Künstliche Intelligenz unterstützt Delir-Prognose
Eine neue KI-Anwendung aus Graz verbessert die Früherkennung des postoperativen Delirs. Das System analysiert Patient*innendaten und ermöglicht eine sehr genaue Risikovorhersage – und das innerhalb von Sekunden.
Da ist eine große Operation gut verlaufen. Die Patientin, der Patient sollte sich rasch davon erholen. Doch dann tritt plötzliche Verwirrung, Störung des Denkvermögens, zeitliche und räumliche Desorientiertheit ein oder auch aggressives Verhalten gegenüber Pfleger*innen und besuchenden Angehörigen. Diagnose: postoperatives Delir. Eine Komplikation, die häufiger wird. Es gibt mehr große chirurgische Eingriffe als früher, und die Patient*innen werden älter.
Die Folgen sind massiv: Patient*innen mit Delir sind auf Normalstationen de facto nicht mehr führbar. Sie müssen auf eine Intensivstation oder eine Gerontopsychiatrie verlegt werden, so es sie im Krankenhaus gibt. Ihr stationärer Aufenthalt wird länger. Die massiven Komplikationen können auch dazu führen, dass der Pflegebedarf langfristig höher wird.
Dabei wäre das postoperative Delir in 40 Prozent der Fälle vermeidbar gewesen, wenn man schon vor der Operation erkannt hätte, dass diese Komplikation droht. In den Spitälern wird natürlich versucht, das schon vor dem chirurgischen Eingriff abzuklären. Eine Möglichkeit ist DOS, die „Delirium Observation Scale“, ein 13-teiliger Fragebogen. Dies ist ein aufwändiges Verfahren und zudem nicht sehr treffsicher.
Das „Personalised Risk Tool“ eines Forschungsteams um den Grazer Experten Dr. Diether Kramer, CEO und Gründer der PH Predicting Health GmbH, soll die Delir-Prognose automatisiert innerhalb weniger Sekunden schaffen. In einem ersten Schritt nimmt das Tool alle Daten auf, die bei der Aufnahme ins Spital und bei der Vorbereitung auf die Operation angefallen und im Computersystem des Krankenhauses abgespeichert sind: Laborergebnisse, vorangegangene Diagnosen, Arztbriefe, Lebensumstände und Alter. Diese Daten werden von einer Künstlichen Intelligenz analysiert. Dieser verfügt über jede Menge historischer Daten, schätzt daraus das Delir-Risiko ab und stellt die daraus gewonnene Information im Krankenhaus-Informationssystem auf anschauliche Weise dar. Durch Rückkopplung lernt sie ständig dazu.
„Die Idee zur Entwicklung des Personal Risk Tools kam von einem Gerontopsychiater der Landesnervenklinik in Graz“, so Kramer. „Das Delir stellt tatsächlich ein großes Problem dar. In der Unfallchirurgie zum Beispiel hat ein Fünftel der Patient ein delirantes Zustandsbild. Meist sind es ältere Menschen. Die veränderte Umgebung, die für sie aufregende Situation, verbunden mit schlechtem Hörvermögen oder Sehvermögen – das alles führt dazu, dass diese Menschen ein Delir entwickeln.“
KI sagt Delir-Gefahr präzise voraus
Die bisherigen Erfahrungen mit dem Tool seien sehr positiv, sagt Kramer. Besetzt man hundertprozentiges Gelingen mit dem Wert 1, dann erreichen herkömmliche Verfahren mit DOS und anderen Scores Werte um 0,7. „Das ‚Personalised Risk Tool‘ aber schafft im Echtbetrieb Werte von 0,85-0,9.“ Mit zunehmender Erfahrung der KI werde das Tool noch besser werden, sagt Kramer. Eine Prognose kostet vier Euro. Das „Personalised Risk Tool“ ist derzeit in zwölf österreichischen Krankenhäusern im Einsatz. Anfang des nächsten Jahres sollen zwei private Wiener Häuser dazu kommen sowie eine Klinik in Deutschland.
Text: Josef Broukal
Foto: C. Gansberger