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06.03.2023

„Eine Welt voller resilienter Optimisten halte ich für einen Wunschtraum!“

Mit „Nimm der Ohnmacht ihre Macht“ schrieb Bestseller-Autorin Melanie Wolfers ein neues Buch, das nicht besser in unsere Zeit passen könnte. Beschäftigt es sich doch mit Kontrollverlust und Hilflosigkeit in Zeiten von Corona, Ukraine-Krieg und Klimakrise. Mit INGO sprach die Ordensfrau der Salvatorianerinnen über die Ohnmacht innerhalb der Gesellschaft, über „Aufreger“-Medien – und ihre ganz persönlichen Mutmacher.  

Der Glaube spielt in Ihrem Leben ­eine große Rolle. Wie haben Sie ihn für sich gefunden?

Melanie Wolfers: Dass ich glaube, verdankt sich vielen Quellen. Eine davon ist das Staunen. Einmal stand ich unter einem sternenklaren Himmel und war wie hingerissen von der Größe des Alls. Das Eigenartige war: Ich fühlte mich nicht verloren, sondern als Teil eines Ganzen. Ich war im Großen und Ganzen geborgen. Eine zweite Quelle meines Glaubens: Ich bin Christ*innen begegnet, die mir überzeugend vorgelebt haben, dass Glauben heißt: Die Hände falten und die Ärmel hochkrempeln. Leben aus Stille und Gebet und sich für eine bessere Welt einsetzen.

Pandemie, Existenzängste, Krieg, … Ist es in Zeiten wie diesen nicht schwierig, an ein „gutes“ göttliches Wesen zu glauben?

In der Tat, Krisen und Schicksalsschläge können das Vertrauen ins Leben und seinen göttlichen Grund untergraben. Aber dunkle Zeiten lassen Menschen auch fragen: Woher nehme ich die Zuversicht, dass es einen neuen Morgen gibt? Und wie finde ich den Mut, mich dafür einzusetzen? So machen sich viele auch auf eine spirituelle Suche.

Haben Sie schon einmal an Ihrem Glauben gezweifelt?

Natürlich. Glauben bedeutet vor allem Vertrauen – und Vertrauen ist immer auch brüchig.

Wir befinden uns in herausfordernden Zeiten, in denen Vertrauen auf eine harte Probe gestellt wird. Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie weit verbreitet Wissenschaftsskepsis und Verschwörungstheorien in unserer Gesellschaft sind. Wie soll man damit umgehen? Insbesondere dann, wenn es um Menschen geht, die einem nahestehen?

Es weckt Ohnmachtsgefühle, wenn man beispielsweise in der Partnerschaft erlebt: Wir lieben uns, sitzen gemeinsam am Frühstückstisch, aber können einander nicht erreichen, sondern leben in verschiedenen Welten. Hier scheint mir wichtig, dass wir einander nicht aus den Augen verlieren, sondern dass wir im Gespräch bleiben. Dass wir „Inseln des Gemeinsamen“ pflegen. Und dass wir über dieses quälende Gefühl am Frühstückstisch miteinander sprechen.  

Sprechen wir generell zu wenig miteinander?

Ich glaube, die Frage ist eher: Worüber sprechen wir? Wenn Sie Ihren Arbeitskolleg*innen oder der Familie etwas über Ihren Alltag erzählen, was berichten Sie? Viele Menschen neigen dazu, vor allem von den unerfreulichen Dingen zu sprechen. Von der überfüllten Bahn. Vom Konflikt mit dem Nachbarn. Oder von den hohen Spritpreisen. Das nette Gespräch an der Bushaltestelle oder die schmackhaften Erdbeeren zum Nachtisch erwähnen die meisten nicht – falls sie überhaupt noch daran denken. Selbst schwierige Geschichten können so erzählt werden, dass sie Mut machen.

Sie sprechen in Ihrem aktuellen Buch „Nimm der Ohnmacht ihre Macht“ auch die Medien an, die heutzutage vor allem Negatives berichten. War das aber nicht schon immer so?

Ja, „Bad news are good news“ lautet ein journalistischer Grundsatz. Doch im Unterschied zu früher erreichen uns heute erschreckende Nachrichten in Jetztzeit aus aller Welt. Das Problem liegt in der einseitigen Berichterstattung: Obwohl die einzelnen Nachrichten über Katastrophen stimmen mögen, so führen sie in der Summe zu einem verfälschten Bild der Welt. Daher ist es wichtig, darauf zu achten, Berichterstattungen zu wählen, die nicht nur Probleme beschreiben, sondern auch zukunftsorientierte Überlegungen und Lösungsansätze. Lösungsorientierter Journalismus zeigt: Viele Menschen machen die Welt zu einem besseren Ort, indem sie anderen helfen, sich für fairen Handel einsetzen, konsequent Wasser sparen oder auf das Auto verzichten – und dabei Teil einer positiven Geschichte werden.

"Obwohl die einzelnen Nachrichten über Katastrophen stimmen mögen, so führen sie in der Summe zu einem verfälschten Bild der Welt."

Welchen Einfluss haben dabei Ihrer Meinung nach Social Media?


Aufreger-Meldungen werden durch Social Media über den ganzen Globus geteilt. Der normale Alltag und gute Entwicklungen hingegen erregen kein Aufsehen. Oder haben Sie mal die Schlagzeile gelesen, dass ein Zug aus Hamburg pünktlich um 17:13 Uhr in Wien eingetroffen ist? Dieser Negativfokus bewirkt und verstärkt das Ohnmachtsgefühl.

Sie arbeiten schon seit langem auch mit jungen Erwachsenen zusammen: Hat sich an dieser Arbeit in den Zeiten von Pandemie, Krieg und Klimawandel etwas geändert?


Die vielen Krisen – insbesondere Corona und die Klimakrise – haben die Gefühle von Angst und Ohnmacht verstärkt. Zugleich sind aber auch die Entschiedenheit und Tatkraft gewachsen, sich für eine lebenswerte Zukunft einzusetzen. Wer hätte 2018 gedacht, dass ein junges schwedisches Mädchen eine globale Klimabewegung ins Leben ruft, die schon viel bewegt hat? Und noch viel bewegen wird.

Das sprechen Sie auch in Ihrem Buch an: „Viele Menschen erleben die Natur als eine ihrer wichtigsten Säulen in Sachen Zuversicht.“ Dennoch scheinen die Klimakatastrophe und die Zerstörung unseres Planeten unaufhaltbar. Wie kann man Menschen hier dennoch Zuversicht vermitteln?


Mit jedem Schritt, den wir in Richtung einer nachhaltigen Zukunft setzen, leisten wir einen Beitrag auf dem Weg zum erhofften Umschwung. Auf diesem Weg ist kein Schritt zu klein! Jede einzelne Person kann andere beeinflussen, sodass wir die Welt gemeinsam verändern.

"Freude ist eine wichtige seelische und geistige Ressource."

Sie üben im Buch Kritik an der doch weit verbreiteten Behauptung „Alles hat sein Gutes“, auch alles Negative. Können Sie bitte erklären, wieso für Sie hier keine Diskrepanz zu Ihrem Rat, „die Ohnmacht anzunehmen“, besteht?


In unserer Selbstoptimierungsgesellschaft wird die Erwartung genährt, dass man an Widrigem wächst und allem Negativen noch etwas Positives abgewinnen könne. Im Sinne von: „Die Krise ist dein Trainingslager, Burnout eine Bewährungsprobe und Scheitern eine Chance.“ Und auch wenn die Erfahrung noch so bitter sei, so möge man sie doch bitte als heilsame Medizin schlucken. Doch eine Welt voll von resilienten Optimisten, in der jede und jeder gestärkt aus Krisen hervorgeht, halte ich für einen Wunschtraum. Es braucht auch die Fähigkeit, Unabänderliches zu erdulden und das Gefühl von Ohnmacht ins Leben zu integrieren.

Was löst bei Ihnen die im Buch thematisierte Ohnmacht aus?


Wenn ich einen geliebten Menschen leiden sehe. Wenn mein Körper mir schmerzlich einen Strich durch die Rechnung macht. Vor allem aber auch die Klimakrise und der Eindruck: Diejenigen, die durch Macht Verantwortung haben, werden ihrer Verantwortung in dieser globalen Gefährdungslage nicht gerecht.

Einer Ihrer Praxistipps lautet: „Durch Gönnen zum Können“. Ist das nicht eine Kompensation, eine Ablenkung vom eigenen Unbehagen, die eigentlich abzulehnen ist?


Ja, es gibt die Flucht vor dem eigenen Unbehagen in Zerstreuung, Arbeit oder Konsum. Doch mir geht es bei diesem Punkt um etwas anderes: Wenn man eine dunkle Zeit durchlebt, dann stärkt es einen und macht im Umgang mit der Krise kreativer, wenn man sich regelmäßig etwas gönnt, was das Gemüt aufhellt. Freude ist eine wichtige seelische und geistige Ressource.

Sie haben die Pianistin Maria João Pires, die sich traut, ein Konzert zu spielen, obwohl sie ein anderes Stück eingelernt hat (siehe dazu HIER), als Beispiel für Vertrauen gewählt, das jemand einer Person vermitteln kann.­ im Fall der Pianistin ist es der Dirigent. Wer gibt Ihnen ein derartiges Vertrauen?


Ich habe das Glück, dass es Menschen in meinem Leben gibt, die mich – meine Kraft und meine Grenzen – gut kennen. Die mir wohlgesonnen sind und die den Freimut haben, mir Schönes und Schwieriges zu sagen

Womit haben Sie sich in Ihrem Leben abgefunden?


Dass ich mich mit manchen Ereignissen und manchen Macken und Meisen von Menschen abfinden muss – auch wenn ich es gerne anders hätte.

Sie raten unter anderem zu „ermutigenden Filmen“: Welche Filme ermutigen Sie?


Ich schaue ganz wenig Filme, sondern greife eher zu Büchern. Doch jüngst habe ich den Film „Die Kinder von Windermere“ mit großem Gewinn gesehen.

Was sind generell die Mutmacher in Ihrem Leben?


Menschen. Die Natur. Die Kraft der Erinnerung an bewältigte Krisen. Werte und Ziele, die mir wichtig sind – denn: Mut ist, wenn anderes wichtiger wird als meine Angst oder Bequemlichkeit. Und: Die regelmäßigen Zeiten der Stille und des Gebets; mein Glaube.

Text: Michi Reichelt; Fotos: Andreas Jakwerth

Melanie Wolfers, Dr. theol., Mag phil.

Expertin für Lebensfragen und Spiritualität in der Ordensgemeinschaft der Salvatorianerinnen (Wien)

Wolfers wurde 1971 geboren und verbrachte ihre ersten 18 Lebensjahre an der Ostsee, bevor sie in Freiburg und München Philosophie und Theologie studierte. Seit 2004 lebt die „Mutmacherin“ in der Ordensgemeinschaft der Salvatorianerinnen in Wien. Sie ist Bestseller-Autorin, Beraterin, Rednerin und betreibt den Podcast „GANZ SCHÖN MUTIG – dein Podcast für ein erfülltes Leben“ auf www.melaniewolfers.de/podcast und überall, wo es Podcasts gibt. Ihr neues Buch „Nimm der Ohnmacht ihre Macht. Entdecke die Kraft, die in dir wohnt“ (https://melaniewolfers.de/buecher/nimm-der-ohnmacht-ihre-macht-entdecke-die-kraft-die-in-dir-wohnt/) erschien beim bene! Verlag

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