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Gesundheit
Österreich
06.03.2023

„Wenn man Maßnahmen setzt, muss das Ziel vorher klar sein!“

Covid-19 plättelt jetzt aus wie ein flacher Stein, den man übers Wasser hüpfen lässt: Mit diesem Bild beschreibt Ojan Assadijan den aktuellen Verlauf der Pandemie. Im Gespräch mit INGO skizziert der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, welche Lehren sein Fachgebiet aus den vergangenen drei Jahren zieht.

Auch im Gesundheitswesen steht das Ende der Covid-19-Beschränkungen bevor – aus Ihrer Sicht zu Recht? 

Ojan Assadian: Soweit wir beobachten können, sind die jetzt dominierenden Varianten von SARS-CoV2 sehr stabil. Nicht nur das Virus hat sich verändert, auch die Immunologie der globalen Population: Immer mehr Menschen sind exponiert und/oder geimpft, leider waren auch sehr viele Todesfälle zu verzeichnen. Jetzt scheint es so zu sein, dass die Pandemie „ausplättelt“, die Kurven der tatsächlich Erkrankten werden immer niedriger. Covid-19 wird sich gewissermaßen als normale Erkrankung etablieren, an die Ärzte und Ärztinnen denken müssen wie an andere Krankheiten auch.

Was heißt das für die Krankenhaushygiene? 

Auch da wird sich die Situation in gewisser Weise normalisieren. Man wird sich nun wohl darauf einigen, wieder verstärkt symptomorientiert zu untersuchen, wobei die Erweiterung der Indikationsstellung zur Untersuchung während der Pandemie phasenweise sinnvoll war. Wir werden künftig allerdings einen Paradigmenwechsel brauchen, weil viele Maßnahmen bisher sehr erregerspezifisch formuliert wurden. Sinnvoll wäre, dass es zum Beispiel zwei „Hygieneblöcke“ gibt, einen respiratorischen Block und einen gastrointestinalen Durchfallsblock. Patient*innen mit entsprechenden, einfach zu differenzierenden Symptomen werden im jeweiligen Block in einem „Verdachtszimmer“ einzeln aufgenommen, umgehend auf eine breite Palette von Erregern untersucht und entsprechend weiterbehandelt. Die Infrastruktur in den Krankenhäusern ist allerdings sehr heterogen, daher fehlt diese Möglichkeit in zahlreichen Einrichtungen.

Werden die Mitarbeiter*innen in Gesundheitseinrichtungen auch nach der Pandemie unter strengeren Hygieneauflagen Dienst machen? 

Das Wort streng tut einem Krankenhaushygieniker weh, es geht um fachlich begründete Maßnahmen. Schutzausrüstung beim Gesundheitspersonal hat nur einen einzigen Zweck: den Träger, die Trägerin in einem bestimmten Moment vor Schaden zu bewahren. Die Pandemie hat daran nichts geändert, und ich wüsste nicht, warum bestimmte Maßnahmen bei anderen Infektionen nicht auch weiterhin gelten sollten. Wer eine Trachealabsaugung bei einem Influenza-B-Patienten vornimmt, ist nun einmal gut beraten, sich vor erregerhaltigem respiratorischem Sekret zu schützen. Gerade bei viralen Erkrankungen gibt es bekannte Saisonalitäten, und wir wissen, dass man dagegen Maßnahmen setzen kann. Dass die Durchimpfungsrate zum Beispiel gegen Influenza beim Gesundheitspersonal weiterhin niedrig ist, steht auf einem anderen Blatt. 

"Schutzausrüstung beim Gesundheitspersonal hat nur einen einzigen Zweck: den Träger, die Trägerin in einem bestimmten Moment vor Schaden zu bewahren."

Müssten die Mitarbeiter*innen mehr über Krankenhaushygiene wissen? 

Wir haben in den vergangenen drei Jahren gesehen, wie schwierig es bisweilen war, Mitarbeitenden klarzumachen, wie Schutzausrüstungen richtig verwendet werden. Es ist eben kein Zeichen einer guten Hygiene, den ganzen Tag Einmalhandschuhe oder Schutzbrille zu tragen. Ich bin aber überzeugt, dass durch die Pandemie der Kenntnisstand über die Zusammenhänge bei Infektionen nun deutlich höher ist als zuvor, sowohl bei den Menschen im Gesundheitssystem als auch in der Bevölkerung allgemein. Problematisch für die Akzeptanz mag fallweise auch gewesen sein, dass Maßnahmen nicht punktgenau, sondern generalisiert gesetzt wurden, also auch dort, wo sie vielleicht gar nicht nötig gewesen wären. Das hängt jedoch damit zusammen, dass es im öffentlichen Bereich nicht mehr allzu viele Expert*innen mit Fachwissen über die Infektionswege gibt und die einfache Vermittlung fachlich anspruchsvoller Maßnahmen an eine breite Bevölkerung hohe fachliche und kommunikative Expertise erfordert.

Es gibt also ein Nachwuchsproblem im Fach Hygiene? 

Es besteht tatsächlich ein riesiges Nachwuchsproblem, das betrifft mittlerweile etliche Fächer, die sich im Kanon der Zweiten Wiener Medizinischen Schule etabliert haben, wie Pathologie, Labormedizin, Radiologie. Gerade in den diagnostischen Fächern gestalten sich Arbeitsbedingungen und Einkommensverhältnisse im öffentlichen und im privaten Sektor sehr unterschiedlich. 

Während der Pandemie wurden Besuche im Krankenhaus drastisch eingeschränkt. Werden solche Einschränkungen bleiben, werden zum Beispiel Patient*innenbesuche nur noch mit Zutrittscode möglich sein?

Theoretisch und technisch wäre vieles machbar, aber es geht weniger darum, Prozesse neu zu gestalten, sondern insgesamt um einen Kulturwandel. Angehörige und Freunde empfinden es noch immer als beschämend bis unmöglich, jemand im Krankenhaus nicht zu besuchen, und es ist schwierig, die Leute davon abzuhalten. Dabei liegt die durchschnittliche Verweildauer im Spital heute unter sieben Tagen, bei bestimmten Behandlungsformen sogar unter drei Tagen. Natürlich gibt es auch da Fälle, wo es nicht wünschenswert ist, Besuche von Bezugspersonen zu reduzieren, etwa bei dementen Patient*innen. In vielen Fällen wird ein Besuch aber sachlich schlicht nicht erforderlich sein. Wie so oft hat das Thema einen fachlich-logischen und einen emotionalen Aspekt. Einen harten Schnitt wird es nicht geben, eher einen schleichenden Prozess, mit begleitender Kommunikation und Edukation.

"In vielen Fällen wird ein Besuch aber sachlich schlicht nicht erforderlich sein."

Rückblickend betrachtet: Was hat die Krankenhaushygiene aus der Pandemie gelernt, was hätte man besser machen können? 

Vieles in dieser Pandemie war für unser Fach nicht neu, vieles wissen die Expert*innen teilweise seit Jahrzehnten. Besonders wichtig scheint mir aber: In jedem Pandemie-Management, überhaupt in jedem Outbreak-Management, muss es ein ganz klar formuliertes Ziel geben: Was ist mein Anliegen, was möchte ich erreichen? Aus meiner Sicht haben viele einzelne Akteure in Österreich aus ihrer Perspektive stets das Richtige gemacht. Es gab aber kein Gremium, keine Person, die klar vorgegeben hätte, welches primäre Ziel erreicht werden soll und was bloß sekundär ist. Auf der einen Seite wollte man möglichst viele Menschen vor einer Erkrankung schützen, auf der anderen Seite wollte man – plakativ gesagt – die Seilbahnen weiterbetreiben. Dass passt einfach nicht zusammen. Das war nicht optimal. Dass es nach der Pandemie vieles aufzuarbeiten gibt, gilt aber nicht nur für Österreich, sondern global.

Text: Josef Haslinger; Foto: Landesklinikum Wiener Neustadt

Ojan Assadian, Prof. Dr. MSc, DTMH

Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene

Assadian ist Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie mit Additivfach Infektiologie und Tropenmedizin. Der gebürtige Wiener war nach seiner Ausbildung in Österreich und Großbritannien u. a. an der Medizinischen Universität Wien, im AKH Wien und an der University of Huddersfield (UK) tätig; heute ist er Ärztlicher Direktor des Landesklinikums Wiener Neustadt. Ojan Assadian hat international mehr als 280 wissenschaftliche Fachartikel publiziert, ist Herausgeber und Autor mehrerer Fach- und Lehrbücher (darunter das Standardwerk „Krankenhaus- und Praxishygiene“) und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (ÖGKH).  

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