„Telemedizin muss Hilfestellung sein, nicht Hemmschuh“
Telemedizin ist aus dem Gesundheitswesen nicht mehr wegzudenken. Die jüngsten Entwicklungen in der Dermatologie, der Notfallmedizin und der allgemeinen medizinischen Versorgung wurden nun im Rahmen eines hochkarätig besetzten Symposiums in Wien erörtert.
Man hat nicht jeden Tag die Gelegenheit, gleichzeitig auf ausgewiesene Expertinnen und Experten aus Medizin, Politik und Wissenschaft zum Thema Telemedizin zu treffen. Wenn es sich dabei noch dazu um profilierte Stakeholder aus den USA, aus Großbritannien, Deutschland und Österreich handelt, muss es sich schon um eine ganz besondere Veranstaltung handeln. Eine ebensolche fand Mitte November im Wiener Billrothhaus statt: Das Symposium Telemedizin, organisiert vom VI Institute.
Unter dem Motto „Telemedizin ist die Zukunft, wirft aber viele Fragen auf“ lud man zu Vorträgen über Pilotprojekte und die aktuelle Rechtslage, zu Erfahrungsberichten aus dem In- und Ausland sowie zu Diskussionen über Chancen und Risken. Als einer der Vorsitzenden des Symposiums durfte Prim. Dr. Gerald Ch. Loho, Vorstand der II. Orthopädischen Abteilung im Herz-Jesu Krankenhaus Wien, den anwesenden und online zugeschalteten Gästen die Expert*innen-Talks präsentieren. „In der Vinzenz Gruppe sind wir für moderne Technologien mehr als offen und arbeiten schon lange damit“, so Loho über seine persönlichen Erfahrungen. „Zahlreiche anerkannte Expert*innen beschäftigen sich bei uns mit der Einbindung von Telemedizin, mit E-Health., mit Digitallösungen. Und mit Künstlicher Intelligenz. Was dabei aber wichtig ist: Telemedizin kann immer nur eine Ergänzung zu realem Fachpersonal sein, kein Ersatz.“
Große Herausforderungen, große Chancen
Eröffnet wurde das Symposium mit einer Videobotschaft des Gesundheitsministers. Digitale Werkzeuge, und damit auch Künstliche Intelligenz (KI), spielen im Gesundheitswesen eine immer größere Rolle, auch die Akzeptanz wachse kontinuierlich in der Gesellschaft, erläuterte Johannes Rauch einleitend. Telemedizin und KI seien nicht mehr wegzudenken; Digitalisierung sei da, um die medizinische Versorgung zu verbessern. Die Politik sei daher aufgefordert, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um die damit verbundenen Risiken zu minimieren und Herausforderungen zu meistern, so der Minister.
„Die Zeiten des direkten Kontakts mit den Patienten sind endgültig vorbei“, erklärte Professor Michael Miller, Mitglied des WHO Digital Health Technical Advisory Group (DHTAG) Roster of Experts sowie des WHO (Europe) Committee for Digitalization and Health Information Systems, in seiner Key Note. Überall auf der Welt seien Gesundheitssysteme aufgrund des demografischen Wandels und den höheren Anforderungen vor große Herausforderungen gestellt. Alle Menschen bräuchten Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung; die globale Zusammenarbeit hinsichtlich E-Health müsse verstärkt und ausgebaut werden, so der britische Experte, der zudem betonte: „Seit Jahren wissen wir, dass wir von einem System, das der Behandlung Vorrang einräumt, zu einem System übergehen sollten, das auch gesundheitliche Beeinträchtigungen vorhersagen und verhindern kann.“
Zur richtigen Zeit beim richtigen Arzt
In weiterer Folge nahmen Dr. Harald Schlögel, Präsident der niederösterreichischen Ärztekammer, sowie Prof. Dr. Ernest G. Pichlbauer von der Sigmund Freud Privatuniversität Wien die Telemedizin in Österreich unter die Lupe. Diese sei schon heute auch für Patient*innen alltäglich, so Schlögel: Man kann bereits Gesundheitsdaten via Smartwatch erheben, auswerten und speichern lassen, es gibt Medikamenten-Apps – und die Hotline 1450 als telemedizinisches Paradebeispiel. Für weitere Entwicklungen seien Fragen der Haftung, der Standards von Datenübermittlung, der Verrechnung sowie insbesondere des Datenschutzes zu klären. Generell war Letzteres ein wichtiges Thema im Rahmen des Symposiums. Man war sich einig, dass gerade Gesundheitsdaten äußerst sensibel seien und Patient*innen hier hundertprozentig abgesichert sein müssten.
"Gut versorgt heißt, dass der richtige Patient zur richtigen Zeit beim richtigen Arzt ist", sagt Dr. Harald Schlögel, Präsident der Ärztekammer Niederösterreich.
Schlögels Conclusio lautete jedenfalls: „Telemedizin muss Hilfestellung sein, nicht Hemmschuh“. Ernest Pichlbauer wiederum erklärte, digital müsse vor ambulant, ambulant vor stationär stehen: „Gut versorgt heißt, dass der richtige Patient zur richtigen Zeit beim richtigen Arzt ist.“ Das Ziel müsse sein, die wohnortnähere Behandlung zu ermöglichen, nicht die Behandlung zu verbessern.
Neben weiteren internationalen Keynotes von Stanford-Professor Dr. Justin M. Ko zum Thema Teledermatologie sowie Prof. Dr. Collin M. Stultz (Director Harvard-MIT Health Sciences & Technology) über Anforderungen an eine zeitgemäße Telemedizin erhielten die Gäste des Symposiums Einblicke in österreichische Einsatzgebiete von Telemedizin: Dr. Nicole Kordina berichtete aus der Leitstelle von Notruf Niederösterreich, Univ.-Prof. Dr. Rainer Hofmann-Wellenhof (Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie Graz) von aktuellen Anwendungen in der Steiermark am Beispiel Teledermatologie. Ein „Law-Check Telemedizin“ von Rechtsanwältin Mag. Martina Edlinger sowie eine abschließende Diskussion zum Datenschutz – mit Dr. Michael Binder (Vorstandsmitglied und Ärztlicher Direktor Wiener Gesundheitsheitsverbund), Mag. Jona Boeddinghaus (KI-Entwicklungsleiter Gradient Zero), Univ.-Prof. Dr. Thomas Mück (Sigmund Freud Privatuniversität), Dr. Andreas Zavadil (Datenschutzbehörde) sowie Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Mag. Dr. Edgar Weippl (Universität Wien) – rundeten das Symposium ab.
Text: Michi Reichelt; Fotos: UND Kommunikation