Digitale Apps auf Rezept
Neue Entwicklungen im Bereich „Digital Drugs“ zeigen, dass auch die Therapien der Zukunft aus Bits und Bytes bestehen werden. Eine App gegen Schwachsichtigkeit bei Kindern wird in Deutschland bereits von der Krankenkasse bezahlt. Auch Kurzsichtigkeit und Depression sollen künftig digital behandelt werden.
Die Digitalisierung im Gesundheitsbereich schreitet voran. Im Zuge von Pandemie und Personal Distancing hat die Telemedizin einen großen Push erhalten. Als Folge davon wird mit Ende des ersten Halbjahres 2022 das E-Rezept in ganz Österreich zur Verfügung stehen, und das einstige Papierrezept damit überflüssig machen. Aber auch sogenannte Digital Health Apps haben mittlerweile in den Alltag vieler Menschen Einzug gehalten.
Ärzt*innen holen sich zunehmend KI-basierte Unterstützung bei der Diagnose und Datenanalyse. Patient*innen auf der anderen Seite bekommen über diverse Apps Zugang zu medizinischen Dienstleistungen oder sie erhalten Hilfe beim Krankheitsmanagement, etwa durch ein interaktives Symptom-Tagebuch. Im psychotherapeutischen Bereich wurden zahlreiche digitale Anwendungen entwickelt, die als Selbsthilfe-Coachings bei Depressionen, Angststörungen oder Stress unterstützen.
Computerspiel auf Kassenschein
Daneben wird auch an der Entwicklung von digitalen Arzneimitteln gearbeitet, die eine Erkrankung ursächlich behandeln. Der Berliner Incubator Flying Health unterstützt Start-ups bei der Entwicklung sogenannter „Digital Drugs“, und das mit ersten Erfolgen. Eine Sehschwäche-Therapie des Unternehmens Caterna ist in Deutschland mittlerweile als Kassenleistung erhältlich.
Dabei werden spezielle Computerspiele verschrieben, wenn Kinder an Amblyopie, einer funktionalen Sehschwäche, leiden. Die Therapie von Caterna basiert auf einer nicht-invasiven Gehirnstimulation. Durch ein spezielles Wellenmuster im Hintergrund der Online-Spiele wird die Verbindung von Gehirn und Auge stimuliert und somit das schwache Auge trainiert. Auf diese Weise konnten laut Flying Health bereits über 1.000 Patient*innen erfolgreich behandelt werden.
Mit Virtual Reality gegen Kurzsichtigkeit
Das Berliner Start-up Dopavision arbeitet derzeit an einer Entwicklung zur Behandlung von Myopie bei Kindern und Jugendlichen. Die Kurzsichtigkeit ist ein wachsendes gesundheitliches Problem. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO wird im Jahr 2050 bereits die Hälfte der Weltbevölkerung kurzsichtig sein. Zu den Ursachen zählen lange Bildschirmarbeit und die extensive Nutzung von Smartphones. Sollte die Anwendung erfolgreich sein, dann kann Myopie künftig mithilfe des Smartphones und einer Virtual-Reality-Brille therapiert werden.
Diese digitale Therapie beruht auf einer Gehirnstimulation über den optischen Nerv. Dabei wird die Retina indirekt beleuchtet, um das System zu aktivieren, das die Augapfelgröße reguliert. „Die Myopia-X Therapie läuft direkt vom Smartphone, welches in ein VR Headset integriert wird“, erklärt Stefan Zundel, Co-Founder von Dopavision.
Die Entwicklung des digitalen Produktes befinde sich aktuell in der klinischen Prüfung mittels einer randomisierten, placebo-kontrollierten Studie innerhalb Europas. „Sobald entsprechende Daten vorliegen, plant Dopavision, die Zulassung zu beantragen“, so Zundel.
Stimmungsaufheller via Smartphone
Außerdem in der Pipeline befindet sich die Smartphone-App Optimood, ein Produkt zur Behandlung von Depressionen der Firma Neuraltrain. Die Anwendung basiert auf der vom Unternehmen patentierten DosePair-Technologie. Dabei wird durch visuelle Stimulation des Gehirns der Kreislauf positiver Emotionen gestärkt, der bei einer Depression geschwächt ist.
„Das Produkt befindet sich derzeit in der vorklinischen Validierungsphase, mit bereits vielversprechenden Ergebnissen“, so Geschäftsführer Fabian Queisner über den Entwicklungsstand des digitalen Stimmungsaufhellers. „Zudem wird an weiteren Indikationsgebieten gearbeitet, auf die die DosePair-Technologie angewendet werden kann.“
Schnelle und barrierefreie Behandlung
Einer der großen Vorteile von digitalen Therapeutika lieg darin, dass sie ein fortlaufendes, datenbasiertes Ergebnismonitoring ermöglichen. So lassen sich wertvolle Daten während der Therapie sammeln, die ein großes Potenzial für die Diagnostik bieten. „Die Digitalisierung und ihre Innovationen lassen Diagnostik und Therapie näher zusammenrücken“, erklärt Laura Wamprecht, Geschäftsführerin von Flying Health.
"Die Digitalisierung und ihre Innovationen lassen Diagnostik und Therapie näher zusammenrücken", erklärt Laura Wamprecht, Geschäftsführerin von Flying Health.
Digitale Arzneimittel sind laut Wamprecht ein enormer Wachstumsmarkt. „Digital Drugs sind als Produkte maximal skalierbar, daher werden wir in diesem Bereich eine deutlich höhere Geschwindigkeit und ganz neue Wertschöpfungsketten erleben können als mit der klassischen Standard-Medizin.“ Für Patient*innen könnte das bedeuten, dass sie in Zukunft schneller behandelt werden können und der Zugang zu medizinischen Therapien niederschwelliger wird.
Text: Gertraud Gerst; Foto: pixabay