KI im österreichischen Gesundheitswesen: „Ein Gamechanger“
Während Künstliche Intelligenz im Medizinbereich insbesondere in den USA im Fokus von Forschung und Investoren steht, sind die Vorbehalte in Österreich (noch) groß. INGO hat nachgefragt, wie Skepsis überwunden und Vorurteile abgebaut werden können.
Künstliche Intelligenz (KI) ist auch im medizinischen Bereich im Vormarsch: In der Dokumentation, der Analyse, sogar in der Behandlung sind lernfähige Computerprogramme als Assistenz für Ärztinnen und Ärzte bereits im Einsatz – und entwickeln sich in rasantem Tempo weiter. Insbesondere in Textgeneratoren (Generative Pretrained Transformer, GPT) beziehungsweise lernfähige Sprachprogramme (Large Language Model, LLM, oder Natural Language Processing, NLP) investieren Konzerne wie Microsoft, Google und Amazon derzeit Millionenbeträge, um im Rennen der KI im Gesundheitswesen die Nase vorn zu haben.
Große Skepsis in Österreich
Trotz (oder vielleicht sogar gerade wegen) der intensiven Forschung großer Unternehmen in diesem Bereich, ist die Skepsis gerade in Österreich groß. Künstlicher Intelligenz wird vielfach misstraut – insbesondere in der Medizin. Eine Haltung, die für den E-Health-Experten Dr. Florian O. Stummer, Head of Telemedicine Research an der Medizinischen Universität Wien, durchaus nachvollziehbar ist: „Die Gesundheit stellt einen höchst sensiblen Bereich dar“. Es brauche daher klar definierte Richtlinien, die garantieren, dass KI-Systeme im Gesundheitswesen ethisch korrekt und sicher eingesetzt werden, so Stummer. Zudem spielen Bildung und Aufklärung eine entscheidende Rolle: „Wenn sowohl Patient*innen als auch medizinisches Personal besser verstehen, welche Vorteile die KI bietet und wie sie genau arbeitet, können Ängste und Bedenken abgebaut werden. Transparenz, Bildung und Datenschutz bilden das Fundament für ein vertrauensvolles Verhältnis zur KI im medizinischen Bereich.“
In Österreich beschäftigt sich die Primary Care Medicine der MedUni Wien bereits intensiv mit der Verwendung von LLM in der Primärversorgung. „Richtig verwendet wird die GPT-Technologie ein absoluter Gamechanger in Bezug auf Kosten-, Zeit- und Dokumentationsersparnis sein. Es braucht aber noch einiges an Grundlagenforschung, um es an die speziellen Gegebenheiten der österreichischen Versorgungslandschaft bestmöglich anzupassen“, erklärt der Experte. Und er ist überzeugt: Mit einem „Austrian-Healthcare-GPT“ würde in Österreich ein neues Zeitalter beginnen.
KI ersetzt Menschen nicht
Auf die im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen wohl am öftesten gestellte Frage „Werden menschliche Ärzt*innen schon bald obsolet?“, ist Stummers Antwort eindeutig: „Niemals. In Zukunft wird es wahrscheinlicher, dass sie mit KI-Tools arbeiten, um ihre Diagnose und Behandlung zu verbessern, denn diese Werkzeuge können helfen, die Datenanalyse zu beschleunigen oder Muster zu erkennen. Aber die endgültige Entscheidung sollte immer beim medizinischen Fachpersonal liegen. Egal ob im Jahr 2023, 2050 oder 2388.“
"Menschliche Ärzt*innen werden niemals obsolet", ist E-Health-Experte Florian Stummer überzeugt.
Eine Studie der University of California San Diego, laut der Künstliche Intelligenz Fragen von Patient*innen empathischer beantwortet als Menschen, sieht Stummer kritisch. Da Autor*innen des Papiers Anteile an involvierten Unternehmen besitzen beziehungsweise von diesen sogar Honorare beziehen, verortet er eindeutige Interessenskonflikte – und nicht nur er: Sogar ChatGPT erkannte bei einer Analyse der Studie, dass diese voreingenommen sei, so Stummer: „ChatGPT kann also auch sehr rational das eigene Werk hinterfragen. Zudem zeigt dieses kleine Experiment, was ChatGPT ist. Ein Analyse-Tool. Es analysiert Informationen. Auch wenn diese Systeme empathisch erscheinen mögen, so basieren ihre Antworten auf programmierten Algorithmen und großen Datenmengen, nicht auf echtem Verständnis oder Emotionen. Eine falsche Diagnose oder Therapie kann gravierende Konsequenzen haben, und während KI bei der Diagnoseunterstützung helfen kann, ersetzt sie nicht das menschliche Urteil, das aus der klinischen Praxis und Erfahrung stammt.“
Zusammenspiel aller Beteiligten
In Österreich sei eine Implementierung von KI-unterstützten System zudem ohnehin schwieriger als beispielsweise in den USA: „Einer der Hauptgründe ist die strenge Datenschutz-Grundverordnung in Europa, die besonders hohe Anforderungen an den Umgang mit personenbezogenen Daten stellt. Dies trifft umso mehr zu, wenn es um sensible Gesundheitsdaten geht“, so der E-Health-Experte. Hinzu käme, dass ein NLP-System, das nicht speziell auf den österreichischen Dialekt und medizinischen Jargon zugeschnitten ist, hierzulande in seiner Effektivität beeinträchtigt werden könnte.
Auch nutzen viele Gesundheitseinrichtungen in Österreich bereits IT-Systeme, in die sich neue Technologie nahtlos in diese Systeme einfügen müsste. Florian Stummer: „Darüber hinaus ist die Kommunikation zwischen Technologieanbietern, Gesundheitsdienstleistern und anderen Stakeholdern von entscheidender Bedeutung. Denn selbst wenn IT-Firmen bereitstehen, könnten sie ohne eine koordinierte Herangehensweise und effektiven Wissensaustausch auf Hindernisse stoßen.“ Es brauche ein harmonisches Zusammenspiel aller Beteiligten, um derartige Technologien in Österreich erfolgreich zu implementieren, sowie die nötigen Fachkräfte, sagt der Experte. „Wenn man an die bevorstehende Pensionierungswelle unter Österreichs Beamten denkt, dann wird es fraglich, wie sich das bewerkstelligen lässt. Bis 2034 gehen 45 Prozent aller Beamten im öffentlichen Dienst in Pension. Wer wird hier die Koordination, Kontrolle und Implementierungsbegleitung übernehmen?“
Text: Michi Reichelt; Foto: © Carlos Muza, Unsplash