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Gesundheit
Österreich
10.07.2024

„Die Digitalisierung bietet enorme Chancen in der Patient*innensicherheit“

In einer Zeit, in der medizinische Behandlungsverfahren zunehmend komplexer werden, wird auch die Patient*innensicherheit immer wichtiger. Ein wesentlicher Aspekt zur Reduzierung von Fehlern in der medizinischen Versorgung ist neben der engen Zusammenarbeit aller Beteiligten auch die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen, betont Priv.-Doz.in Dr.in Maria Kletečka-Pulker im Interview.

Was genau umfasst der Begriff „Patient*innensicherheit"?

Maria Kletečka-Pulker: Patient*innensicherheit ist ein zentraler Pfeiler unseres Gesundheitssystems und bezieht sich auf die Vermeidung von Schäden an Patient*innen während des medizinischen Behandlungsprozesses. Sie umfasst daher alle Maßnahmen und Strategien, die darauf abzielen, Risiken, Fehler und Verletzungen zu verhindern, die bei der medizinischen Gesundheitsversorgung auftreten können. 

Die Sicherheit der Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen ist ebenso Thema in diesem Zusammenhang?

Kletečka-Pulker: Das ist richtig. Die Mitarbeiter*innen sind schließlich die ersten, die potenzielle Risiken und Fehlerquellen erkennen und Maßnahmen ergreifen können, um diese zu vermeiden. Wer sich in seinem Arbeitsumfeld sicher fühlt, kann sich auch optimal um die Sicherheit der Patient*innen kümmern.

Was sind denn die häufigsten Ursachen für Fehler in der Gesundheitsversorgung?

Kletečka-Pulker: An erster Stelle steht die Kommunikation. Fehler in der Kommunikation können schwerwiegende Folgen haben. Sprachbarrieren, Missverständnisse, unvollständige oder falsche Informationen sowie die verzögerte oder fehlende Weitergabe wichtiger Informationen bei der Übergabe können zu Fehlbehandlungen, Versorgungsverzögerungen oder sogar lebensbedrohlichen Situationen führen. Aber auch ärztliche Behandlungsfehler, die leider vorkommen können, und falsche Medikamentenvergabe sind häufige Ursachen. Da die Patient*innen heute informierter und selbstbewusster sind, ergreifen sie schneller rechtliche Schritte. Wir unterstützen Betroffene dabei, ihre Patient*innenrechte proaktiv wahrzunehmen.

Was sind wichtige Maßnahmen, um die Fehlerquote zu senken?

Kletečka-Pulker: Je mehr Aufklärung im Vorfeld passiert, desto eher lassen sich Fehler vermeiden. Hier hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Neu ist die Initiative „Never Events“. Darunter versteht man schwerwiegende Ereignisse im medizinischen Bereich, die zu Patient*innenschäden führen und als vermeidbar gelten. Hier arbeiten wir zurzeit gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium, Gesundheit Österreich und Expert*innen daran, eine Liste von Never-Events für das österreichische Gesundheitswesen zu erstellen. Zusätzlich bauen wir dazu eine Lernplattform sowie ein Expert*innen-Netzwerk auf. Die zentrale Vision dieses Projekts ist es, die Sicherheit von Patient*innen und Mitarbeiter*innen zu stärken und die so genannten „Never Events“ gezielt zu verhindern. 

"Studien haben gezeigt, dass eine gründliche Aufklärungsarbeit die Patient*innensicherheit erhöht."

An welchen wesentlichen Merkmalen und Kennzahlen kann Patient*innensicherheit gemessen werden?

Kletečka-Pulker: Hierzu müssen die einzelnen Themenbereiche separat betrachtet werden. Beispielsweise kann man bei Medikationsfehlern mithilfe von Tools und Projekten überprüfen, ob Verbesserungen erzielt wurden. In einem meiner Forschungsbereiche, der Sprachvermittlung, setzen mittlerweile viele Kliniken professionelle Video-Dolmetscher*innen ein, bei denen innerhalb von wenigen Minuten professionelle Übersetzer*innen zugeschaltet werden. Weiters kann die Patient*innensicherheit auch anhand der Anzahl und Art der gemeldeten Zwischenfälle und Fehler gemessen werden. Dadurch lässt sich nachvollziehen, welche Verbesserungsmaßnahmen aufgrund der gemeldeten Fehler umgesetzt wurden. Hier verfügen die Krankenanstalten mittlerweile über eigene Riskmanagement-Abteilungen oder Patient*innensicherheit-Taskforces. 

Erst kürzlich fand die Tagung „Kann die Digitalisierung die Aufklärung sicherer machen?“ statt. Kann sie das?

Kletečka-Pulker: Meines Erachtens eindeutig ja. Die optimale Lösung besteht jedoch in einer Kombination beider Ansätze. Durch die Digitalisierung können Patient*innen im Vorfeld die notwendigen Informationen erhalten, etwa durch mehrsprachige Aufklärungsvideos oder das Zuschalten von Live-Dolmetscher*innen. Studien haben gezeigt, dass eine gründliche Aufklärungsarbeit die Patient*innensicherheit erhöht. Dazu gehört aber auch das persönliche Gespräch, da nur so auf die individuellen Fragen und Bedenken der Patient*innen eingegangen werden kann. 

Welche spezifischen Chancen sehen Sie generell in der Digitalisierung?

Kletečka-Pulker: Die Digitalisierung bietet enorme Chancen in der Patient*innensicherheit, da sie die Effizienz und Genauigkeit der Prozesse verbessern kann. Dies gelingt jedoch nur, wenn die Systeme miteinander verbunden sind, was derzeit nicht der Fall ist. 

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, hier an Stellschrauben zu drehen, was würden Sie tun? 

Kletečka-Pulker: Ich würde verpflichtende Schnittstellen für die Erfassung von Patient*innendaten in Krankenhäusern einführen. So könnten verschiedene Gesundheitsdienstleister zentral auf vollständige Krankengeschichten zugreifen und besser zusammenarbeiten. Patient*innendaten könnten sicher und schnell zwischen unterschiedlichen Einrichtungen ausgetauscht werden, was besonders in Notfällen wichtig ist. Wenn alle Beteiligten immer aktuelle Informationen über verschriebene Medikamente und bekannte Allergien haben, werden zudem etwaige Medikationsfehler reduziert. Außerdem lassen sich durch die systematische Erfassung und Analyse von Gesundheitsdaten langfristige Trends und Muster erkennen, was zu besseren Gesundheitsstrategien und präventiven Maßnahmen führt. All das steigert letztlich die Patient*innensicherheit erheblich.

Interview: Rosi Dorudi

Fotos: © Universität Wien / Marko Kovic; © Dieter Steinbach

Maria Kletečka-Pulker, Priv-Doz.in Mag.a Dr.in

Maria Kletečka-Pulker studierte Rechtswissenschaften in Wien. Von 1998 bis 1999 arbeitete sie als Vertragsbedienstete im Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Seit 2006 ist sie stellvertretende Leiterin, Geschäftsführerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethik und Recht in der Medizin. Sie ist zudem Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes und seit 2008 Geschäftsführerin sowie Gründungsmitglied der Plattform Patientensicherheit (ANetPAS). Seit 2010 leitet Kletečka-Pulker außerdem den postgradualen Lehrgang „Patientensicherheit und Qualität im Gesundheitswesen“ als wissenschaftliche Leiterin. Gemeinsam mit Prof. Harald Willschke ist sie wissenschaftliche Direktorin des Ludwig Boltzmann Instituts Digital Health and Patient Safety.

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