„Wir dürfen Post Covid nicht aus dem Blick verlieren!“
COVID-19 wird uns auch in Zukunft begleiten, nicht zuletzt durch seine Langzeitfolgen. Long Covid und Post Covid haben zwar ihr Gesicht verändert, als multifaktorielle und oft unspezifische Krankheitsbilder machen sie aber nach wie vor vielen Menschen zu schaffen. „Und wir wissen nicht, was noch kommt“, sagt die Internistin Lea Verner.
Sie haben während der COVID-19-Pandemie als eine der Leiterinnen einer stationären Post-Covid-Rehabilitation viel in der Nachbetreuung schwer betroffener Patient*innen gearbeitet. Ist dieses Thema für Sie heute abgehakt?
Lea Verner: Nein, damit haben wir immer noch zu tun, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß. So betreue ich derzeit eine junge Frau, die nach einer SARS-CoV-2-Infektion im vergangenen Herbst heute kaum selbstständig das Bett verlassen kann. Grundsätzlich stellen sich Long Covid und Post Covid – also Langzeitfolgen bis zu drei Monate nach einer Corona-Infektion beziehungsweise darüber hinaus – heute aber völlig anders dar als zu Beginn der Pandemie.
Was hat sich geändert?
Schwere pulmonale Beeinträchtigungen, wie sie bei den ersten Virusvarianten zu beobachten waren, gibt es nur noch vereinzelt, schon seit dem Auslaufen der Delta-Welle eigentlich ganz selten. Lungenmanifestationen bei COVID-19 heilen heute meist rasch und gut aus, wie bei anderen Viruspneumonien auch. Womit wir es heute zu tun haben, sind unspezifische Veränderungen in unterschiedlichsten Formen. Mehr als 200 Symptome mit Auswirkungen auf unterschiedliche Organsysteme wurden bereits identifiziert. Eine wesentliche Rolle spielt das chronic Fatigue Syndrom, ein dauerhafter, sehr belastender Erschöpfungszustand. Die Betroffenen schildern, dass sie einfach nicht mehr fit werden, nicht wieder in ihren Alltag zurückkommen. Viele Untersuchungsparameter können dabei aber unauffällig sein. Langzeitfolgen können durchaus auch nach milden Infektionsverläufen auftreten, und sie betreffen derzeit bis zu 10 Prozent aller COVID-19-Patient*innen, Frauen etwas häufiger als Männer.
"Es liegt an der Gesundheitspolitik, hier die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen."
Trotzdem wurden aber viele Spezialeinrichtungen mit COVID-19-Fokus in Krankenhäusern inzwischen eingestellt.
Ja, auch unsere Akutrehabilitation im Herz-Jesu- Krankenhaus ist mittlerweile ausgelaufen. Die veränderten Krankheitsbilder bei Long Covid beziehungsweise Post Covid lassen sich in einem solchen Setting nämlich nicht abdecken. Da braucht es Begleitung oft über viele Monate hinweg, idealerweise in Rehabilitationseinrichtungen mit den Kapazitäten, um solche Patient*innen umfassend zu versorgen und zu begleiten, also mit der Möglichkeit, fächerübergreifend zu arbeiten. Derzeit fehlen weitgehend noch die Strukturen, Netzwerke und Schnittstellen, um für jede Patientin, jeden Patienten den individuell besten Behandlungspfad zu ermöglichen. Das macht es schwierig. Es liegt an der Gesundheitspolitik, hier die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen.
Wohin sollen sich Betroffene denn wenden?
Erste Anlaufstelle sind auf jeden Fall die Hausärzt*innen. Angesichts der vielfältigen Symptome geht es anfangs vor allem darum, gezielt herauszufinden, welches Problem beziehungsweise welche Probleme im Einzelfall im Vordergrund stehen, und dann die richtigen Schritte einzuleiten. Die Sensibilität für die Probleme, die Long Covid und Post Covid verursachen können, ist bei den niedergelassenen Kolleg*innen meiner Einschätzung nach hoch. Aber die Frage ist oft: Was kommt nach der Erstversorgung?
Wie lange werden uns Long Covid und Post Covid noch beschäftigen?
Wir sehen derzeit, dass die Zahl der SARS-CoV-2-Infektionen seit Wochen wieder deutlich ansteigt, sowohl bei den Patient*innen als auch bei den Mitarbeiter*innen. Derzeit entstehen keine schweren Multisystemerkrankungen in der akuten Infektion, eher milde bis mittelschwere Erkältungssymptome oder Symptome im Gastrointestinaltrakt. Darum sehen wir derzeit auch keine akute Gefahr, auch nicht für ältere oder moribunde Menschen. Allerdings wissen wir nicht, was noch kommt und was das hinsichtlich Long Covid und Post Covid bedeutet. Da müssen wir drei bis vier Monate abwarten. Dann können wir erst beurteilen, ob aus den jetzigen Erkrankungen Symptome verbleiben oder wiederkehren und zur Post Covid-/Long Covid Erkrankung führen. COVID-19 ist jedenfalls nicht verschwunden. Es wird uns weiterhin begleiten, auch mit seinen Langzeitfolgen, wie wir das ja auch von anderen Erregern wie zum Beispiel dem Epstein-Barr-Virus kennen. Es wird weiterhin viele Patient*innen geben, die Unterstützung brauchen. Doch schon heute ist festzustellen, dass sich Betroffene alleingelassen fühlen, weil COVID-19 in der Öffentlichkeit vordergründig kein Thema mehr ist. Darum dürfen wir Long Covid und Post Covid nicht aus dem Blickfeld geraten lassen.
Interview: Josef Haslinger
Lea Verner, Dr. med. univ.
Oberärztin und stellvertretende Abteilungsvorständin für Innere Medizin am Herz-Jesu Krankenhaus Wien
Verner arbeitete zehn Jahre als Intensivpflegerin an der neurochirurgischen Universitätsklinik Würzburg und studierte – teilweise parallel dazu – Medizin in Mainz und München. Ab 2012 absolvierte sie Turnus und Facharztausbildung am Herz-Jesu Krankenhaus in Wien, wo sie heute als Oberärztin und stellvertretende Abteilungsvorständin für Innere Medizin tätig ist. Daneben betreibt die 47-Jährige eine Wahlarztordination im Gesundheitspark Herz-Jesu Wien.