Im OP sind Frauen ein Erfolgsfaktor, als Patientinnen im Nachteil
Mehr Anästhesistinnen und Chirurginnen im OP-Team sorgen für bessere Resultate, wie eine kanadische Studie belegt. Neue Erkenntnisse aus der Gendermedizin gibt es auch in Sachen Diagnostik und Therapie der Herzinsuffizienz.
Divers besetzte Teams mit Frauen und Männern führen Unternehmen zum Erfolg. Diese Erkenntnis setzt sich unter Führungskräften immer mehr durch. Wie eine im „British Journal of Surgery“ publizierte post-operative Kohorten-Studie aus Kanada zeigt, ist das weibliche Geschlecht auch im OP ein Erfolgsfaktor: in Form von Anästhesistinnen und Chirurginnen.
An 88 Spitälern wurden zwischen 2009 und 2019 709.899 Index-Operationen durchgeführt – mit einer Rate für schwere Komplikationen binnen 90 Tagen von 14,4 Prozent. In Krankenhäusern mit einer Frauenquote von mehr als 35 Prozent bei Anästhesist*innen und Chirurg*innen reduzierte diese sich um drei Prozent. Führten Anästhesistinnen und Chirurginnen die Operation durch, zeigte sich der positive Effekt sogar noch stärker.
Die Führungsspitze heimischer Spitäler ist männlich
Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Leiterin des Referenzzentrums für endokrine und Stoffwechselerkrankungen an der MedUni Wien und Gendermedizinerin, überraschen die Ergebnisse nicht: „Frauen haben auch in der Medizin oft einen anderen Zugang. Sie sind offener, setzen auf Prävention sowie Nachsorge und nehmen sich Zeit für Patient*innen.“ Der Erfolgsfaktor Frau strahlt in einer weiblichen Umgebung auch auf Männer aus: laut einer anderen Studie etwa auf Gynäkologen, die viele Frauen im Team haben. Untersuchungen aus der Kardiologie zeigen ebenfalls den positiven Einfluss von mehr Frauen im Team auf den Outcome.
Obwohl Gendergerechtigkeit und Diversität in aller Munde sind, finden sich in der Führungsebene heimischer Spitäler laut Kautzky-Willer „derzeit keine 35 Prozent Frauen“. Dabei sind Letztere in der Medizin insgesamt in der Überzahl, ebenso an medizinischen Universitäten. Der Grund liegt nicht nur an der berühmten gläsernen Decke, sondern an der Prioritätensetzung. „Besonders junge Kolleginnen haben oft einen anderen Zugang zum Beruf“, lautet Kautzky-Willers Erklärung. „Sie möchten nicht mehr 24/7 arbeiten, sondern ihrer Familie Zeit widmen und noch Freizeit haben. Das betrifft auch immer mehr junge Männer. Hier braucht es neue Arbeitszeitmodelle und eine bessere Infrastruktur mit mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten.“
„Frauen haben auch in der Medizin oft einen anderen Zugang."
Herzinsuffizienz-Patientinnen mit Typ-2-Diabetes brauchen andere Diagnostik
Neue Daten aus der Gendermedizin gibt es auch, was die Benachteiligung von Frauen in der Diagnostik und Therapie betrifft. Die Expertin für Gender-Medizin präsentierte mit ihrem Team kürzlich eine Studie zu Herzinsuffizienz bei Typ-2-Diabetes. Ergebnis: „Bisherige Diagnosemethoden wie die NYHA-Klassifikation in punkto eingeschränkte Leistungsfähigkeit sind bei Frauen unzuverlässig,“ so Kautzky-Willer. Patientinnen haben ein bis zu viermal höheres Risiko für Herzinsuffizienz als Personen ohne Typ-2-Diabetes. Wobei Frauen mehr als doppelt so häufig betroffen sind als Männer. Dennoch gibt es derzeit keine geschlechtsspezifischen Empfehlungen für die Diagnostik der Herzinsuffizienz bei Patientinnen mit Typ-2-Diabetes. „Dabei stellen NT-proBNP-Werte beim weiblichen Geschlecht sehr sensitive und frühe Marker für eine Herzinsuffizienz dar.“
Ein kleiner großer Unterschied besteht auch bei der Diabetes-Messung: „Beim weiblichen Geschlecht ist jene des Nüchternblutzuckers wenig aussagekräftig. Sie sollte um den Langzeitwert oder einen Zuckerbelastungstest ergänzt werden.“ In der Menopause haben Frauen eine Veränderung im Lipidprofil: „Mit Auswirkung auf Cholesterinwerte.“
Studien: Männer über-, Frauen unterrepräsentiert
Dass die Medizin trotz aller Unterschiede männlich ist, hat auch mit der Studienlage in punkto Medikamentenzulassung und Behandlungsleitlinien zu tun: Lange Zeit waren Frauen wegen möglicher Risiken in punkto Schwangerschaft von Untersuchungen ausgeschlossen. Obwohl das derzeit nicht mehr der Fall ist, sind sie aber immer noch weder repräsentativ noch in kritischer Masse von 35 Prozent vertreten. Laut Kautzky-Willer sind „70 bis 80 Prozent der Studien-Teilnehmer*innen Männer“. Die Ergebnisse werden außerdem häufig nicht nach Geschlechtern getrennt analysiert. Das führt zu einem Bias – und zu einer unzeitgemäßen Behandlung von Frauen. Laut Kautzky-Willer gäbe es zwar viele Daten von Männern, aber zu wenige von Frauen. Sie plädiert für einen Blickwechsel in Richtung weibliches Geschlecht: „Studien müssten neu aufgearbeitet werden: als Basis innovativer Behandlungs-Richtlinien nach dem aktuellen Stand der Forschung.“
Text: Karin Lehner; Foto: MedUni Wien/feelimage