Der künstlich intelligente Chip
An der TU Dresden haben Forscher einen implantierbaren, selbstlernenden Chip entwickelt, der bereits Stunden vor einem Herzinfarkt davor warnen kann. Der gehirnähnliche Rechner ist winzig klein und kann die medizinische Diagnostik revolutionieren.
Eine Person bekommt nach einer Operation einen Chip in der Größe eines Staubkorns implantiert, der eine Wunde im Körper überwacht. Treten Komplikationen auf, wie zum Beispiel Herzrhythmusstörungen, dann wird das medizinische Personal via Smartphone informiert, und es kann rasch Hilfe geleistet werden. Mit seiner feinen Sensorik kann der Chip bereits Stunden vor dem Auftreten eines Herzinfarktes Alarm schlagen. Diese Zukunftstechnologie ist nun, dank der Forschungsarbeit von Wissenschaftlern der TU Dresden, in greifbare Nähe gerückt.
Ein bio-kompatibler KI-Chip
In der medizinischen Diagnostik wird Künstliche Intelligenz (KI) künftig eine entscheidende Rolle spielen. Während kleinste Signaländerungen, zum Beispiel im Herzschlag, von Ärzten oft nur schwer bewertet werden können, schaffen es KI-Systeme sehr früh, gesunde von krankhaften Biosignalen zu unterscheiden. Auch Patientendaten wie EEG oder Röntgen-Aufnahmen können durch maschinelles Lernen künftig schneller auf etwaige Krankheitshinweise untersucht werden.
Bislang war es technisch noch nicht möglich, KI-Systeme im menschlichen Körper zu implantieren. Forschern am Institut für angewandte Physik der TU Dresden ist es nun erstmals gelungen, eine bio-kompatible KI-Plattform zu entwickeln, die im Menschen implantierbar ist. Die Ergebnisse des Forscher-Teams um Karl Leo, Hans Kleemann und Matteo Cucchi wurden in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.
Das Gehirn als Rechenvorbild
Der innovative Chip, der im Fachbereich der Optoelektronik entwickelt wurde, ist halb biologisch, halb elektronisch. „Die Vision, moderne Elektronik mit der Biologie zu kombinieren, ist in den letzten Jahren durch die Entwicklung sogenannter organischer Mischleiter ein großes Stück vorangekommen“, erklärt Matteo Cucchi, Doktorand und Erstautor der Veröffentlichung.
Diese Mischleiter waren bislang auf einfache Sensoren beschränkt, die nur zwischen „ja“ und „nein“ unterscheiden können, also zum Beispiel „ja, niedriger Blutzuckerspiegel“ oder „nein, kein niedriger Blutzuckerspiegel“. Dank der neuen Entwicklung sind diese Sensoren zu maschinellem Lernen fähig. Damit können bestimmte Muster von Körpersignalen über einen Zeitraum erkannt werden, so zum Beispiel die Herzrhythmen von Patient*innen nach einer Operation.
Anstatt wie sonst auf einem Computer basiert die KI auf einem anderen Rechensystem, dem sogenannten Reservoir Computing. Diese Technologie ist dem neuromorphen Prinzip des menschlichen Gehirns abgeschaut. „Mit diesem Ansatz wird es möglich, in Zukunft weitere intelligente Systeme zu entwickeln, die helfen können, Menschenleben zu retten“, so Cucchi.
Diagnosen in Echtzeit
Der Chip besteht aus einem biokompatiblen Material, das weich und flexibel ist. Darauf befinden sich polymer-basierte Faser-Netzwerke, die dem menschlichen Gehirn in ihrer Struktur ähneln. Die einzelnen Fasern sind zufällig angeordnet und bilden ein nichtlineares Netzwerk, das bereits kleinste Signaländerungen verstärken und Krankheitsmuster erkennen kann.
Für die medizinische Diagnostik wird der lernfähige Sensor ein absoluter Gamechanger sein. Anstatt aufwändiger, teurer und zeitintensiver Analysen könnte der Chip schon bald Diagnosen in Echtzeit, direkt aus dem Körper liefern. In kardiologischen Versuchen war die KI bereits sehr erfolgreich. Mit einer Genauigkeit von 88 Prozent konnte sie gesunde Herztöne von drei häufig auftretenden Rhythmusstörungen unterscheiden.
Für die Zukunft gibt es unzählige Anwendungsmöglichkeiten des selbstlernenden Chips. Er könnte nicht nur Herzrhythmen, sondern auch den Blutdruck und andere Körperfunktionen überwachen oder elektrische Impulse an Nerven abgeben. Nach der erfolgreichen Testphase wird sich das Dresdener Forscherteam mit Medizinern und Ethikern zusammentun, um auch die ethischen Fragen zu klären, die der intelligente Sensor mit sich bringt.
Text: Gertraud Gerst; Foto: TU Dresden