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Österreich
06.02.2023

Kinder-Besuch auf der ICU: "Sehr sinnvoll"

Sollen Kinder und Jugendliche intensiv-medizinisch betreute Angehörige im Krankenhaus besuchen dürfen? Die Antwort des Experten ist eindeutig: Insbesondere der Besuch von Geschwisterkindern sei unbedingt zu empfehlen, so Primar Dr. Roland Berger vom St. Josef Krankenhaus Wien.

Die intensivmedizinische Behandlung eines Menschen ist auch für dessen Umfeld eine enorme Herausforderung. Sind Kinder als nahestehende Verwandte involviert, wächst diese Herausforderung nicht selten zu einer Überforderung. Eine der Entscheidungen, die Eltern in einer derartigen Situation treffen müssen: Darf, soll mein Kind den Angehörigen auf der Intensivstation besuchen? Wird es das Erlebte verarbeiten können, wird der Besuch mehr schaden als nutzen, wer unterstützt mich und mein Kind dabei, mit allem – altersgerecht – umzugehen?

„Wir bieten allen Eltern jederzeit psychologische Unterstützung an“, erklärt Primar Dr. Roland Berger, Vorstand der Abteilung für Kinderheilkunde mit Neonatologie im St. Josef Krankenhaus Wien, der sich mit seinem Team auf die Betreuung zu früh geborener und kranker Babys spezialisiert hat. Davor war er zehn Jahre lang auf einer pädiatrischen Intensivstation für Kinder bis 18 Jahre tätig. Insbesondere dort, wenn also ein Geschwisterkind betroffen ist, sei der Besuch „sehr sinnvoll“, so Berger. „Dann ist das Familiensetting völlig aus der Balance geraten. Das Geschwisterkind spürt ganz genau, dass das andere Kind schwer krank ist. Wenn man ihm das auch zeigt, versteht es besser, warum die Eltern sehr besorgt sind.“

Vorbereitung ist Alles

Eine eindeutige, generell gültige Antwort auf die Frage, ob Kinder ihre Angehörigen auf der Intensivstation besuchen sollen, kann auch der erfahrene Mediziner freilich nicht geben. Denn entscheidend seien immer die Eltern – sie kennen ihren Nachwuchs am besten, sie können einschätzen, was für ihn das Beste ist. Auch, ab welchem Alter man ein Kind mit auf die ICU nimmt, liegt im Ermessen der Erziehungsberechtigten, „sobald die Kinder jedoch im Kindergartenalter sind, macht es aber Sinn. Je kleiner sie sind, desto mehr muss man sie begleiten; ältere Kinder verstehen alles natürlich besser.“

Die Vorbereitung auf den Besuch im Krankenhaus ist dabei jedenfalls das Um und Auf. Eine Intensivstation gäbe ein völlig anderes Bild als man es üblicherweise aus dem Spital kennt, so der Primar. „Viele Monitore, Alarme, in der Mitte zwischen all den Geräten ein kleines Kind … da ist man schon erschlagen. Es ist ganz wichtig, den Kindern alles vorher zu erklären, auch, was das Geschwisterkind mitkriegt. Wahrscheinlich schläft es, ist vielleicht sogar im Tiefschlaf.“ Hier müsse man genau erklären, was man mit dem kleinen Patienten machen kann: „Dass man das Kind angreifen, streicheln kann, dass es das wahrscheinlich alles spürt, aber kaum Reaktion zeigt.“ 

"Kinder bringen etwas Unbeschwertes auf die Intensivstation", erklärt Roland Berger vom St. Josef Krankenhaus Wien.

Zusätzlich zu den vorbereitenden Gesprächen der Eltern kann den Kindern im Vorfeld des Besuchs ein Arzt Details über die Station und die Behandlung erzählen. Klar ist, dass auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden muss – auch, beziehungsweise insbesondere, der auf der Intensivstation behandelten Kinder. Diese freuen sich allerdings üblicherweise über den Besuch des Bruders oder der Schwester, weiß der Experte: „Es lockert die Situation auf. Geschwisterkinder bringen, auch wenn das in dem Zusammenhang komisch klingt, etwas Unbeschwertes, mit. Und das hilft schon oft.“ Selbstverständlich, so Berger, müssen die Besuchenden völlig gesund sein. 

Keine einheitlichen Regelungen

Besuchsregelungen sind in Österreich von Krankenhaus zu Krankenhaus unterschiedlich. Generell gehe der Trend aber in die Richtung, die Besuchszeiten nicht mehr so eng wie früher zu sehen. „Ich plädiere dafür, dass die möglichst ausgedehnt werden. Die Eltern sollten möglichst viel anwesend sein“, erklärt Berger.

Was aber unterscheidet Kinder-Besuche auf der Pädiatrie von jenen auf Erwachsenen-Intensivstationen? Berger: „Wir sind an die Kommunikation mit Eltern und ihren Kindern gewohnt. Wir haben auf der Pädiatrie täglich mit Kindern zu tun, das Personal auf einer normalen Intensiv hat das nicht. Ich kann mir vorstellen, dass es da nicht immer so einfach ist, ein Besuchsrecht fürs Kind durchzusetzen.“

Betreuung findet statt

Ob ein Besuch des Kindes auf der Intensivstation von den Eltern überhaupt gewünscht wird, hängt aus der Erfahrung des Arztes auch von der Dauer des jeweiligen Krankenhausaufenthalts ab. Sogar in palliativen Situationen würde Berger jedoch ein Mitkommen von Kindern empfehlen.

Die Begleitung und die Vorbereitung sei jedenfalls auch hier entscheidend. „Wenn man ihnen erklärt, dass die kranke Person nicht so reagiert wie sonst, wenn man die Monitore samt allen Geräuschen, die es auf der Intensivstation gibt, erklärt, gewöhnen sich Kinder sehr rasch daran. Sie merken auch schnell, was erlaubt ist, was nicht erlaubt ist.“ 

Es gibt Eltern, die all das sehr gut vorab im Familiengefüge absprechen, andere brauchen dabei Hilfe. Der Mediziner kommt damit wieder auf die Unterstützung zurück, die allen Eltern angeboten wird. Sei es von ausgewiesenen Psycholog*innen, sei es durch das reguläre Personal. Auch in Zeiten von Fachkräftemangel, insbesondere im medizinischen Bereich, werden hier keine Abstriche gemacht. „Wir Kinderärzt*innen und -pflegekräfte sind gewöhnt, viel mit den Eltern zu kommunizieren, dafür muss immer Zeit sein. In der Corona-Pandemie war das schwierig, da die Besuchszeiten vom Gesetzgeber sehr eingeschränkt wurden. Mittlerweile ist das aber kein Thema mehr. Das muss einfach stattfinden.“

Text: Michael Reichelt; Fotos: Baby Smile/Sabine Zach, www. depositphotos.com

Roland Berger, Prim. Dr.

Vorstand der Abteilung für Kinderheilkunde mit Neonatologie am St. Josef Krankenhaus Wien

Berger, Jahrgang 1977, absolvierte seine Ausbildung als Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde (Additivfach Neonatologie und Intensivmedizin) in Australien sowie in der Klinik Donaustadt, dem ehemaligen Donauspital, wo er ein Jahrzehnt in der Kinderintensivstation tätig war. Vor dem Wechsel ins St. Josef Krankenhaus (SJK) hatte Berger die Stationsführung der größten Bettenstation der Kinderabteilung im Donauspital inne. Seit 2018 leitet er die Abteilung für Kinderheilkunde mit Neonatologie des SJK, zudem ist er als Wahlarzt in der Wiener Ordination „Kinderarzt-Nest“ (www.kinderarzt-nest) tätig. Roland Berger ist verheiratet und Vater von drei Mädchen.

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