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Gesundheit
Österreich
21.03.2024

„Patient*innenschutz steht über Datenschutz“

Künstliche Intelligenz in der Medizin steht im Fokus der Fachkonferenz Forum Hospital Management 2024. Einer der Vortragenden, Titus Brinker vom Deutschen Krebsforschungszentrum, erklärt im Gespräch mit INGO, warum der Einsatz von Computerprogrammen nicht nur für Patient*innen essenziell ist.

Bereits zum 20. Mal findet am 10. April 2024 das Forum Hospital Management statt. Das AKH Wien, die Wirtschaftsuniversität Wien und die Vinzenz Gruppe laden auch heuer wieder zur jährlichen Konferenz nach Wien, die sich an Fach- und Führungskräfte aus dem Gesundheitswesen, der pharmazeutischen Industrie und dem medizinisch-technischen Bereich richtet. Die Veranstaltung ist eine einzigartige Plattform für Forschung und Umsetzung, Theorie und Praxis, Vision und Realisierung.

„Nachvollziehbare, transparente Medizin“

Unter anderem wird dabei Dr. Titus Brinker vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg einen Vortrag zum Thema „Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin“ halten. Als Leiter der Nachwuchsgruppe „Digitale Biomarker für die Onkologie“ arbeitet er unter anderem an KI-Assistenzsystemen für Hautkrebsscreenings sowie an Tumorverhalten-Prädiktion. Der Facharzt für Dermatologie sieht in einem computerunterstütztem Gesundheitssystem eine „nachvollziehbare, transparentere Medizin, die deutlich präziser und effizienter ist“. Dies sei von großer Bedeutung für Patientinnen und Patienten, die oftmals das Gefühl hätten, es gehe bei Behandlungen vor allem darum, möglichst viel zu verordnen, um möglichst viel Geld daraus zu lukrieren, sagt Brinker. „Die Privatisierung des Gesundheitswesens schreitet voran. Da ist es unglaublich wichtig, Systeme zu haben, die in der Lage sind, nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die Patient*innen wirklich verstehen können. Für eine reproduzierbare Zweitmeinung, die nicht mehr allein in menschlicher Hand liegt. Das ist für das System insgesamt auch sehr gesund. Dahin geht die Entwicklung: Künstliche Intelligenz wird ein gleichberechtigter Partner im Ärzt*innen-Team sein.“

Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und damit verbunden einer veritablen Krise des Gesundheitssystems sieht der Experte einen höheren Automatisierungsgrad durchaus positiv. Und auch Datenschutz dürfe dem nicht entgegenstehen, meint Brinker. „In Deutschland haben wir gerade die Entwicklung, dass der Patientenschutz vom Deutschen Ethikrat höher angesiedelt wird als der Datenschutz. Das bedeutet, Patient*innen keine wirksamen Diagnostik- und Therapietools vorzuenthalten; man hat also ein Anrecht auf ideal ausgewertete Daten und digitale Tools, die eine optimale Diagnostik und Therapiestörungen ermöglichen.“ Er nehme Datenschutz zudem immer wieder als „Thema für Gesunde“ wahr, so der Facharzt weiter. „Wenn Sie morgens aufwachen, Blut husten und man stellt fest, Sie haben Lungenkrebs: Wie sehr interessiert Sie dann noch Datenschutz?“

"Künstliche Intelligenz wird ein gleichberechtigter Partner im medizinischen Team sein", sagt Experte Titus Brinker.

Systemveränderungen

Von größerer Bedeutung sei die wirtschaftliche Souveränität Europas sowie ein funktionierendes Gesundheitssystem, sagt Titus Brinker. „Wir haben ein demografisches Problem. Das heißt, wir müssen uns verändern.“ Eine Gesellschaftsstruktur mit immer mehr älteren Menschen in Kombination mit Fachkräftemangel sowie niedrigeren durchschnittlichen Arbeitszeiten würden eine schlechtere Versorgung nach sich ziehen, wenn sich das System nicht verändere. „Die USA ist viel weiter als wir. Das führt dazu, dass wir die ganzen Lösungen von Übersee einkaufen müssen – über unsere Krankenkassenbeiträge kriegt dann ein US-Unternehmen Geld. Besser wäre, wenn es diese Wertschöpfungskette in Europa gäbe.“ Allerdings, so Brinker, müssten Menschen immer erst Verschlechterungen im System selbst oder im eigenen Umfeld spüren, um Veränderung nachdrücklich zu fordern. Aufgrund diverser Auflagen und der Bürokratie sei die Situation in der Forschung jedenfalls „schlimm; interdisziplinäre Forschung funktioniert in Europa praktisch gar nicht – oder zumindest sehr schlecht. Viele verbinden Wirtschaft mit etwas Bösem. Und das führt letztlich dazu, dass der Wettbewerb gerade im Ausland gewonnen wird.“ Key Player wie Google oder Amazon ließen zudem auch in Europa ihre Lobbyisten für sich arbeiten; mittelständische Unternehmen seien die Leidtragenden, da sie „im Softwarebereich nichts Versorgungsrelevantes produzieren können – weil es schlicht viel zu teuer ist.“

„Mensch und Maschine machen Fehler“

Dabei würden Software-Tools gerade in seinem Spezialbereich, der Dermatoonkologie, sämtliche Bereiche – von der Prävention über die Diagnostik bis zur Therapiesteuerung – verbessern. „Ein Tumor ist etwas sehr heterogenes, es gibt aber mittlerweile sehr hochauflösende Verfahren, um einzelne Zellen von Tumoren zu charakterisieren. Ohne moderne Software-Systeme ist man da machtlos, das kann ein Mensch nicht machen. Durch Software-Einsatz können neue Targets identifiziert oder neue Therapien möglich werden. Eine digitale Präzisionsmedizin, von der ja alle träumen.“

"Ohne moderne Software-Systeme ist man machtlos, ein Mensch kann das nicht", so Titus Brinker.

Brinkers Team arbeitet aktuell neben lernfähigen Sprachmodellen unter anderem an einem Dermatoskop mit KI-System, mit dem etwa die Hälfte jener Melanome, die aktuell übersehen werden, gefunden werden können. „Einfach, weil die Präzision viel höher ist“, erzählt Titus Brinker. Entscheidend sei hier und in anderen Bereichen aber die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine: „Den gesunden Menschenverstand wird man noch lange brauchen.“ Generell wird der Mensch in absehbarer Zeit nicht durch KI ersetzt werden, denn: „Die meisten Systeme sind Inselsysteme, die ihre Aufgaben sehr gut erledigen können, besser als ein Mensch. Aber eben nicht mehr. So wie ein Autopilot im Flugzeug, der bei Routineflügen perfekt funktioniert, bei schwierigen Landungen braucht man da aber noch immer einen erfahrenen Menschen. Aber Fehler müssen wir sowohl dem Menschen als auch der KI zugestehen können“, so Titus Brinker abschließend. Denn: „Was letztlich sowohl für die Patient*innen gut ist, ist auch für das Gesamtsystem gut, weil man sich sehr viel an Therapie und unnötiger Maßnahmen spart.“

„Gesundheit zwischen Demographie und KI“

Das 20. Forum Hospital Management, in dessen Rahmen Titus Brinker seinen Vortrag halten wird, steht unter dem Motto „Anders als damals: Gesundheit zwischen Demographie und KI“. Gemeinsam mit internationalen Expertinnen und Experten werden Fragen zu unserer heutigen Zeit des Wandels erörtert: Wie werden wir in Zukunft leben und heilen, wie werden wir als Gesellschaft zusammenhalten, wie können wir die bevorstehenden Veränderungen zu unserem kollektiven Vorteil gestalten? Dabei werden als Kernthemen die demographischen Veränderungen und ihre internationalen sowie nationalen Auswirkungen, aktuelle Entwicklungen aufgrund aktueller Krisensituation sowie aufkommende Trends in der Medizin durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz inklusive ethisch-philosophischen Fragestellungen behandelt.

Neben Titus Brinker werden im Rahmen des Forum Hospital Management 2024 am Erste Campus (Am Belvedere 1, 1100 Wien) unter anderem auch AMS-Vorstand Johannes Kopf sowie Günter Klambauer, Assistenzprofessor für “Artificial Intelligence in Life Sciences” am Institut für Machine Learning der Johannes Kepler Universität Linz zum Thema „Künstliche Intelligenz“ sprechen. 

Alle Details dazu gibt es hier:

https://executiveacademy.at/de/events/detail/forum-hospital-management

Text: Michi Reichelt; Fotos: Titus Brinker © DKFZ; Dermatologie © Bermix Studio/Unsplash

Titus Brinker, PD Dr. med.

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg

Der 1990 geborene Facharzt für Dermatologie leitet am DKFZ eine 20-köpfige Arbeitsgruppe im Bereich der dermatologischen Onkologie. Schwerpunkt der interdisziplinären Forschungsgruppe ist die Entwicklung von digitalen Biomarkern für eine verbesserte nicht-invasive Früherkennung, Diagnostik- und Therapiesteuerung für die Onkologie mittels künstlicher Intelligenz. Ein besonderer Fokus liegt auf der erfolgreichen Übertragung KI-basierter Assistenzsysteme in die klinische Praxis. Unter anderem entwickelte Brinker diverse Apps zur Ferndiagnose von auffälligen Hautveränderungen sowie ein KI-Assistenzsystem, das schwarzen Hautkrebs genauer diagnostiziert als Hautärzte und -ärztinnen sowie die gestellte Diagnose präzise begründen kann.

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