„Liebscher und Bracht? „Ja, aber…“
Dr. Gerhard Vavrovsky ist Osteopath und Facharzt für Physikalische Medizin. Er leitet die Abteilung für Physikalische Medizin und Rehabilitation am Herz-Jesu Krankenhaus in Wien. Was hält er von den von Liebscher und Bracht angebotenen Übungen?
Wann immer wir eine Behandlung durchführen sollen, muss zuerst das Problem definiert werden. Und dafür braucht man eine erfahrene Therapeutin oder Ärztin – da sind Doktor Google und das Internet zu wenig. Denn für eine gute Diagnose braucht es neben einer gezielten Anamnese die körperliche Untersuchung der Patientin. Erst wenn wir unsere Patienten untersucht und angegriffen haben, können wir begreifen, worum es geht – und danach die richtige Behandlung verordnen. Und das können durchaus Übungen anhand von Videos aus dem Internet sein. Solche Videos gibt es ja vielfach im Bereich der Physiotherapie/Trainingstherapie, und nicht nur bei Liebscher und Bracht.
Ich erlebe in meiner Praxis immer wieder, dass Patienten sagen: „Jetzt habe ich schon lange Übungen gemacht und habe immer noch Beschwerden.“ Ich führe das darauf zurück, dass eben eine ordentliche Anamnese und Untersuchung bzw. Diagnose fehlt. Körperliche Beschwerden können eine Vielzahl an Gründen haben – und dazu bleiben die Videos von Liebscher und Bracht stumm. Ich sehe jedoch die Menschen nicht, die durch vermehrte körperliche Aktivität ihre Beschwerden selbst in den Griff bekommen haben.
Andererseits: Unser westlicher Lebensstil bringt viele Alltagsbeschwerden mit sich. Denken Sie etwa an die Verspannungen durch die Arbeit am Computer. Diesen Menschen bieten Liebscher und Bracht zumindest die Aufforderung: „Beweg Dich; Tu‘ was; Sei aktiv – dann werden Deine Beschwerden besser werden.“ Diese Idee ist nicht neu, gefällt mir aber sehr gut. Fehlende Bewegung lässt viele von uns krank werden und wohl auch vorzeitig sterben. Das Aktivieren der Menschen ist etwas, das Liebscher und Bracht können. Da kann die Medizin viel lernen.
Was den von Liebscher und Bracht angebotenen Übungen fehlt, ist der wissenschaftliche Nachweis, dass sie beschwerdebezogen funktionieren. Es gibt keine Beweise dafür, dass Liebscher und Bracht genauso gut oder wirksamer ist als Placebo. Deswegen widerstrebt es mir, die App aktiv zu empfehlen. Liebscher und Bracht machen Versprechungen, die sie oft nicht einhalten können, teilweise auch nicht wollen, und verbergen diese Defizite im „Kleingedruckten“ – das ist Geschäftemacherei und hat in der seriösen Behandlung von Menschen in Medizin und Therapie nichts verloren.
Kurz zusammengefasst: Liebscher & Bracht ist „Lifestyle-App“ und gutes Geschäft, aber kein seriöses therapeutisches oder medizinisches Angebot!
Interview: Josef Broukal