Erbliche Hauterkrankungen
Genodermatosen sind genetisch bedingte Hauterkrankungen und zählen in der Regel zu den seltenen Krankheitsbildern. Warum eine genaue und frühzeitige Diagnose wichtig ist, erklärt Priv. Doz. Dr. Robert W. Gruber, Leitender Oberarzt des Expertisezentrums für Genodermatosen mit Schwerpunkt Verhornungsstörungen in Innsbruck im Gespräch mit INGO.
Herr Dr. Gruber, was sind Genodermatosen und wie entstehen sie?
Robert W. Gruber: Genodermatosen sind erblich bedingte Hauterkrankungen, die durch Mutationen in verschiedenen Genen verursacht werden und bei denen eine kutane, also zur Haut gehörende Symptomatik wegweisend ist. Genodermatosen umfassen ein breites Krankheitsspektrum und werden unter anderem in Verhornungsstörungen, neurokutane Syndrome, Tumorsyndrome, Bindegewebserkrankungen und Epidermolysen unterteilt. Derzeit sind circa 550 verschiedene Genodermatosen bekannt, wobei die meisten davon seltene Erkrankungen sind.
Wie viele Menschen sind in Österreich davon betroffen?
In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Da mehr als 6000 unterschiedliche Seltene Erkrankungen bekannt sind, ist die Gesamtzahl der betroffenen Personen trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankungen also insgesamt relativ hoch. So sind in Österreich rund 450.000 Menschen von einer Seltenen Erkrankung betroffen, circa fünf bis zehn Prozent davon sind Genodermatosen.
"Immer wieder haben Kinder mit seltenen Genodermatosen und deren Familien bereits eine wahre Odyssee an Arztbesuchen hinter sich gebracht."
Welche Herausforderungen bringen die dennoch niedrigen Fallzahlen mit sich?
Aufgrund der Seltenheit vieler Genodermatosen wissen nur wenige Ärzt*innen näher darüber Bescheid, sodass diese seltenen Erkrankungen häufig nicht erkannt, oder erst nach Jahren diagnostiziert werden. Immer wieder haben Kinder mit seltenen Genodermatosen und deren Familien bereits eine wahre Odyssee an Arztbesuchen hinter sich gebracht. Vor allem bei Kindern mit Genodermatosen muss aber eine korrekte, schnelle Diagnose angestrebt werden, um Verunsicherung bei Eltern und gut gemeinte falsche Ratschläge zu vermeiden. Eine korrekte Diagnose bildet die Grundlage für Informationen über Prognose und Verlauf der Erkrankung, etwaige Vorsorgeuntersuchungen, frühe Förderung bei Entwicklungsverzögerung, die gezielte humangenetische Beratung, sowie die Planung der Langzeitbetreuung. Auch für die Bewilligung von Pflegegeld, Kostenersatz für Medikamente, zielgerichtete Therapien und die Teilnahme an krankheitsspezifischen Studien und Selbsthilfegruppen ist die Diagnosestellung wesentlich. Diagnose und Management von Kindern mit Genodermatosen sind komplex. Es wird daher dringend empfohlen, Personen, bei denen der Verdacht auf eine genetisch bedingte Hauterkrankung besteht, an einem Expertisezentrum für Genodermatosen vorzustellen.
Ist das Expertisezentrums für Genodermatosen in Innsbruck die einzige Hautklinik in Österreich, die auf Genodermatosen spezialisiert ist?
Nein. Es gibt in Österreich zwei akkreditierte Expertisezentren für Genodermatosen. Eines ist an der Universitätsklinik für Dermatologie in Salzburg lokalisiert, und zwar das EB-Haus Austria mit Schwerpunkt Epidermolysis bullosa, besser bekannt als Schmetterlingskinder. Das andere ist an unserer Universitätsklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie in Innsbruck und hat den Schwerpunkt Verhornungsstörungen, also Ichthyosen, palmoplantare Keratoderme und ektodermale Dysplasien.
Wie werden Patient*innen aus anderen Bundesländern versorgt?
Die meisten Personen mit einer suspizierten Verhornungsstörung beziehungsweise Genodermatose aus Österreich werden zumindest zu Beginn der Erkrankung an unserem Expertisezentrum für Genodermatosen zur Diagnosestellung und Therapieeinleitung vorstellig. Aufgrund der Organisation und des Konzeptes des Zentrums, ist eine dauerhafte Nachbetreuung von Patient*innen nicht vorgesehen. Innerhalb von Österreich wird eine möglichst wohnortnahe Langzeitbetreuung der Patient*innen über dermatologische Einrichtungen oder niedergelassene Fachärzt*innen in anderen Bundesländern angestrebt, wobei unser Expertisezentrum für Fragen und Problemstellungen natürlich weiter zur Verfügung steht.
Was ist nun bei Verdachtsfällen zu tun?
Die Sprechstunde unseres Expertisezentrums dient als Anlaufstelle für Patient*innen mit unklarer Diagnose und hat das primäre Ziel der Diagnosefindung und Therapieeinleitung. Fast die Hälfte der Betroffenen sind Kinder. Bei Bedarf sind daher neben unserem interdisziplinären Team aus Dermatolog*nnen und Humangenetiker*innen auch Ärzt*innen assoziierter Konsiliarfächer wie der Kinderheilkunde anwesend. Im Rahmen einer Nachkontrolle werden erhobene molekulargenetische Befunde bei einer genetischen Beratung besprochen und die bisherige Therapie reevaluiert. In Innsbruck sind alle hochspezialisierten diagnostischen Einrichtungen vor Ort, beispielsweise Histologie, Elektronenmikroskopie und Radiologie, was eine kosteneffektive und schnelle Diagnostik ermöglicht. Alle molekulargenetischen Analysen können am Zentrum für Medizinische Genetik durchgeführt werden.
Wie häufig werden Genodermatosen vererbt?
Da Eltern Anlageträger für die Erkrankung oder bereits selbst davon betroffen sind, werden fast alle Genodermatosen vererbt. Die Mutationen liegen in den Keimzellen der Eltern vor und werden an die Nachkommen weitergegeben. Es gibt unterschiedliche Erbgänge, zum Beispiel autosomal-dominant, autosomal-rezessiv, oder X-chromosomal. Zum Beispiel haben bei der autosomal-rezessiv vererbten Ichthyose, bei der die Betroffenen eine ausgeprägte Schuppung der Haut aufweisen, deren Eltern keine Hautprobleme, sondern sind Anlageträger. Erst bei den Kindern zweier Anlageträger kommt es in 25 Prozent der Fälle zur Krankheitsausprägung. Genodermatosen können selten auch durch eine Neumutation entstehen, die dann nur bei der betroffenen Person, nicht aber bei den Eltern gefunden wird.
Wie ist die Symptomatik bei Genodermatosen?
Genodermatosen ist ein Sammelbegriff, der viele verschiedene erblich bedingte Hauterkrankungen umfasst, weshalb auch die krankheitsspezifischen Symptome sehr unterschiedlich sind. Häufige Symptome sind zum Beispiel Juckreiz, Schuppung oder Rötung der Haut bei Ichthyose, Schmerzen beim Gehen bei hereditären palmoplantaren Hyperkeratosen, Blasen- und Hautentzündung bei Epidermolysis bullosa, Überdehnbarkeit der Haut und Gelenksluxationen bei Ehlers-Danlos-Syndrom und Sonnenlichtunverträglichkeit bei Porphyrien und Erbkrankheiten mit defekter DNA-Reparatur. Viele Genodermatosen zeigen kutane Leitsymptome, an denen die Erkrankungen klinisch erkennbar sind, beispielsweise finden sich mehrere sogenannte Café-au-lait-Flecken bei Kindern mit Neurofibromatose Typ 1, oder Eschenlaubflecken bei Personen mit Tuberöser Sklerose.
Welche Untersuchungen müssen durchgeführt werden, um eine Genodermatose zu diagnostizieren?
Genodermatosen werden heutzutage überwiegend nach genauer klinischer Untersuchung mit Hilfe molekulargenetischer Analysetechniken diagnostiziert. Daneben spielen je nach Hautkrankheit auch (Familien)-Anamnese, Labordiagnostik, Histologie, Immunfluoreszenz, Elektronenmikroskopie und bildgebende Untersuchungen eine ergänzende Rolle. Die derzeit überwiegend in der Diagnostik verwendeten molekulargenetischen Analysetechniken umfassen die Panel-Diagnostik und die Exomsequenzierung, bei der alle bekannten Exone und einzelne regulatorische Sequenzen untersucht werden. Die Etablierung dieser Sequenziertechniken hat den Vorteil, dass dadurch andere invasive Diagnosemethoden ersetzt werden können, zum Beispiel ist bei einem Kollodiumbaby meist keine Hautbiopsie mehr erforderlich.
"Nicht alle Genodermatosen sind zufriedenstellend behandelbar."
Wie werden Genodermatosen behandelt? Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Die Behandlung von Genodermatosen ist krankheitsspezifisch. Es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten, beispielsweise die Behandlung mit Cremen und Salben, Medikamenten die geschluckt, gespritzt oder unter die Haut implantiert werden, dem Laser, oder chirurgischen Verfahren. Nicht alle Genodermatosen sind zufriedenstellend behandelbar. Für die schweren Formen der Ichthyosen existieren beispielsweise oft keine zufriedenstellenden Therapien, die vor allem nebenwirkungsarm sind. Hier sind die Entwicklung neuer Medikamente mit spezifischen Wirkungsansätzen, oder Studien zur Zulassung von bereits für andere Hauterkrankungen erfolgreich eingesetzten Biologika anzustreben. In den letzten Jahren hat sich diesbezüglich erfreulicherweise schon einiges getan. Bei vielen Genodermatosen sind neben der Behandlung auch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und Präventionsmaßnahmen wichtig, um rechtzeitig Komplikationen und Begleiterkrankungen zu erkennen, oder das Auftreten bösartiger Hautveränderungen oder Erkrankungen zu verhindern. Bei Kindern sind unter anderem bei einer Entwicklungsverzögerung auch spezielle Fördermaßnahmen von Bedeutung.
Welche Einschränkungen können Betroffene von Genodermatosen haben?
Die Einschränkungen sind wiederum krankheitsspezifisch. Einerseits gibt es Genodermatosen wie beispielsweise die Ichthyosis vulgaris, bei der betroffene Personen ein normales Leben mit kaum verminderter Lebensqualität führen, andererseits haben Kinder mit schwerer generalisierter Epidermolysis bullosa dystrophicans eine stark eingeschränkte Lebensqualität mit hohem Leidensdruck und verminderter Lebenserwartung. Der Großteil der Menschen mit Genodermatosen hat schon Stigmatisierung und Diskriminierung erlebt! Daher ist es wichtig, durch Bekanntmachung und Information der Bevölkerung die Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen. Der Dachverband für Seltene Krankheiten „pro rare austria“ leistet hier großartige Arbeit. Auch das Forum Seltene Krankheiten, das 2011 in Innsbruck und Salzburg gegründet wurde, informiert regelmäßig am „Tag der seltenen Erkrankungen“ und mit dem „Kongress für Seltene Krankheiten“ sowohl die Bevölkerung, als auch die behandelnden Ärzt*innen. Ich hoffe, dass dadurch mehr Toleranz und Hilfe in der Gesellschaft und Arbeitswelt ermöglicht wird.
Lassen sich Gesundheitsrisiken durch Genodermatosen vermeiden?
Bei vielen Genodermatosen besteht ein durch die Erkrankung verursachtes erhöhtes Gesundheitsrisiko, zum Beispiel haben Menschen mit Neurofibromatose Typ 1 ein 9000-fach erhöhtes Tumorrisiko. Durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und Präventionsmaßnahmen können rechtzeitig Komplikationen und maligne Begleiterkrankungen erkannt und behandelt werden. Dies führt auch zur Verbesserung der Prognose bei Personen mit Genodermatosen.
Wie wird eine genetische Beratung bei Genodermatosen durchgeführt?
Die medizinisch-genetische Beratung dient dazu, eine Diagnose zu stellen und die individuell richtigen Konsequenzen für Therapie und Management zu ziehen. Sie beinhaltet neben der umfassenden Eigen- und Familienanamnese auch eine ausführliche Untersuchung von Haut und Hautanhangsgebilden, sowie eine Sichtung von bereits erhobenen Befunden. Alle relevanten Aspekte werden ausführlich besprochen und das weitere Vorgehen, das häufig eine molekulargenetische Untersuchung beinhaltet, geplant. Die Inhalte der Sprechstunde werden in einem allgemein verständlichen Beratungsbrief an die Ratsuchenden zusammengefasst. In Innsbruck erfolgt die genetische Beratung am Expertisezentrum für Genodermatosen im Rahmen der Genodermatosen-Sprechstunde, in Einzelfällen bei komplexen Fragestellungen auch an der Humangenetik. Alle erhobenen molekulargenetischen Befunde müssen den Ratsuchenden gemäß §69 GTG im Rahmen einer genetischen Beratung mitgeteilt und erklärt werden.
Inwieweit hilft die Beratung den Betroffenen bei der Behandlung?
Patientenedukation ist nach Aufklärung der Betroffenen über ihre Diagnose und nach genetischer Beratung ein wichtiges Thema. Viele Patient*innen recherchieren im Internet und finden dort leider auch falsche Informationen über ihre Erkrankung und deren Behandlung. Detaillierte Erklärungen und das Begründen einer medizinischen Handlung oder Therapie helfen die Compliance der Personen mit Genodermatosen deutlich zu erhöhen. Die Betroffenen und deren Familien sollten auch zur Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe ermutigt werden, weil dort hilfreiche Tipps vermittelt werden, was vor allem für Eltern erkrankter Kinder wertvoll sein kann.
Was ist die Prognose von Patient*innen mit Genodermatosen?
Die Prognose ist abhängig von der vorliegenden erblichen Hauterkrankung und kann überdies individuell unterschiedlich verlaufen. Bei vielen Genodermatosen ist ein annähernd normales Leben ohne starke Einschränkung der Lebensqualität möglich. Es gibt jedoch auch Genodermatosen mit einem schweren Verlauf, wie beispielsweise die devastierenden Formen der Epidermolysis bullosa oder die Harlekin-Ichthyose, bei denen es bereits im Kindesalter zum Tod durch Infektionen kommen kann. Bei anderen Genodermatosen wie zum Beispiel Erbkrankheiten mit defekter DNA-Reparatur, primären Immundefizienzen, oder Tumordispositionssyndromen ist die Lebenserwartung reduziert.
Nun noch eine letzte Frage: Seit Jahren droht der Universitäts-Hautklinik in Innsbruck eine Aufsplittung der Bereiche Ambulanz, Station und Forschung. Was würde dies für Ihre Arbeit bedeuten?
Diese Aufsplittung wurde bereits beschlossen: Voraussichtlich im Juli 2023 werden die Hautambulanzen in das Gebäude der Inneren Medizin übersiedeln, die Labore und Stationen bleiben vorerst im alten Gebäude der Hautklinik, wobei der Baubeginn letzterer frühestens 2025 beginnen wird. Ob sich diese Umstrukturierung wesentlich auf unser Expertisezentrum für Genodermatosen auswirken wird, lässt sich derzeit schwer abschätzen, ich hoffe aber nicht, dass es dadurch zu einer qualitativen Verschlechterung oder Einschränkungen in der Patiente*innnversorgung kommt. Ich sehe das optimistisch, jede Veränderung bietet ja auch die Chance zur Verbesserung.
Interview: Rosi Dorudi; Foto: www.de.depositphotos.com
Robert W. Gruber, Priv.-Doz. Dr.
Leiter des Expertisezentrums für Genodermatosen mit Schwerpunkt Verhornungsstörungen der Universitätsklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Innsbruck
Gruber ist seit 2012 Facharzt für Dermatologie und Venerologie. 2013 war er Visiting Researcher an der University of California San Francisco, USA. Von 2014 bis 2016 arbeitete er als Assistenzarzt an der Humangenetik Innsbruck in den Bereichen Genetische Beratungen und Aufbau Derma-Panel. Er habilitierte im Jahr 2015. Seit 2018 ist Gruber leitender Oberarzt an der Univ.-Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Innsbruck und Leiter des Expertisezentrums für Genodermatosen mit Schwerpunkt Verhornungsstörungen Innsbruck. Seit 2020 ist er zudem Vorsitzender der nationalen Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Dermatologie.