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Österreich
15.02.2023

Adipositas-Therapien: Ein Anreiz, sein Leben zu ändern

Immer mehr Menschen weisen krankhaftes Übergewicht auf. Entscheidend bei der Behandlung: Die nachhaltige Umstellung der Ernährungs- und Lebensgewohnheiten, wie Experte Dr. Georg Tentschert vom Adipositas-Zentrum des Barmherzige Schwestern Krankenhauses Wien im Gespräch mit INGO erklärt.

Laut Statistik Austria sind in Österreich 3,2 Millionen Erwachsene, mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung, übergewichtig. Sie weisen per Definition einen Body-Mass-Index (BMI), der das Verhältnis der Körpermasse (Kilogramm) zum Quadrat der Körpergröße (Meter) angibt, von über 25 auf. 

Fettleibigkeit oder Adipositas, also Übergewicht jenseits eines BMI von 30, entwickelte sich zudem in den letzten Jahren zu einer wahren Volkskrankheit. 1,2 Millionen, fast 17 Prozent der über 15-Jährigen, sind hierzulande adipös. Daten der MedUni Wien zeigen darüber hinaus, dass bereits im Alter von acht Jahren jeder dritte österreichische Bub und jedes vierte Mädchen übergewichtig oder adipös ist. „Der Grundstein für Adipositas wird in der Kindheit gelegt“, so OA Dr. Georg Tentschert, Facharzt für Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie sowie Leiter des Adipositas-Zentrums im Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien.

Keine Zeit zu essen

Bereits bei Kindern und Jugendlichen anzusetzen, um Adipositas (eine Ableitung des lateinischen Worts adiposus/fettreich), erfolgreich bekämpfen zu können, ist für den Experten daher zwingend erforderlich. Insbesondere muss eine Ernährungsumstellung den Abnehm-Prozess begleiten, diese sei das Um und Auf bei Übergewicht. Denn: „Adipositas ist eine Wohlstandserkrankung“, erklärt Tentschert. 

„In unserer Gesellschaft bekommt man alles. Zu jedem Zeitpunkt“, so der Facharzt. „Außerdem nimmt Stress immer mehr zu. Die Leute haben keine Zeit mehr zu essen – auch nicht in der Familie. Vor allem das regelmäßige Essen gibt es nur noch selten.“ Unregelmäßigkeit in der Nahrungsaufnahme ist eine der wesentlichen Ursachen für Übergewicht. Die wichtigste Mahlzeit am Tag, das Frühstück, wird oft ausgelassen, den ganzen Tag wird ebenfalls kaum etwas gegessen, am Abend plündert man aber den Kühlschrank.

"Adipositas ist eine Wohlstandserkrankung", sagt Oberarzt Georg Tentschert.

Tentschert: „Der Körper läuft den ganzen Tag auf Not-Betrieb, weil er nichts zu verbrennen bekommt. Am Abend, wenn der Fettstoffwechsel beginnt, bekommt er dann im Überfluss Kalorien. Und die speichert er.“ Entscheidend sei daher, dem Körper dann Kalorien zuzuführen, wenn er sie verbrennen kann: Unter tags. Fünf kleine Mahlzeiten am Tag wären ideal, so der Experte. Zudem müsse selbstverständlich auch darauf geachtet werden, was man zu sich nimmt. „Wenn ich den ganzen Tag nichts esse, aber drei Liter Eistee trinke, nehme ich nur Zucker zu mir.“ Das Ergebnis liegt dann auf der Hand.

Echte Umstellung statt Jojo-Effekt

Daher werden übergewichtige Menschen zuerst stets konservativ behandelt. Nur eine echte Ernährungsumstellung sei nachhaltig, eine Diät bringe selten den gewünschten Erfolg, so der Spezialist. „Denn eine Diät dauert meist acht bis zwölf Wochen, da kasteien sich alle und nachher machen sie so weiter wie vorher. Übergewicht muss aber dauerhaft bekämpft werden.“ Das bedeutet neben der Ernährungsumstellung unbedingt auch Fettverbrennung, sprich: Bewegung, „Ich empfehle gleichzeitig den Besuch eines Fitnesscenters inklusive Ausdauertraining. Und inklusive Fitnesstrainer.“

Die sogenannte Abnehmspritze sieht der Adipositas-Experte als „Teaser“, aber nur in Kombination mit einer nachhaltigen Ernährungsumstellung und regelmäßiger Bewegung. Diese Spritzen enthalten Wirkstoffe, die in der Therapie von Diabetes bereits eingesetzt werden und einige davon sind seit einigen Jahren auch für die Therapie von Adipositas zugelassen. Der Effekt: „Man muss zwar trotzdem essen, allerdings deutlich weniger. Patientinnen und Patienten bekommen dadurch einen Anreiz, abzunehmen. Sie müssen aber auch selbst etwas tun. Wie gesagt: Nur in Kombination mit einer langfristen Ernährungsumstellung und regelmäßiger Bewegung kann diese Therapieoption nachhaltig sein.“ 

Knapp zehn Prozent Gewichtsabnahme könnten in der sechsmonatigen Behandlung aber erreicht werden, sagt der Facharzt. Allerdings werden Abnehmspritzen nur in Ausnahmesituationen von der Krankenkassa bezahlt. Den „Teaser“ muss man sich also leisten wollen. 

Ganzheitliche Gesundung

Zur Behandlung von Adipositas kommen in weiterer Folge verschiedene operative Eingriffe wie Magenbypass und Magenverkleinerung in Frage. Tentschert: „Eine Operation wird bei uns im Adipositas-Zentrum erst ab BMI 40 durchgeführt, beziehungsweise ab BMI 35, wenn es Begleiterkrankungen gibt: Diabetes, Knie-, Hüft- oder Wirbelsäulenprobleme, hoher Blutdruck, Depression, und so weiter. Wir wissen aber, dass es bei einem BMI von 40 nur eine Person von 100 schafft, dauerhaft abzunehmen.“ Der Grund: „Selbst, wenn der Magen verkleinert wird, die Patienten aber weiter dauernd hochkalorisch essen, dann nehmen sie auch nicht ab.“ 

Auch hier gilt wieder: Nur eine echte Umstellung der Ernährungs- und Lebensgewohnheiten bringt einen nachhaltigen Erfolg. Sie zahlt sich aber jedenfalls aus, denn Tatsache ist: Adipositas-Therapien wirken nicht „nur“ gegen Fettleibigkeit an sich. Auch gesundheitliche Beeinträchtigungen abseits der bereits erwähnten, wie beispielsweise eine Fettleber oder Schlafapnoe (Atemstillstand im Schlaf), können mit erfolgreicher Behandlung zumindest angehalten werden, erklärt der Experte. 

Grund genug also, sein Leben wirklich zu ändern. 

Und gleich heute damit anzufangen. 

Text: Michi Reichelt; Fotos: BHS Wien / A. Kawka, www.depositphotos.com

Georg Tentschert, OA Dr.

Leiter des Adipositas-Zentrum im Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien

Tentschert wurde 1976 in Graz geboren und ist seit zweieinhalb Jahrzehnten Wahl-Wiener. Der Facharzt für Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie absolvierte seinen Turnus und seine Facharzt-Ausbildung bereits im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Mariahilf, seit 2018 leitet er dort das Adipositas-Zentrum. Im fünften Wiener Gemeindebezirk ist Tentschert als Wahlarzt in seiner Privat-Ordination (www.chirurgie-tentschert.at) tätig. Der Oberarzt ist verheirateter Vater eines vierzehnjährigen Buben.

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