"In der Krebsprävention liegt eine große Chance"
In etwa 61.000 oberösterreichischen Familien gehört die Krankheit Krebs zum Alltag. Die Krebshilfe Oberösterreich, die ein Teil der Föderation der Österreichischen Krebshilfe ist, unterstützt und begleitet jährlich rund 3.500 Betroffene oder Angehörige in dieser schweren Situation. Seit 21. Juni ist Martin Burian, Leiter der Abteilung Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern, ihr neuer Präsident. Er sprach mit INGO über die wertvolle Arbeit der Krebshilfe-Berater*innen, die Bedeutung von Prävention und seine Pläne für die kommende Amtsperiode.
Herr Professor Burian, Sie sind seit vielen Jahren ehrenamtlich im Vorstand der oberösterreichischen Krebshilfe tätig und wurden im Juni zu deren neuen Präsidenten gewählt. Was motiviert Sie, sich in der oberösterreichischen Krebshilfe zu engagieren?
Martin Burian: Als Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Leiter einer Abteilung mit Schwerpunkt am onkologischen Sektor erlebe ich tagtäglich, wie wichtig neben der medizinischen Expertise auch die persönlichen Aspekte für die Betroffenen sind. Wie gehen sie und ihr Umfeld mit der Diagnose um? Welche Sorgen, welche Informationsdefizite haben sie? Inwiefern betrifft die Erkrankung ihr Arbeits- und soziales Leben? Hier besteht ein sehr großer Beratungs- und Unterstützungsbedarf, den wir als Ärzt*innen und Chirurg*innen im Spital naturgemäß nicht zusätzlich zu unseren fachlichen Aufgaben abdecken können. Die Krebshilfe ist eine Organisation, die uns das teilweise abnimmt, und das vielfach basierend auf ehrenamtlichem Engagement. Zudem stehen hauptamtlich Psychoonkolog*innen, Psycholog*innen, Psychotherapeut*innen, aber auch Mediziner*innen oder Diätolog*innen zur Verfügung. Ich finde es wirklich sensationell, dass wir an 14 Stützpunkten in Oberösterreich und darüber hinaus mobil derart viele kompetente Mitarbeiter*innen haben, die den Betroffenen verlässlich mit Rat und Tat zur Seite stehen, sich um ihre Anliegen kümmern und sie zu den unzähligen Details beraten, die ihre Erkrankung aufwirft. Dieses System funktioniert hervorragend und ist kostenlos. Kurzum: Die Krebshilfe ist eine ganz tolle, außerordentlich wichtige Einrichtung, von der ich gerne einen Teil ausmache.
Was sind die häufigsten Fragen, mit denen sich Betroffene an die Krebshilfe wenden?
Das kommt immer darauf an, um welchen Tumor es sich handelt. Bei einem Mammakarzinom zum Beispiel kreisen die Fragestellungen oft um das äußere Erscheinungsbild, während es bei einem Prostatakrebs vornehmlich um den Einfluss der Erkrankung auf die Virilität und Zeugungsfähigkeit sowie um die Inkontinenz geht. Viele Ängste und Unsicherheiten ranken sich auch um die Auswirkungen von Strahlentherapie und Operationen. In fortgeschrittenen Stadien oder unter Chemotherapie, wenn die Patient*innen schlecht oder fast nicht mehr essen können, spielen auch Ernährungsfragen eine Rolle: Wie funktioniert das mit der Sondennahrung, was heißt Flüssigbreinahrung, wie kann ich schmackhafte, gut verträgliche Speisen mit hohem Ernährungswert für sie zubereiten? Die Krebshilfe bietet dazu einen speziellen Kochkurs an. Nicht zu vergessen sind auch die sozialen Fragen rund um Berufstätigkeit und Einkommen, aber zum Beispiel auch wie man mit seinen Kindern am besten über die Erkrankung sprechen kann. Unter dem Titel „Mama/Papa hat Krebs“ bietet die Krebshilfe eine eigene Beratung dazu an.
Welche Angebote stehen den Menschen im Rahmen der Krebshilfe noch zur Verfügung?
Wir haben unzählige Angebote, die sich – ähnlich wie in den Beispielen mit der Ernährung oder der kindergerechten Ansprache – um all die Aspekte drehen, die mit der Erkrankung einhergehen können. Einen großen Teil machen die individuellen Beratungen aus, daneben gibt es aber auch viele Veranstaltungen, Seminare und Kurse. Außerdem publizieren wir laienverständliche Broschüren mit Hintergrundinformationen zu den verschiedenen Krebsarten, in denen wir Dinge wie die Histologie eines Tumors oder die einzelnen Stadien der Erkrankung in einfachen Worten erklären. Nicht zuletzt spielen Vorbeugung und Prophylaxe eine wichtige Rolle.
Das heißt, die Krebshilfe veröffentlicht nicht nur Broschüren, sondern lanciert auch eigene Aufklärungskampagnen?
Genau, Prävention ist ein wesentlicher Schwerpunkt der Krebshilfe. In ihr liegt eine große Chance, denn bei der Entstehung von Krebs gibt es ja einige Faktoren, die man durchaus beeinflussen kann. Etwa indem man auf Sonnenschutz achtet, bevor man im Sommer ins Schwimmbad geht oder andere Outdoor-Aktivitäten unternimmt. Dafür hat die Krebshilfe Österreich zusammen mit der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie eine Kampagne namens „Sonne ohne Reue“ auf den Weg gebracht, in deren Rahmen wir in Oberösterreich unter anderem speziell geschulte Pädagog*innen als „Sonnenfeen“ in die Kindergärten schicken. Sie vermitteln spielerisch, wie man Hautschäden vorbeugt und warum das etwas ganz Wesentliches ist. Und natürlich weisen wir auch laufend auf den Zusammenhang von Alkohol und Tabak mit Krebs hin. Außerdem betonen wir immer wieder die große Bedeutung von Vorsorgeuntersuchungen, denn Früherkennung vergrößert die Heilungschancen beträchtlich. Dementsprechend rufen wir zur Darmkrebsvorsorge auf, unterstützen Brustkrebs-Awareness-Aktionen wie „Pink Ribbon“ und bieten selbst unter anderem Palpationskurse zur Brustkrebsvorsorge an. Eine andere Initiative ist zum Beispiel unsere Kampagne „Loose Tie“, mit der wir Männer ab 45 an den überaus wichtigen jährlichen Prostatacheck erinnern.
Die oberösterreichische Krebshilfe ist ein gemeinnütziger Verein, der sich rein aus Spenden finanziert. Wie haben sich die pandemiebedingt reduzierten Möglichkeiten zu Charity-Events auf die Vereinstätigkeit ausgewirkt?
Natürlich haben wir durch die Pandemiewellen sehr viele Charity-Veranstaltungen absagen müssen, trotzdem können wir uns nicht beschweren. Wir haben es zwar finanziell gespürt, aber zum Glück gibt es immer noch genügend Spender*innen, die uns unterstützen. Darum bin ich trotz allem optimistisch, was die Zukunft der Spenden- und damit der Vereinstätigkeit betrifft.
"Natürlich haben wir durch die Pandemiewellen sehr viele Charity-Veranstaltungen absagen müssen, trotzdem können wir uns nicht beschweren."
Welchen Einfluss hatte die Pandemie auf die anderen Aktivitäten der Krebshilfe, etwa die Beratungen?
Die Beratungen vor Ort sind zunächst durchaus eingebrochen, weil die Menschen ja verständlicherweise Angst vor direkten Kontakten hatten. Wir nehmen außerdem die Verantwortung für unsere Klient*innen sowie auch für unsere Berater*innen ernst, und dazu gehören nun einmal Sicherheitsmaßnahmen. Durch Telefon- und Onlineberatungen haben wir das aber bald recht gut ausgleichen können. Es gibt sogar ein sehr gelungenes Onlineformat, das wir ohne Corona wohl nicht kreiert hätten: eine virtuelle Diskussionsreihe zu relevanten Themen mit immer jeweils zwei Expert*innen, in die sich Interessent*innen via Chat mit ihren Fragen einbringen können. Ich denke, das wird uns erhalten bleiben.
In Pandemien zählen an Krebs erkrankte Menschen zur besonders vulnerablen Personengruppe. Was muss man tun, um sie zu schützen? Und müsste man nicht das Bewusstsein für diese Schutzbedürftigkeit in der Öffentlichkeit stärken?
Das ist eine sehr vielschichtige Frage. Zweifelsohne sollten Krebspatient*innen auf schützende Maßnahmen besonders bedacht sein, wie etwa bei Corona auf zeitgerechte Impfungen oder das Maskentragen. Trotzdem bleibt es letztlich ihre eigene Entscheidung, wir Ärzt*innen können es ihnen nur nahelegen und erklären, was State of the Art ist. Die Berücksichtigung empfohlener Pandemiemaßnahmen durch die Allgemeinheit hingegen würde ich eher als eine Selbstverständlichkeit ansehen, die aus einem grundlegenden Verantwortungsgefühl des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft resultieren sollte. Dies würde ich nicht speziell an den Krebspatient*innen festmachen. Da geht es ja um eine ganz andere gesellschaftliche Verantwortung und Herausforderung. Meiner Ansicht nach müsste ein erwachsener Mensch mit einer gewissen Reife einfach wissen, dass er nicht allein auf der Welt ist, und danach handeln. Man rast ja auch nicht mit 130 Stundenkilometern durch eine Ortschaft und gefährdet seine Mitbürger*innen.
Unabhängig von der Pandemie gibt es allerdings Gebiete, wo es schon angemessen ist, die physische Kondition von Krebspatient*innen zum eigentlichen Anlass für bestimmte Dinge zu nehmen, wie etwa das Arbeitsleben. So gibt es in Österreich seit einigen Jahren die Möglichkeit eines gestaffelten Wiedereinstiegs, wo Betroffene in Übereinkunft mit ihren Arbeitgeber*innen die Zahl der Wochenarbeitsstunden langsam steigern können. Dies erleichtert das Wiederaufnehmen der alten Tätigkeit nach der erkrankungsbedingt oft langen Pause, und das begrüße ich sehr.
Was bedeuteten und bedeuten die verschobenen Operationen für die Krebspatienten?
Glücklicherweise haben wir praktisch keine onkologischen Operationen verschieben müssen. Zwar gab es im Herbst und Winter einige Monate, in denen wir organisatorisch schwere Zeiten hatten, wodurch es manchmal zu ganz kleinen Verzögerungen von wenigen Tagen kam. In dieser wirklich geringfügigen Dimension ist das aber kein großes Problem.
"Glücklicherweise haben wir praktisch keine ökologischen Operationen verschieben müssen."
Welche Themen stehen für Sie als neuer Präsident der oberösterreichischen Krebshilfe ganz oben auf der Agenda? Welche gesundheitspolitischen Forderungen werden Sie besonders unterstützen?
Als Hals-Nasen-Ohren-Arzt liegt mein beruflicher Fokus auf Krebserkrankungen, die die Mundhöhle, die Zunge, den Rachen, den Kehlkopf, die Speicheldrüsen und die Nase betreffen. Es liegt also nahe, dass ich im Rahmen der Krebshilfe-Präventionsarbeit auch einen Schwerpunkt in Richtung Kopf-Hals-Tumoren setzen werde. Dabei ist mir speziell der Zusammenhang mit dem humanen Papillomavirus (HPV) ein großes Anliegen. Die HPV-Impfung ist zwar bereits im Österreichischen Impfplan verankert, doch sie wird noch viel zu wenig genutzt. Sie ist für Kinder zwischen neun und 14 Jahren gratis und danach gibt es für die bis zu 18-Jährigen ein Angebot zum vergünstigten Selbstkostenpreis im Zuge eines „Catch-up-Programms“. Zusätzlich können vergünstigte Nachholimpfungen in diesem Alter im Rahmen einer gemeinsamen Impfaktion der Österreichischen Ärzte- und Österreichischen Apothekerkammer nun auch im niedergelassenen Bereich in Anspruch genommen werden. Am größten ist die Wirksamkeit der HPV-Impfung, wenn sie vor der Geschlechtsreife stattfindet.
Die dringend nötige Bewusstseinsarbeit hat einerseits das Ziel, die Impfrate, die momentan lediglich bei 40 Prozent liegt, zu heben, andererseits aber auch verstärkt Buben und junge Männer einzubeziehen. Die Fehlmeinung, die HPV-Impfung sei etwas, was nur Mädchen und Frauen betreffe, ist in der Bevölkerung noch viel zu stark verankert. Das hat damit zu tun, dass wir in Österreich bislang hauptsächlich von HPV-getriggerten Gebärmutterhalskarzinomen reden. Doch aus den USA zum Beispiel haben wir aussagekräftige Zahlen, die mehr HPV-verursachte Rachenkarzinome als Gebärmutterhalskarzinome aufzeigen. Das heißt, es gibt hier einen Paradigmenwechsel weg von der Gynäkologie hin zu HNO. Diesbezüglich aufzuklären ist etwas, was sich absolut lohnt und was ich mir vorgenommen habe. Da muss man Politik und Gesundheitseinrichtungen mit ins Boot holen und schauen, dass man entsprechende Kampagnen starten kann. Wenn wir es schaffen, damit bereits die Schulkinder anzusprechen, und wenn es gelänge, den Idealfall einer 80- bis 90-prozentigen Impfrate zu erreichen, würden sicherlich auch in Österreich die Gebärmutterhals- und Rachenkarzinome seltener werden.
Was liegt Ihnen in puncto Krebsforschung am Herzen? Welche Forschungsprojekte werden Sie in Ihrer Amtszeit als Präsident fördern?
Die Krebsforschung ist mir sehr wichtig, aber hier geht es mir nicht speziell um mein eigenes Fach, sondern generell um die Qualität der Forschungsprojekte. Die Themen können sehr vielfältig sein. Seit dem Jahr 2000 hat die oberösterreichische Krebshilfe einen eigenen Forschungsverein, der nach Maßgabe der finanziellen Möglichkeiten im Schnitt ein bis zwei vielversprechende Projekte pro Jahr unterstützt. Nachdem eine Fachjury die jeweiligen Vorhaben auf Herz und Nieren geprüft hat, gibt es entweder eine Anschub- oder eine Gesamtfinanzierung.
Interview: Uschi Sorz; Foto: depositphotos.com
Martin Burian, Univ.-Prof. Dr.
Präsident der Krebshilfe Oberösterreich
Burian promovierte 1984 an der MedUni Wien und absolvierte nach Aufenthalten an renommierten internationalen Kliniken 1992 die Facharztprüfung in Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Ab 2001 war er stellvertretender Leiter der Abteilung Allgemeine HNO an der MedUni Wien, 2008 absolvierte er den MBA-Universitätslehrgang „Health Care Management“. Er sieht Medizin und Pflege gesamtheitlich und sowohl Management- wie auch Führungskompetenz als notwendige Voraussetzungen von Menschen in medizinischen Führungspositionen. Seit 2011 ist Burian Leiter der Abteilung Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern. Er ist seit vielen Jahren ehrenamtlich im Vorstand der oberösterreichischen Krebshilfe tätig und wurde im Juni dieses Jahres zu deren Präsidenten gewählt.