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Gesundheit
Österreich
14.05.2024

Schmerzfrei durch YouTube?

Mehr als 2 Millionen Menschen verfolgen auf YouTube die Videos von Roland Liebscher und Dr. Petra Bracht. Die beiden versprechen Linderung bei Muskelschmerzen durch Übungen, die sie vorzeigen. Und greifen dabei zu markigen Ansagen: „Kopfschmerzen – DAS hat dir noch niemand verraten.“ Oder: „Die Arthrose Lüge“ – in diesem Buch nehmen sie die gesamte Wissenschaft aufs Korn. Versprechen Schmerzlinderung in einem Selbsthilfe-Programm für jede Arthrose-Art.

Das umtriebige Unternehmerpaar tritt auf drei Wegen mit schmerzgeplagten Menschen in Kontakt:

- kostenlose Videos im Internet
- ein Onlineshop für Übungshilfen
- Verkauf von hochpreisigen Nahrungsergänzungsmitteln

„Ein Jahrhundertirrtum der Medizin“

Wie entsteht Arthrose – verbunden mit Schmerzen in Knien und Hüften, in den Händen und den anderen Wirbelgelenken?  Auf diese Frage hat die medizinische Wissenschaft keine einfache Antwort. Anders Liebscher und Bracht: „Schmerzen und Arthrose entstehen durch die Nicht-Benutzung unseres Körpers, verstärkt durch schädigende Ernährung. Die Spannung der Muskeln und Faszien steigt. Knorpel und Bandscheiben werden überlastet, verschleißen und degenerieren. Die Faszien verfilzen.“ Also genügt es, die Verspannungen von Muskeln und Faszien zu lösen. Mit einem Verschleiß von Gelenkknorpeln habe die Arthrose nichts zu tun. Das sei ein „Jahrhundertirrtum“ der Schulmedizin. Wissenschaftliche Belege für diese Behauptung können Liebscher und Bracht freilich nicht liefern. Aber, so sagt ein von ihrem System überzeugter Osteopath, das müsse ja noch nicht heißen, dass die Behauptungen falsch seien. In der Wissenschaft sei es oft so gewesen, dass Theorien erst nach vielen Jahrzehnten in Experimenten zweifelsfrei bestätigt werden konnten …

Physiotherapeutinnen sind skeptisch

In Österreich gibt es etwa 18.000 Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Jede dritte/jeder dritte ist Mitglied im Verband „Physio Austria“. Wir fragen die Vorsitzende Constance Schlegl. Sie beginnt überraschenderweise mit einem Lob: „Ich möchte zunächst hervorheben, was an sich gut ist. Gut ist, dass es Videos gibt, dass es eine Struktur gibt. Das gefällt den Menschen, die etwas für ihre Gesundheit tun wollen.“ Dann aber folgt harsche Kritik: „Weniger positiv ist, dass im Gießkannenprinzip alles für alle bereitgestellt wird. Und dass Heilsversprechen gemacht werden – etwa, dass einem die Übungen eine Operation ersparen. Oder dass man mit großen Worten um sich wirft: ‚Der Rückenretter‘.“

Schlegl vermisst auch eine zweite Sache: Liebscher und Bracht gehen in ihren Videos nicht auf den psychischen Anteil von Schmerzbeschwerden ein. „Es geht ja nie nur um die betroffene Körperstruktur. Es ist oft auch die Psyche in Mitleidenschaft gezogen. Liebscher und Bracht berücksichtigen das überhaupt nicht. Es wird nicht abgeklärt, woher chronische Schmerzen kommen. Bei denen gibt es oft einen großen Anteil der Lebensumstände. Physiotherapeutinnen und Ärzte klären das vorher ab.“

Nachsatz: „Jeder ausgebildete Physiotherapeut hat in der Regel auch Videos und anderes Material, mit dem er den Patienten helfen kann. Auch wir von ‚Physio Austria‘ haben Videos und gute Erklärungen auf unserer Homepage.“ (Mehr dazu unter  https://www.physioaustria.at/top-10-beschwerdebilder)

Foto: Physio Austria, Hechenberger

Constance Schlegl, MPH

„Physio Austria“ Präsidentin

„Chronische Schmerzen haben oft auf psychische Ursachen. Darauf gehen Liebscher und Bracht überhaupt nicht ein – Therapeuten und Ärzte schon.“ 

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