Wenn das Spital nach Hause kommt
Können spitalspflichtige Menschen alternativ zu einem stationären Aufenthalt zu Hause versorgt werden? Unter bestimmten Umständen durchaus. In vielen Ländern der Welt ist dies sogar gängige Praxis. Und es hat zahlreiche Vorteile, wie Schweizer Pilotprojekte zeigen.
Zuallererst: Hospital@Home ist etwas ganz anderes als Hauskrankenpflege. Den Unterschied zu erklären ist Fabienne Bloch, Geschäftsführerin der in einem Vorort von Zürich angesiedelten Hospital at Home AG wichtig. „Es ist eine spitalsäquivalente Versorgung“, betont sie. „Bei bestimmten Krankheitsbildern ist es möglich, Menschen, die in einer Notaufnahme als spitalspflichtig eingestuft werden, direkt nach der Diagnose in ihren eigenen vier Wänden zu behandeln. Sie müssen dann gar nicht erst im Spital bleiben.“
In der Regel handelt es sich hier um mittelschwere akute Erkrankungen, beispielsweise Infekte, Divertikulitis, Pneumonien, eine dekompensierte Herzinsuffizienz oder exazerbierte COPD. Sind die Patient*innen in der Lage, Alltagsdinge wie etwa den Toilettengang selbstständig zu erledigen, können Hospital@Home-Anbieter ihr Schlafzimmer kurzfristig in eine Krankenstation verwandeln. Mit Infusionsständer, technischem Equipment und allem, was im individuellen Fall dazugehört. Auch Verlaufsuntersuchungen wie Blutentnahmen, EKG oder Ultraschall werden gegebenenfalls zu Hause durchgeführt. „Wir schicken mindestens einmal am Tag einen Arzt oder eine Ärztin persönlich zur Visite vorbei, diese kontrollieren außerdem danach noch ein-, zweimal telefonisch das Befinden. Ein- bis dreimal täglich erfolgt die Fachpflege durch diplomiertes Pflegepersonal und bei Bedarf gibt es Physio- oder Ergotherapie“, schildert Bloch. Im Durchschnitt dauert eine Hospital@Home-Versorgung sechs Tage. Zuweisen können neben Notfallambulanzen auch Hausärzt*innen.
Vielversprechender Pilot
Die Hospital at Home AG ist einer von mehreren Anbietern in der Schweiz, die derzeit im Rahmen eines Pilotprojekts gefördert werden. „Darunter sind wir die einzige spitalsunabhängige Unternehmung“, berichtet Bloch. „Die anderen sind Krankenhäuser, die ein solches Modell implementiert haben, zum Beispiel die Klinik Arlesheim im Baselland.“ Während diese Spitäler hinsichtlich Personal und Ausrüstung hauseigene Kapazitäten nutzen und ausschließlich ihre eigenen Patient*innen betreuen, kooperiert die Hospital at Home AG mit unterschiedlichen Kliniken sowie Fach- und Hausärzt*innen. „Sobald uns eine Notaufnahme oder Ordination mit einem Akutfall anruft, der die Kriterien unseres Programms erfüllt, werden wir aktiv. Dann kümmern wir uns umgehend um das Onboarding der Patient*innen.“
Das Unternehmen greift sowohl auf einen Pool freiberuflicher Mitarbeiter*innen zurück als auch auf Fachkräfte von Spitex, der spitalsexternen Gesundheits- und Krankenpflege-Organisation der Schweiz. Das österreichische Pendant zur Spitex wäre die mobile Pflege. „Entscheidend ist, dass die Pflegenden nicht nur diplomiert sind, sondern darüber hinaus alle Zusatzqualifikationen besitzen, die es für eine Akutversorgung braucht“, erklärt Bloch. „Ebenso haben die meisten für uns tätigen Ärzt*innen notfallmedizinische Erfahrung.“
Vertrautes Umfeld, weniger Komplikationen
So auch KD Dr. Abraham Licht, der Verwaltungsratspräsident der Hospital at Home AG. Er ist Intensivmediziner und Internist mit eigener Praxis und Chefarzt des Notfallzentrums der Klinik Hirslanden. Die neue „Spitalsversorgung zu Hause“ im Großraum Zürich hat er initiiert. „Er kannte das Hospital@Home-Modell, denn weltweit ist dieses eigentlich gar nicht so neu. In den USA, Norwegen, Israel, Spanien und über 30 weiteren Ländern ist es schon seit über 15 Jahren etabliert“, erzählt Bloch. „Dr. Licht hat jahrelang bei der Zürcher Gesundheitsdirektion dafür geworben und ein entsprechendes Konzept für die Schweiz entwickelt.“ Mit Erfolg. Seit Juli 2023 unterstützt der Kanton Zürich die Hospital at Home AG als Pilotprojekt.
Dass Hospital@Home nicht nur ökonomische Vorteile hat, sondern auch die Erkrankten davon profitieren, belegen zahlreiche Studien. „Sie sind keinen Krankenhauskeimen ausgesetzt und die Gefahr eines Delirs ist signifikant reduziert.“ Das Mehr an Ruhe, Autonomie und Bewegung steigere zudem das Wohlbefinden, was die Genesung beschleunige. Im Prinzip sei es eine Win-win-Situation in alle Richtungen, meint Bloch. Die Patient*innen freuen sich – „wir haben fast 100 Prozent positive Rückmeldungen“ –, die zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen stoßenden Krankenhäuser werden entlastet und die Mitarbeiter*innenzufriedenheit ist hoch. „In keinem Spital hat das Personal so viel Zeit, sich einer Patientin oder einem Patienten zu widmen. Das wird enorm geschätzt.“ Zwar können die Patient*innen im Gegenzug nicht jederzeit per Knopfdruck nach der Pflege klingeln, allein gelassen sind sie dennoch nicht: Telefonisch sind Mitarbeitende der Hospital at Home AG rund um die Uhr erreichbar. „Die Patient*innen müssen natürlich einverstanden sein und eine Einwilligung unterschreiben“, erklärt Bloch.
2025 Kongress in Wien
In Österreich und Deutschland gibt es Hospital@Home noch nicht. Vom 27. bis 29. März 2025 findet allerdings der jährliche „World Hospital at Home Congress“ (WHAHC 2025) in Wien statt. Dort werden zahlreiche Key-Notes internationaler Expert*innen Einblicke in das innovative Behandlungskonzept geben. „Modelle wie Hospital@Home sind absolut zukunftweisend und ein Weg in die integrierte Versorgung“, ist Bloch überzeugt und hofft, dass das Projekt nach Auslaufen des Pilotzeitraums Ende 2026 verlängert wird. Diesbezüglich sei gerade viel in Bewegung, zeigt sie sich optimistisch. „Wichtig ist zum Beispiel auch, dass sich die Gespräche mit den Krankenkassen positiv weiterentwickeln.“ Diese führt die Swiss Hospital at Home Society, in der sich die Schweizer Pioniere seit 2023 organisiert haben. „Aktuell ist die Abrechnung leider etwas kompliziert, da es noch keine einheitlichen Kassentarife gibt.“ Somit seien zukunftsgerichtete Vergütungsmodelle, die Hospital@Home-Behandlungen fair abbilden, der nächste Schritt.
Text: Uschi Sorz
Fotos: Hospital at Home AG