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Gesundheit
Österreich
24.03.2022

Wenn Schmerz zum eigenständigen Krankheitsbild wird

Chronische Schmerzen sind ein weitverbreitetes Phänomen. In Österreich leiden rund 1,8 Millionen Menschen darunter - Tendenz steigend. Multimodale Schmerztherapien können helfen, die Schmerzen zu lindern und auch zu heilen. Doch es mangelt an therapeutischen Einrichtungen. INGO sprach mit Dr. Bernhard Tousek, Geschäftsführer des Orthopädischen Spitals Speising, über die Notwendigkeit von Schmerztherapiezentren und die Schwierigkeit diese zu etablieren. 

Wenn Schmerzen zum ständigen Begleiter werden, ist die Verzweiflung groß. Für Betroffene bedeuten die dauerhaften Belastungen nicht nur körperliche, sondern auch seelische und soziale Einschränkungen. Breiten sich chronische Schmerzen im ganzen Körper aus, ist der ursprüngliche Auslöser oft gar nicht mehr auszumachen. Bis zu einer Diagnose haben Schmerzpatienten oft zahlreiche Untersuchungen und nicht selten irreführende Behandlungen hinter sich. „Das liegt daran, dass die Schmerzanamnese der aufwändigste und schwierigste Teil der Diagnose ist“, so Tousek. „Hier gilt es, alle Faktoren zu finden. Dazu gehören biologische, psychische und auch soziale Ursachen.“ 

In einem Schmerztherapiezentrum sind daher Experten verschiedener Fachrichtungen, darunter Ärzte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Psychologen und Diätologen, vor Ort, die auf die Behandlung von Schmerzen spezialisiert sind. Tousek: „Diese effektive Zusammenarbeit ermöglicht Patienten eine multimodale Schmerztherapie zu erhalten, also ein maßgeschneidertes interdisziplinäres Therapiekonzept, das wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität und der Schmerzreduktion beiträgt.“

Mangelnde Versorgungssituation

Seit Jahren nimmt die Anzahl der chronischen Schmerzpatienten in Österreich zu. Doch im Gegensatz zu Behandlungen von akuten Schmerzen werden chronische nicht als eigenständige Krankheit anerkannt. Ein Grund, warum es in Österreich trotz zunehmenden Bedarfs an spezialisierten Einrichtungen fehlt. „Im Orthopädischen Spital Speising verfügen wir zwar über Ambulanzen für Wirbelsäulen-Patienten, können chronischen Schmerzpatienten aber keine ambulante multimodale Schmerztherapie anbieten, obwohl diese mittlerweile Standard ist“, sagt Tousek. „Hier fehlt es schlicht an der nötigen Struktur und Finanzierung.“ Das Problem sei inhaltlich bekannt und politisch evident, dennoch wurden die hierfür notwendigen Strukturen bislang nicht geschaffen.

„Trotz Vergrößerung des Spitals ist unser Angebot nach wie vor auf stationäre Schmerzpatienten ausgerichtet“, erläutert der Geschäftsführer. Wenden sich Patienten an das Orthopädische Spital Speising, werde zunächst abgeklärt, ob es sich um eine Leistung handle, die tatsächlich eines stationären Aufenthalts bedarf. „Das ist eine medizinische Frage“, erklärt Tousek. „Natürlich versuchen wir das perfekte Behandlungssetting für den Patienten zu finden. Doch die Behandlungskonzepte, die wir aktuell anbieten, sind nur bei einem stationären Aufenthalt möglich.“ Dazu zählen konservative Therapien wie Infiltrationen, die manuelle Medizin, physikalische Therapiemodalitäten und psychologische Betreuung. „Es gibt immer wieder Bemühungen, ambulante, multimodale Leistungsangebote zu etablieren“, sagt Tousek. „Auch wir arbeiten diesbezüglich an Konzepten. Bisher bemerken wir aber wenig Bewegung in der Thematik. Wir hoffen dennoch, dass die Gesundheitspolitik bald einen Schritt weiter in Richtung flächendeckenden Versorgungseinrichtungen geht.“ Angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung und der steigenden Zahlen an Schmerzpatienten bleibt die ambulante multimodale Schmerzversorgung auch zukünftig von besonderer Bedeutung.

Text: Rosi Dorudi; Fotos: OSS, depositphotos.com

Bernhard Tousek, Ing. PhDr., MSc., MBA, MAS

Geschäftsführer des Orthopädischen Spitals Speising

Tousek hat mehrere Ausbildungen im Bereich des Krankenhaus- und Gesundheitsmanagements absolviert. Er hatte 1993 bis 2002 verschiedene leitende Funktionen im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien inne und war von 2002 bis 2020 in der PremiQaMed-Gruppe beschäftigt, wo er zuletzt Verwaltungsdirektor der Privatklinik Confraternität war. Seit November 2020 ist Tousek Geschäftsführer des Orthopädischen Spitals Speising.

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