mRNA-Impfstoffe für personalisierte Tumor-Therapien
Im April dieses Jahres sorgten Schlagzeilen britischer Medien für Aufmerksamkeit: In Großbritannien bekamen Melanom-Patient*innen versuchsweise eine auf sie persönlich zugeschnittene mRNA-Impfung. Kann die mRNA-Technologie ihren Erfolg im Kampf gegen COVID-19 auch bei Tumoren wiederholen? Wir sprachen mit Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Maria Sibilia, Leiterin des Zentrums für Krebsforschung der Medizinischen Universität Wien.
Frau Professorin Sibilia, welches Potenzial sehen Sie in der mRNA-Technologie für die Behandlung von Krebspatient*innen?
Maria Sibilia: Viele Tumore entstehen, weil Zellen unkontrolliert wachsen, und weil sie das Immunsystem gewissermaßen austricksen. Um es salopp auszudrücken: Der Tumor wächst und das Immunsystem schaut zu und toleriert es. mRNA-Vakzine aber sind so geschaffen, dass sie in die Tumorzellen hineingehen. Und in diesen Zellen wird die mRNA in ein Eiweiß umgewandelt. Genauer gesagt in ein Neoantigen. Das ist ein Eiweiß, das das Immunsystem noch nicht kennt, ein Eiweiß, das die Immunzellen wieder aktiviert, den Tumor zu töten.
Was sind die Vorteile der mRNA-Technologie in der Onkologie?
Maria Sibilia: Es gibt verschiedene Vorteile. Zunächst einmal: mRNA-Vakzine können schnell produziert werden. Sie sind ja eigentlich nur die Transporteure der Neoantigene. Sind diese bekannt, brauchen sie „nur noch“ als mRNA-Moleküle verpackt zu werden. Das geht relativ rasch und ist auch billiger als die komplette Neuentwicklung von zum Beispiel dentritischen Zelltherapien oder CAR-T-Zelltherapien. Dazu kommt , dass man mRNA-Impfstoffe personifizieren kann. Hat man durch Sequenzierung herausgefunden, welche Zellveränderungen einen bestimmten Tumor bewirkt hat, kann man ein auf die konkrete Patientin bzw. den konkreten Patienten abgestimmtes mRNA-Vakzin herstellen. Und damit lassen sich präzise Immunantworten aktivieren, was bei einigen Zelltherapien nicht der Fall ist.
Sind die bisherigen klinischen Studien erfolgversprechend?
Maria Sibilia: Ich kenne nicht alle Studien, aber eines scheint klar zu sein: Diese Versuche sind sehr vielversprechend, vor allem wenn man das mRNA-Vakzin mit anderen Medikamenten kombiniert. Beim Melanom, dem schwarzen Hautkrebs, verlaufen die Versuche sehr erfolgreich.
Welche wissenschaftlichen Herausforderungen müssen bei der Weiterentwicklung von mRNA-Krebstherapien noch bewältigt werden?
Maria Sibilia: Die große Herausforderung bei all diesen therapeutischen Vakzinen ist, die richtige Kombination an Neoantigenen herauszufinden. Was muss ich in die Krebszelle einschleusen, damit dann das Immunsystem diese Zelle erkennt und tötet? Man hat das schon seit 20 oder sogar 30 Jahren versucht, zum Beispiel mit dentritischen Zellen, denen man Neoantigene beigegeben hat. Das hat nicht so gut funktioniert. Die große Herausforderung ist: Es gibt nur wenige Tumore, bei denen man ganz genau weiß, welches Molekül in der Tumorzelle, sie von einer gesunden Zelle unterscheiden.
Werden mRNA-Impfstoffe helfen, personalisierte Therapien zu betreiben?
Maria Sibilia: Absolut. Jeder Tumor ist anders. Und deswegen wird es wahrscheinlich kein Universal-Vakzin geben, das bei jedem Patienten und jeder Patientin funktioniert. Aber wenn man einmal weiß, wie der individuelle Tumor aussieht und eine gute Kombination von Antigenen zusammenstellt, dann werden mRNA-Vakzine erfolgreich sein.
Interview: Josef Broukal
Foto: Feelimage/Matern
Maria Sibilia, Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in
Leiterin des Zentrums für Krebsforschung, Medizinische Universität Wien
Maria Sibilia wurde in Chur (CH) geboren. Sie studierte Molekularbiologie und Genetik an der Universität Pavia (Italien). Nach ihrer Promotion 1992 verbrachte sie drei Jahre am Wiener Institute of Molecular Pathology als Postdoc und zwei weitere Jahre als Staff Scientist. Anschließend wurde sie Assistenzprofessorin an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien und habilitierte sich 2002 für Molekularbiologie und Genetik. Seit 2007 ist sie Ordinaria für Zelluläre und Molekulare Tumorbiologie an der Medizinischen Universität Wien und seit 2010 Leiterin des Zentrums für Krebsforschung.