Unterstützen statt ersetzen: Künstliche Intelligenz in der Medizin
Künstliche Intelligenz spielt eine immer größere Rolle – Unternehmen investieren bereits Millionenbeträge in hochentwickelte, lernfähige Computersysteme. Auch in der Medizin ist Künstliche Intelligenz in vielen Bereichen nicht mehr wegzudenken. In Österreich hat die Vinzenz Gruppe dabei eine Vorreiterrolle übernommen.
Sie recherchiert, sie spielt mit uns, lernt mit uns. Sie schreibt Gedichte, malt Bilder, komponiert. Künstliche Intelligenz (KI) hält Einzug in unser Alltagsleben – doch insbesondere in vielen beruflichen Bereichen ist sie schon längst angekommen. Gerade in der Medizin gewinnt KI mehr und mehr an Bedeutung, wobei die Anwendungsgebiete dabei von der Diagnostik über die Behandlung bis hin zur Medikamentenentwicklung reichen. So ergab beispielsweise eine aktuelle Umfrage unter deutschen Ärztinnen und Ärzten, dass knapp zehn Prozent der Befragten bereits bei der Auswertung von Röntgen- und MRT-Bildern auf KI zurückgreifen. Genutzt werden dabei Systeme, die online Tausende Beispiel-Bilder durchforsten, um die jeweilige Diagnose zu erlernen; derartige Programme können auch schon beim Erkennen von Tumoren eingesetzt werden.
Hochwertig emphatisch
Beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz soll (oder darf) es nie um das Ersetzen von medizinischem Fachpersonal gehen, beruhigen Verantwortliche regelmäßig. Vielmehr lautet das Stichwort, gerade in Zeiten wie diesen, in denen Spitäler aufgrund der dramatischen Personalsituation und permanenter Überarbeitung Alarm schlagen: Entlastung. Eine im April 2023 veröffentlichte Studie der University of California San Diego zeigt auf, wie diese Entlastung konkret aussehen, welche Rolle KI künftig in der Behandlung der Patient:innen übernehmen kann. Das Forschungsteam untersuchte die Beantwortung schriftlicher Patientenanfragen an Ärzt:innen beziehungsweise an ChatGPT, den – auch durch Social Media – weltweit bekannten Chatbot des US-Unternehmens OpenAI.
Ein Gremium aus medizinischen Experten verglich die Ergebnisse der Patientenanfragen und kam überwiegend zu dem Schluss, dass die Qualität der ChatGPT-Antworten deutlich höher war als bei den menschlichen. Besonders überraschend: Sogar bei der Einfühlsamkeit konnte die KI überzeugen. Während das Gremium lediglich knapp fünf Prozent der ärztlichen Antworten als „empathisch“ bezeichnete, waren es bei ChatGPT über 45 Prozent (siehe dazu: https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/2804309).
„Die Möglichkeiten zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung mit KI sind enorm“, bestätigt demnach auch Studien-Leiter Dr. John W. Ayers vom Qualcomm Institute an der University of California. „Von einer KI unterstützte Medizin ist die Zukunft.“ Dr. Mark Dredze, Co-Autor der Studie, betont den unterstützenden Charakter einer derartigen Technologie: „Wir könnten sie nutzen, um Ärzte in Patienten-Kommunikation zu schulen.“ Qualitativ hochwertigere und effizientere Versorgung wäre die Folge.
Guter Zuhörer
Eine weitere KI-Anwendung präsentierte Nuance Communications, ein Tochterunternehmen von Microsoft, im März 2023: DAX (Dragon Ambient eXperience) Express. Das Programm hört bei einem Patientenbesuch mit und verarbeitet die Daten selbständig zu einem medizinischen Befund – innerhalb von Sekunden. Behandelnde Ärztinnen und Ärzte können somit sofort automatisierte Zusammenfassungen ihrer Patientenbesuche einsehen. Ziel sei, den administrativen Aufwand der Ärzt:innen und damit die psychische Belastung zu reduzieren, so Nuance Communications. Man wolle „die Freude an der Medizin“ zurückgeben. Besonderes Augenmerk liege auf Datenschutz sowie auf der Kontrolle, wird zudem versichert: Die von DAX Express generierten Befunde müssen von den Medizinern abgesegnet werden, bevor das Abspeichern in den Patientenakten erfolgt.
"Von einer KI unterstützte Medizin ist die Zukunft", ist John W. Ayers vom Qualcomm Institute an der University of California überzeugt.
Auch die Vinzenz Gruppe setzt auf die Entlastung des medizinischen Personals durch Künstliche Intelligenz. Eine Vorreiterrolle nimmt dabei das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried ein. Das Innviertler Schwerpunktkrankenhaus hat nun als erstes Spital im deutschsprachigen Raum eine Applikation namens HAIDi im Echtbetrieb-Einsatz. Diese hilft dabei, nosokomiale Infektionen – die sogenannten Krankenhausinfektionen (engl.: Healthcare Associated Infections/HAIs) – zu erkennen (siehe dazu auch: https://www.ingo-news.at/forschung/haidi.html )
Wie OA Dr. Milo Halabi vom Hygieneteam des Rieder Spitals erklärt, untersucht HAIDi Daten aus hausinternen Quellen, setzt diese zu einem Puzzle aus Informationen zusammen und gleicht sie online mit internationalen Kriterien ab. Dabei lernt HAIDi laufend dazu. Ergibt sich ein Verdacht auf eine Krankenhausinfektion, weist die App darauf hin. „HAIDi gibt uns in Echtzeit einen klaren Überblick über das Auftreten von Krankenhausinfektionen, damit wir uns besser auf unsere Arbeit konzentrieren und der Ausbreitung von Infektionsfällen vorbeugen können“, so Halabi. „HAIDi macht genau das, wovon wir als Hygiene-Experten bisher nur geträumt haben.“
Beste Arznei: der Mensch
Die Abteilung für Kinderheilkunde und Neonatologie am Krankenhaus Barmherzigen Schwestern Ried macht sich Künstliche Intelligenz ebenfalls zu Nutze. Das Team von Abteilungsleiter Primarius Dr. Andreas Wimmer setzt bei Kindern mit Diabetes auf ein sensorunterstütztes Pumpensystem der neuesten Generation. Die moderne Technologie kontrolliert und reguliert die Insulin-Dosierung rund um die Uhr und führt ständig die benötigte Basaldosis zu – auch während der Nacht. Mittels App können Eltern die aktuellen Blutzuckerwerte der Kinder permanent im Auge behalten. Zudem lassen sich die Sensordaten auch im Krankenhaus abrufen, was eine telefonische Besprechung aktueller Werte vereinfacht.
Text: Michi Reichelt; Foto: ZHENYU LUO, Unsplash