozent auf umgerechnet knapp 240 Millionen Euro. Das Unternehmen sei „im Pharmamarkt angekommen und in der Healthcare-Branche zu einem unverzichtbaren Kanal geworden“, so das Fazit der Studie.
Vernetzte Arztpraxen
Der nächste Schritt auf dem Weg zum globalen Top-Player im Gesundheitsbereich folgte im Sommer 2022: Die Übernahme von OneMedical, einem Netzwerk von rund 200 Hausarzt-Praxen, bei dem Patient*innen mittels kostenpflichtigem Abonnement rund um die Uhr virtuelle oder persönliche Arztbehandlungen buchen können.
"Wir wollen nichts zerstören, wir wollen etwas bewirken", erklärt Amazon-Pharmacy-Chefin Tanvi Patel.
Die Investition ebnet Amazon den Weg in das „echte“ Gesundheitswesen – zu realen Medizinerinnen und Medizinern. Die mehr als 8.000 Mitglieder des Netzwerks sind für Amazon die Basis für weitere Expansion, insbesondere jener der eigenen Behandlungsplattform namens Amazon Clinic. Diese bietet seit November 2022 die Möglichkeit zur virtuellen Behandlung von aktuell 35 Erkrankungen wie Sodbrennen, Migräne, Bindehautentzündung oder Akne an. Man kann dabei aus verschiedenen Online-Kliniken, die auch im Preis variieren, einen Videotermin auswählen, bei dem man dann von realen Ärzt:innen behandelt und beraten wird. Auch für diesen Service ist eine Amazon-Mitgliedschaft notwendig, über die Krankenversicherung kann die Behandlung nicht abgerechnet werden.
Wachsendes Netzwerk
Das große Ganze hat Amazon dabei jederzeit im Blick: Die Bestellung der benötigten Medikamente findet nach einem Clinic-Termin natürlich über Amazon Pharmacy statt – gleiches soll demnächst auch bei den Praxen des OneMedical-Netzwerkes der Fall sein.
„Netzwerk“ ist auch das Stichwort bei weiteren Ambitionen des Online-Riesens: So lag 2022 ein Amazon-Angebot von rund acht Milliarden Dollar für Signify Health vor, dem größten US-Vermittler von privaten Pflegekräften. Die Möglichkeit der Verknüpfung von Arztpraxen, Medikamentenversand und häuslicher Pflege hätte einen regelrechten Gamechanger im US-Gesundheitswesen bedeutet. Allerdings zog Amazon hier diesmal den Kürzeren: Signify Health wurde schließlich vom Pharmaunternehmen CVS Health Corporation übernommen.
Kritik an der exzessiven Expansionspolitik und damit verbunden der Vernichtung von kleineren Unternehmen lässt Amazon jedenfalls naturgemäß nicht gelten. Die Strategie des Konzerns sei vielmehr, sich auf bedürftige Patient*innen zu konzentrieren, wie Amazon-Pharmacy-Chefin Tanvi Patel betont: „Wir wollen nichts zerstören, wir wollen etwas bewirken“.
Text: Michi Reichelt; Foto: © Christian Wiediger, Unsplash