"'Der Punkt ist doch: Wie hilfreich bin ich als Arzt wirklich?"
Der Oberösterreicher Andreas Obermair ist nicht nur einer der führenden Gynäko-Onkologen in Australien: Er hat außerdem ein digitales Tool entwickelt, mit dem operierende Ärzt*innen den Erfolg ihrer Eingriffe auch nach der Entlassung der Patient*innen verfolgen und vergleichen können – persönlich und vertraulich.
Was führt einen österreichischen Mediziner beruflich nach Australien?
Andreas Obermair: Nach meiner Facharztausbildung wollte ich unbedingt ein, zwei Jahre im Ausland arbeiten. Ich habe mich für eine Stelle in einer australischen Klinik mit hoher gynäkoonkologischer Expertise beworben, dort dann einen Superjob bekommen und bin geblieben. Inzwischen lebe ich mit meiner Familie schon über 20 Jahre im sonnigen Brisbane und würde mich an kalte, neblige Wintertage wohl nur noch schwer gewöhnen (lacht).
Sie haben sich in Ihrer neuen Heimat nicht nur als Arzt und Wissenschaftler einen Namen gemacht, sondern auch mit einer App namens SurgicalPerformance. Worum geht es dabei?
Es geht darum, chirurgisch tätige Ärzt*innen in die Lage zu versetzen, ihre klinischen Resultate, die Zufriedenheit der Patient*innen, aber auch eventuelle Komplikationen jederzeit verfolgen zu können. Als Operateur will ich schließlich wissen, wie es meinen Patient*innen geht, auch dann, wenn sie schon aus der Klinik entlassen wurden. Das ist Teil meiner ärztlichen Verantwortung und sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Und das ist es nicht?
Die Mehrzahl der Gynäkolog*innen in Australien arbeitet sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitssystem, das hier deutlich ausgeprägter ist als in Österreich: Rund 40 Prozent der Patient*innen sind privat versichert. Viele Informationen aus beiden Systemen werden nicht zusammengeführt, es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Codes, etc. All das bewirkt, dass ich als Chirurg zum Beispiel gar nicht herausfinden kann, wie viele Hysterektomien und für welche Indikationen ich in einem bestimmten Zeitraum gemacht habe, und erst recht nicht, wie erfolgreich diese Eingriffe letztendlich waren. Es würde mich wundern, wenn das in Österreich anders wäre. Ein Linzer Chirurg, der eine Mühlviertler Patientin operiert, erfährt es vermutlich nicht zwingend, wenn diese wegen einer Komplikation daheim dann ein anderes Spital aufsucht.
Und SurgicalPerformance würde das möglich machen?
Es funktioniert so: Man gibt auf einfache Weise bestimmte klinische Daten in die App ein. Anhand der verschlüsselten Daten hat der Nutzer auf übersichtlichen Dashboards jederzeit Einblick in seine eigenen – und natürlich nur seine eigenen – Fallzahlen, Prozeduren und Komplikationsraten, jeweils im Vergleich zur entsprechenden, anonymisierten Benchmark. Auch die Zufriedenheit der Patient*innen im weiteren Verlauf wird erfasst, durch sogenannte PROMS (Patient Reported Outcomes Measures), das sind Fragen, die die Patient*innen direkt am Smartphone beantworten können. Erst dieses Wissen ermöglicht Selbstreflexion und weitere Verbesserung – report, reflect and perfect. Hinter diesem Ansatz steht auch RANZCOG, die Fachgesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Australien und Neuseeland, mit der wir seit Jahren zusammenarbeiten.
"Erst dieses Wissen ermöglicht Selbstreflexion und weitere Verbesserung - report, reflect and perfect."
Wo wird dieses Tool bereits eingesetzt?
Unser Budget ist limitiert, daher wollen wir es zuerst in Australien und Neuseeland ausrollen. Der Zuspruch ist groß, es gibt inzwischen mehrere hundert Benützer, und es werden ständig mehr. Ich bin ehrlich gesagt verblüfft, dass wir meines Wissens weltweit nach wie vor keinen Mitbewerber haben, der Ähnliches macht. Es werden alle möglichen Parameter erhoben, bis hin zur Erhebung der Operationsdauer, die ein OP-Roboter bei jedem Eingriff bringt. Das alles hat schon auch seine Berechtigung, zielt aber an den wirklich wichtigen Fragen vorbei. Die Schlüsselfrage ist doch: Konnte ich meinen Patient*innen helfen? Das ist im Grunde so einfach.
Müssen Nutzer*innen nicht befürchten, dass ihnen durch SurgicalPerformance sozusagen jemand bei der Arbeit über die Schulter schaut und sie bei einer Komplikation Probleme bekommen könnten?
Seine eigenen Daten sieht nur der jeweilige Nutzer und niemand sonst. Wir wissen, dass Datenschutz eine zentrale Anforderung für diese App ist, und wir investieren viel Zeit und Geld, um diesen Schutz sicherzustellen. Kein Dritter wird jemals identifizierbare Informationen bekommen – never ever. Es geht bei SurgicalPerformance nicht um Kontrolle, sondern darum, dass Ärzt*innen ihre persönliche Performance kennen und daraus lernen können. Es ist ein Tool zur Qualitätssicherung und damit auch wichtig für die Reputation von Ärzt*innen bei Zuweiser*innen und Patient*innen.
Sind Sie sicher, dass jeder Arzt, jede Ärztin die eigene Performance so genau kennen will?
Jeder Operateur will wissen, ob er einen guten Job macht, davon bin ich überzeugt. Dass es zu Komplikationen kommen kann, ist eine Tatsache. Aus eigenen akademischen Forschungen zu dieser Thematik weiß ich, welche großen persönlichen Probleme für Ärzt*innen daraus entstehen können, bis hin zum Suizid. Daher ist es auch emotional so wichtig, zu wissen, was in meiner Arbeit als Operateur gut läuft und wo ich noch besser werden kann.
"Jeder Operateur will wissen, ob er einen guten Job macht, davon bin ich überzeugt."
Kann man diese App auch in Österreich nutzen?
SurgicalPerformance ist eine webbasierte Anwendung. Daher können Sie jederzeit und überall einsteigen, sofern Sie eine halbwegs stabile Internetverbindung haben. In Österreich beziehungsweise Europa könnten Sie die klinischen Funktionen nutzen, zum Beispiel wäre aber die Abfrage der Patientenbefindlichkeit zurzeit noch nicht möglich. Dazu müssten wir Investitionen tätigen, doch wir konzentrieren uns aus wirtschaftlichen Gründen vorerst wie gesagt auf Australien und Neuseeland.
Interview: Josef Haslinger; Foto: privat
Andreas Obermair, Prof. Dr.
Forschungsdirektor des Queensland Centre for Gynaecological Cancer (QCGC) Research
Obermair hat in Wien das Medizinstudium sowie die Ausbildung zum Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe absolviert. Der gebürtige Wilheringer hat sich auf Gynäkoonkologie spezialisiert und lebt seit mehr als 20 Jahren in Australien. Er ist Forschungsdirektor des Queensland Centre for Gynaecological Cancer (QCGC) Research, Professor an der University of Queensland und betreibt eine gynäkoonkologische Praxis im Raum Brisbane. Der 60-Jährige ist auch Gründer und Geschäftsführer von SurgicalPerformance.